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Ziesing: Primärverbrauch ist nur um ein Prozent zurückgegangen

Hans-Joachim Ziesig sagt, dass Preissteigerungen dazu geführt haben, dass Verbraucher etwas sparsamer mit den Energieträgern umgegangen seien. Ferner habe der Atomausstieg in Deutschland drei Effekte nach sich gezogen, so der Chef der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanz.

Hans-Joachim Ziesing im Gespräch mit Theo Geers | 23.12.2011
    Theo Geers: Auch wenn es noch gut eine Woche hin ist, schon jetzt wird in vielen Bereichen die Jahresbilanz gezogen, wissend, dass die paar Tage bis Silvester nicht mehr viel an den ja immer noch vorläufigen Zahlen ändern dürften. So ist das auch in der Energiebranche, die mit Fukushima und dem danach beschlossenen Atomausstieg hierzulande ein äußerst bewegtes Jahr so gut wie hinter sich hat. In dieser Woche kamen nun die ersten Zahlen über den Energieverbrauch in Deutschland, und sie sind erfreulich, denn trotz guter Wirtschaftslage haben wir Deutsche weniger Energie verbraucht als 2010. Was die ersten Zahlen wirklich aussagen, darüber möchte ich nun mit dem Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen, Dr. Hans-Joachim Ziesing, sprechen. Guten Tag, Herr Ziesing.

    Hans-Joachim Ziesing: Guten Tag, Herr Geers.

    Geers: Herr Ziesing, Deutschland hat in diesem Jahr weniger Energie verbraucht. Wie viel ist es denn genau und wie viel ist es auch auf den zweiten Blick?

    Ziesing: Auf den ersten Blick sind es genau 4,8 Prozent weniger als im vergangenen Jahr. Das ist schon ganz beachtlich, wenn man sich überlegt, dass die gesamtwirtschaftliche Leistung immerhin um drei Prozent gestiegen ist. Das heißt, auf den ersten Blick ist es schon ein sehr großer Erfolg. Es bedeutet ja doch, die Energieproduktivität ist kräftig gestiegen.

    Nur auf den zweiten Blick sieht es etwas anders aus. Dieses Jahr ist extrem warm im Vergleich zum Vorjahr gewesen, was man zwar nicht glaubt, wenn man den Sommer erlebt hat, aber es war um ungefähr 18 Prozent, gemessen an Grad-Tages-Zahlen, wärmer. Das bedeutet, wenn man das um den Temperatureffekt bereinigt, dass der Primärenergieverbrauch vielleicht gerade mal um ein Prozent zurückgegangen ist. Aber immerhin: Er ist zurückgegangen, aber nur sehr schwach.

    Geers: Sie erwähnen die Witterung. Gibt es noch andere Gründe, warum wir weniger Energie verbraucht haben? Gehen wir Deutsche vielleicht nach Fukushima auch etwas bewusster mit Energie um?

    Ziesing: Ich glaube schon, dass etwas bewusster damit umgegangen wird. Ob es nun wirklich Fukushima ist, sei mal dahingestellt. Aber was zumindest richtig ist: wir haben erhebliche Preissteigerungen gehabt im vergangenen Jahr, das heißt in diesem laufenden Jahr noch, und die Preissteigerungen haben natürlich auch dazu geführt, dass die Verbraucher etwas sparsamer mit den Energieträgern umgegangen sind.

    Geers: Nun heißt es ja immer, Herr Ziesing, die beste Energie ist die, die gar nicht erst verbraucht wird. In diesem Sinne sollen wir ja auch als Deutsche oder nicht nur als Deutsche immer effizienter und sparsamer mit Energie umgehen. Wenn wir jetzt mal das Energiekonzept der Bundesregierung nehmen, das sieht vor, bis 2020 den Energieverbrauch bei uns um zehn Prozent zu senken. Jetzt sagen Sie, wir haben dieses Jahr fünf Prozent auf den Ersten und ein Prozent, wenn man das Wetter und Ähnliches herausrechnet, auf den zweiten Blick eingespart. Jetzt bleiben aber auf der anderen Seite nur noch neun Jahre, um das Ziel minus zehn Prozent beim Energieverbrauch zu erreichen. Wo stehen wir denn auf diesem Weg dahin?

    Ziesing: Na ja, wir sind noch ein gutes Stück davon entfernt. Das heißt, wir müssen schon noch unsere energie- und umweltpolitischen Anstrengungen weiter aufrecht erhalten und verstärken, um diese Ziele zu erreichen. Aber wir sind, sagen wir, langsam auf dem Weg, wobei man natürlich sagen kann, so sehr kurzfristig reagiert das gesamte System auch noch nicht auf das, was jetzt an Energiewende verkündet ist. Aber wir sind schon wenigstens in der sinkenden Tendenz, das ist ja schon etwas. Aber um das Ziel zu erreichen, muss noch Etliches getan werden.

    Geers: Könnte es auch sein, dass das Ziel, zehn Prozent weniger Energie bis 2020 zu verbrauchen, verfehlt werden könnte, wenn wir uns nicht genug anstrengen?

    Ziesing: Das Problem der Zielverfehlung besteht immer. Wir haben schon mancherlei Ziele verfehlt. Ich denke, es hängt davon ab, ob wir wirklich eine wirksame und effiziente Energiepolitik betreiben und die auch verstärkt einsetzen. Ich denke, dann haben wir alle Chancen, das Ziel zu erreichen. Aber wir müssen uns anstrengen und wir können nicht glauben, es kommt von alleine.

    Geers: Ein Wort zum Atomausstieg. Das war ja sicherlich das markanteste Ereignis in diesem Jahr in der Energiepolitik hierzulande. In diesem Jahr, Herr Ziesing, wurden acht Atomkraftwerke für immer abgeschaltet. Wie hat sich das eigentlich auf den Strommarkt ausgewirkt? Wie wurde dieser Atomstrom, der plötzlich wegfiel, eigentlich kompensiert?

    Ziesing: Es gab, wenn man will, drei Effekte. Einerseits ist der Stromverbrauch sogar etwas zurückgegangen, allerdings auch nur um knapp ein Prozent Minus. Das hat aber doch durchaus schon ein klein wenig beigetragen. Dann aber gab es eine Umschichtung auch in dem Energieträgermix. Wir haben ja bei der Atomenergie rund 19 Prozent weniger, nein 23 Prozent weniger erzeugt im vergangenen Jahr. Wir haben auf der anderen Seite bei den erneuerbaren Energien rund 19 Prozent mehr erzeugt. Und wenn man das in Zahlen nimmt, ist die Kernenergie um 32 Milliarden Kilowattstunden gesenkt worden und die erneuerbaren haben 19 Milliarden zugelegt. Dann hat aber auch die Braunkohle zugelegt mit knapp 4,6 Milliarden Kilowattstunden, und das war ein Punkt. Der Strommix hat sich deutlich verändert natürlich, und was hinzukommt, ist, dass die Stromimporte deutlich zugenommen haben und insgesamt aus dem Außenhandel mit Strom wir im Grunde um rund 13 Milliarden Kilowatt-Stunden zusätzlich beigetragen haben. Das kommt aus unterschiedlichen Quellen; es ist nicht richtig, dass dies nur Atomstrom ist, es ist auch anderer Strom aus den Nachbarländern. Aber durch diesen Mix von verstärkter Stromerzeugung aus erneuerbaren, Braunkohle und aus dem Außenhandelssaldo zusammen mit einem leichten Rückgang des Stromverbrauchs hat sich die Bilanz der Stromwirtschaft eigentlich gut zum Ende gebracht.

    Geers: Die Deutschen haben 2011 weniger Energie verbraucht als 2010, aber für eine Trendwende, eine richtige Trendwende müssen wir uns alle noch etwas mehr anstrengen. Vielen Dank! - Das war Hans-Joachim Ziesing von der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.