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Zika-Epidemie
Ein Virus attackiert das Gehirn

Neugeborene mit einem viel zu kleinem Kopf: Der Grund dafür ist Mikrozephalie. Der Täter ist das Zika-Virus. Besonders katastrophal ist die Wirkung für den Fötus, wenn sich eine Frau im ersten Schwangerschaftsdrittel mit einem dieser Viren infiziert. Doch auch nach den ersten drei Monaten ist die Gefahr nicht gebannt.

Von Joachim Budde | 31.07.2016
    Ana Beatriz feiert mit ihren Eltern Alipio Martins (links) und Bruna Gabrielle (rechts) den vierten Monat ihrer Geburt am 8. Februar 2016 in Lagoa do Carro, Brasilien. Das Baby kam mit Mikrozephalie zur Welt, doch ein Zusammenhang mit dem Zika-Virus konnte bislang nicht festgestellt werden
    Ana Beatriz feiert mit ihren Eltern den vierten Monat ihrer Geburt am 8. Februar 2016 in Lagoa do Carro, Brasilien. Das Baby kam mit Mikrozephalie zur Welt, ein Zusammenhang mit dem Zika-Virus konnte bislang allerdings nicht festgestellt werden (EFE/EPA/Percio Campos/dpa picture alliance)
    Forscher vermuten, dass die Mikrozephaliefälle jetzt in Brasilien lediglich die Spitze des Eisberges sind. Augenschäden und Hörschäden zeigen sich schon jetzt. Die Experten erwarten zudem psychomotorische Beeinträchtigungen, die erst in Jahren sichtbar werden.
    Gehören vielleicht sogar Autismus und Schizophrenie zu den Spätfolgen? Die Zika-Epidemie hat eine Forschungsoffensive in Gang gebracht. Das Virus öffnet der Forschung eine Tür, um endlich auch die Spätfolgen von Virusinfektionen in der Schwangerschaft besser zu verstehen.

    Detective: "Ich habe den Fall "Zika" Anfang Februar übernommen. Schreckliche Geschichte."
    Margret Chan: "Nach Sichtung der Beweise hat das Komitee geraten, die Häufung von Mikrozephalie und anderer neurologischer Komplikationen als ein außergewöhnliches Ereignis zu bewerten."
    Detective: "All diese Neugeborenen, denen der halbe Kopf fehlt! Erwachsene, die plötzlich gelähmt sind. Und alles wegen eines Mückenstichs!"
    Chan: "Ich erkläre hiermit, dass die jüngste Häufung von Mikrozephalie und anderer neurologischer Absonderlichkeiten, die aus Lateinamerika gemeldet werden und einer ähnlichen Häufung in Französisch Polynesien in 2014 folgen, einen Gesundheitsnotstand von internationalem Ausmaß darstellen."
    Detective: "Mir fiel sofort auf: Diese Handschrift kenne ich. Von etlichen ungelösten Fällen. Zum Teil Jahrzehnte alt. Sie werfen einen schweren Verdacht auf: Was, wenn Mikrozephalie nicht alles ist? Wir haben bei anderen Viren Indizien für Spätfolgen. Bis hin zu Autismus. Schizophrenie."
    Susanne Modrow: "Das ist eine Frage, die sehr schlecht untersucht ist..."
    Gil Mor: "Wir wissen wirklich sehr wenig."
    Mikrozephalie gab es auch vor Zika - doch das Ausmaß ist neu
    Detective: "Die Bilder von den Babys mit Mikrozephalie haben wirklich niemanden kalt gelassen."
    Patrícia de Mello Jungmann: "Als ich das erste Mal den Kopf eines Kindes mit Mikrozephalie berührte, hat sich etwas in mir verändert."
    Detective: "Es gab ja auch vor Zika Mikrozephalie."
    In Zeiten ohne Epidemie sind zwei von zehntausend Kindern betroffen.
    Detective: "Was aber 2015 in Nordostbrasilien passierte, war weit mehr. 1800, vielleicht sogar 5000 Babys sollen bislang betroffen sein."
    Der Erreger hatte in Südamerika leichtes Spiel: Als Reisende ihn vermutlich 2013 aus Französisch Polynesien nach Brasilien einschleppten, traf er auf Mücken, die ihn übertragen können. Und Millionen von Menschen ohne passende Antikörper.
    Die Ärzte wandten sich an Pathologen. Eine solche Expertin ist Patrícia de Mello Jungmann von der Universidade de Pernambuco in Recife, an der äußersten Nasenspitze Südamerikas - der Stadt, die der Zika-Ausbruch am härtesten getroffen hat:
    "Ich habe vorher gar nicht an Zika geforscht. Doch dann fragte mich ein Kollege, der wusste, dass ich mich eine Weile mit Neuropathologie beschäftigt habe: 'Bitte hilf mir, sag mir, was da drinnen geschieht!' Das war der Auslöser. Und seit ich dieses Kind berührte, habe ich keine Zweifel, dass ich weiterforschen muss."
    Andere kontaktierten Kollegen im Ausland, mit denen sie zusammenarbeiten - wie Dave O'Connor von der University of Wisconsin in Madison, USA:
    "Ich habe viele Kollegen und Freunde in Sao Paolo und Rio de Janeiro, und als Zika letztes Jahr begann, Babys zu schädigen, baten sie uns um Hilfe bei der Analyse von Proben einiger Babys im Labor."
    Manche Gruppen arbeiten mit Mäusen oder in vitro, also in der Petrischale. So wie Gil Mor, Direktor der Abteilung für Reproduktionswissenschaft an der Yale University in Newhaven im US-Bundesstaat Conneticut:
    "Wir waren in der Situation, dass niemand wusste, wonach wir eigentlich genau suchen. Das erschwert die Arbeit natürlich. Die Daten aus Zellversuchen und mit Mäusen wie aus meinem Labor liefern so manche Spur."
    Im Februar begann der Pathologe David O'Connor, der auch stellvertretender Direktor des Nationalen Primatenforschungszentrums in Wisconsin ist, Rhesusaffen mit dem Zika-Virus zu infizieren:
    "Wir können die Tiere zu festgelegten Zeiten infizieren und dann nachvollziehen, was das Virus wann mit ihnen anstellt. Und wir wissen genau, welchen Viren und Krankheitserregern sie vorher ausgesetzt waren."
    Jungmann: "Wir arbeiten jetzt seit neun Monaten non stop an dieser Epidemie. Und dabei ist eines neu: das Internet. Wir bekommen jeden Tag neue Antworten, wir haben jeden Tag neue Fragen."
    Erst seit dem Ausbruch der Epidemie in Brasilien wird intensiv an Zika geforscht
    Eine Stechmücke der Art Aedes aegypti
    Das Zika-Virus wurde bereits 1947 entdeckt. Jüngst in Lateinamerika eingeschleppt, fand es in der Stechmückenart Aedes aegypti einen idealen Überträger (picture alliance /dpa /Gustavo Amador)
    Detective: "Wir haben es hier ja eigentlich mit einem alten Bekannten zu tun. Trotzdem hat sich bislang kaum jemand mit dem Fall befasst."
    In den ersten Monaten von 2016 erschienen mehr Fachartikel über Zika als in den gesamten 70 Jahren zuvor. Aber warum hätte man zuvor auch daran forschen sollen? Zika war nie aufgefallen.
    Detective: "Denn Zika war nie aufgefallen."
    80 Prozent der Patienten merken nicht einmal, dass sie infiziert sind. Die anderen haben ein wenig Fieber oder Ausschlag. Viele Viren lösen solche Symptome aus, zum Beispiel Dengue, eine Krankheit, die in Brasilien weit verbreitet ist.
    Detective: "Doch dann kamen die Mikrozephalie-Fälle. Zika hat gezeigt, was es anrichten kann."
    "Die schwer Geschädigten, die Vollausprägung dieses fetalen Zika-Syndroms mit den schweren Bildern der Mikrozephalie haben, die Kinder sind nicht überlebensfähig", erklärt Susanne Modrow von der Universitätsklinik Regensburg und Vorsitzende der Kommission "Virusinfektionen und Schwangerschaft": "Für Virologen ist die Situation an sich nicht so wahnsinnig neu. Wir wissen, dass Viren das tun können."
    Detective: "Seit kurzem wissen wir: Zika verursacht meist dann Mikrozephalie, wenn sich eine Frau im ersten Drittel der Schwangerschaft ansteckt. Kommt das Virus im zweiten oder letzten Drittel zum Zuge, bleiben seine Taten zunächst unsichtbar."
    David O'Connor: "Was wir jetzt sehen, ist gerade einmal der Anfang der Probleme, die eine Zika-Infektion verursacht. Mikrozephalie ist eine sehr offensichtliche, eindringliche und augenscheinliche Konsequenz."
    Gil Mor: "In Wirklichkeit zeigt Zika bislang nur die Spitze des Eisbergs von dem, was Virusinfektionen dem Fötus antun können."
    Margret Chan: "Desto mehr wir wissen, desto schlimmer scheint die Lage."
    Durchbricht der Virus die Plazentaschranke und infiziert so den Fötus, wie etwa bei Röteln oder CMV?
    Zika-Virus unter dem Elektronenmikroskop. Es gehört zur Familie der Vlaviviridae. Die Virus-Partikel betragen 40 nm in Diameter mit einer äußeren Hülle und dem inneren Kern. Der Pfeil zeigt einen einzelnen Virus-Partikel. Das Zika-Virus wird durch Mückenstiche übertragen. Die bekanntesten Symptome sind Fieber, Ausschlag, Gelenkschmerzen und Bindehautentzündung (gerötete Augen). Das Virus steht im Verdacht, für Missbildungen bei Kindern verantwortlich zu sein.Foto: Cynthia Goldsmith / Center for  Disease Control and Prevention/dpa
    Zika-Virus unter dem Elektronen-Mikroskop (picture alliance / dpa / Cynthia Goldsmith / Center for Disease Control and Prevention/dpa)
    Was auch immer den Embryo erreichen soll, muss die Plazenta passieren. Dort treffen die beiden Organismen Mutter und Kind aufeinander: Von der Nabelschnur aus reichen sogenannte Zotten wie kleine Finger in einen Hohlraum im Innern der Plazenta, wo das Blut der Mutter sie umspült. Was durch die Haut der Zotten wandert, gelangt ins Blut des Fötus und durch die Nabelschnur in seinen Körper. Doch wenn die Mutter erkrankt, heißt das nicht automatisch, dass auch der Embryo sich ansteckt. Das HI-Virus zum Beispiel scheitert die ganze Schwangerschaft über an der Plazenta, sagt Susanne Modrow, die Virologin aus Regensburg:
    "Die Plazentaschranke ist an sich schon sehr effektiv."
    Erste Versuche mit Plazentazellen in der Petrischale und an Mäusen deuten an, wie das Zika-Virus die Schranke überwindet. Das Virus entert Fresszellen des Immunsystems, erklärt Modrow:
    "Das heißt, man hat Zellen in der Plazenta und im Plazentagewebe, die infiziert sind und den Eintritt in den fetalen Kreislauf ermöglichen, sodass dann fetale Hirnzellen infiziert werden können."
    Das ist im ersten Trimester der Schwangerschaft besonders verheerend, denn in der Zeit wächst das Gehirn besonders schnell. Das Virus befällt in den Embryonen die neuronalen Stammzellen. Aus denen entwickeln sich normalerweise Nerven und Gehirn. Sie sterben ab. Das Gehirn bleibt winzig.
    Eine ganze Reihe von Viren schafft die Plazenta-Passage. Das ist schon länger bekannt, sagt Modrow:
    "Röteln, Zytomegalovirus, Herpes-Simplex-Viren, Varizella-Zoster-Viren, Parvovirus B19, also so ganz wenige sind es nicht, und wahrscheinlich kennen wir auch etliche gar nicht, die das zu bestimmten Phasen der Schwangerschaft trotzdem hinbekommen."
    Detective: "Röteln, Zytomegalie - das sind die Verdächtigen aus den alten Akten! Ihre Handschrift ist ganz ähnlich wie die von Zika: Für die allermeisten harmlos, aber wehe, eine Frau kriegt sie während der Schwangerschaft!"
    Susanne Modrow: "Wenn man die alten Daten aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts betrachtet, dann wissen wir, dass akute Rötelnvirusinfektionen in der Frühschwangerschaft mit einer ähnlichen Häufigkeit, wie man es heute von Zika erwartet, ebenfalls eine Mikrozephalie, eine Schädigung: Augen, Ohren und auch des gesamten, sagen wir mal, Organsystems verursacht hat."
    Und tatsächlich hat Patrícia Jungmann auch bei Zika dafür Indizien:
    "In manchen Fällen entwickelt sich die Macula im Auge nicht richtig, also der Bereich der Netzhaut mit den meisten Sehzellen. Bei anderen Kindern sehen wir Mikrophthalmie, also verkleinerte Augen, oft in Verbindung mit einem Glaukom, also Überdruck im Auge."
    Oder wird die Entzündung ausgelöst, ohne das der Virus selbst bis zum Embryo vordringen kann, wie bei Herpes oder Influenza?
    Den Embryo selbst zu infizieren, ist eine Möglichkeit für die Viren. Manche brauchen aber gar nicht bis zum Kind vorzudringen: Herpes oder das Influenza-Grippevirus etwa scheitern zwar an der Plazenta. Gil Mor hat aber herausgefunden, dass sie dort eine Entzündung auslösen:
    "Die erreicht den Mäuse-Fötus und erzeugt - in Abwesenheit des Virus! - eine Entzündung im Fötus. Wir beobachten bei vielen Neugeborenen Entzündungen. Und wenn man sie auf Bakterien oder Viren testet, findet man nichts."
    Auch solche Mechanismen können das Kind schädigen. Wie genau, das hängt wieder vom Zeitpunkt in der Schwangerschaft ab, so wie es der Infektiologe von der Yale University auch bei Zika vermutet. Am Ende des ersten Trimesters hat das Gehirn seine äußere Gestalt erreicht, es entwickelt sich aber noch weiter, so Mor:
    "Es gibt Bereiche im Hirn, die sich dann erst entwickeln und sehr empfindlich sind. Die Infektion kann einen immunologischen Prozess auslösen, der diese Bereiche schädigt, ohne dass das äußerlich sofort zu erkennen wäre. Und das könnte zum Beispiel die Häufung von Fällen von Schizophrenie nach Grippe-Pandemien oder Autismus erklären, von dem wir überhaupt nicht wissen, woher er kommt. Oder andere Schäden in anderen Organen des Fötus wie dem Immunsystem."
    Detective: "Es ist also immer dieselbe Masche: Ein Virus trifft auf ein Gehirn, wenn es besonders empfindlich ist, und richtet alle möglichen Schäden an. Auch solche, die man leicht übersieht. Wie bei den Fällen aus Finnland. 1988 fiel Forschern folgendes auf, als sie die Influenza-Epidemie von 1957 untersuchten: Menschen, deren Mütter in der Mitte der Schwangerschaft die Grippe hatten, wurden häufiger mit Schizophrenie in psychiatrische Krankenhäuser aufgenommen als der Durchschnitt."
    Aber das sind nur Indizien, keine Beweise. Die Sache ging zu den Akten. Genauso nach dem Röteln-Ausbruch 1964-65 in den USA. 2001 stellten Forscher fest: Wer als Fötus den Röteln ausgesetzt war, hatte häufiger schizophrene Störungen als der Rest. Susanne Modrow:
    "Viele Sachen wissen wir einfach nicht, weil es keine Daten gibt."
    Die epidemiologische Studien zeigen lediglich, dass diese Dinge gleichzeitig geschehen sind, nicht aber, dass das eine aus dem anderen folgt.
    Detective: "Weder in Finnland noch in den USA konnten die Kollegen beweisen, dass das eine aus dem anderen folgt."
    Könnten Autismus oder Schizophrenie zu den Spätfolgen gehören, auch wenn keine äußerlich sichtbare Schädigung des Gehirns vorliegt?
    Ein autistischer junger Mann, fotografiert von hinten, er hält sich die Ohren zu.
    Ein autistischer junger Mann, der sich die Ohren zuhält. Die Ursachen des Autismus sind immernoch ungeklärt. Auch Zika könnte möglicherweise Autismus auslösen (picture alliance / Markus Scholz)
    Krankheiten wie Schizophrenie haben immer mehr als einen Auslöser. Um nach langer Zeit zeigen zu können, dass ein Patient in der Schwangerschaft bestimmten Faktoren ausgesetzt war, also für belastbare Studien, bräuchten die Forscher Blut- und Plazentaproben aus der Zeit der Epidemien. Doch niemand bewahrt so etwas auf, sagt Susanne Modrow:
    "Weil, sagen wir mal, diese Archivierung von Probenmaterialien schwierig ist, erstens ist sie aufwendig, auch kostenintensiv, und das Ganze unterliegt natürlich zunehmend auch einem Datenschutz, das heißt, diese Proben dürfen nicht für alle denkbaren Untersuchungen eingesetzt werden."
    Detective: "Diesmal aber haben wir ganz andere Möglichkeiten."
    Gil Mor: "Zika öffnet eine Tür für die Forschung und das Verständnis darüber, was die Umwelt mit der Schwangerschaft macht. Es gibt Gegenden auf dieser Welt, wo wir Kinder mit großen mentalen Problemen sehen, in den Entwicklungsländern. Afrika, Süd-Asien, Südamerika, wo die Gesellschaften nicht auf die Beine kommen wegen der Überlast an betroffenen Kindern."
    Susanne Modrow: "Wenn man natürlich auf der Basis dieser Kohortenstudien gute Daten über die kausale Beziehung der Infektion zu einer bestimmten Erkrankung oder einem bestimmten Syndrom hätte, dann könnte man auch mit entsprechenden Therapiemöglichkeiten gezielter eingreifen."
    Patrícia Jungmann: "Wir organisieren Kohortenstudien, wir untersuchen also Populationen mit epidemiologischen Gemeinsamkeiten. Wir sammeln Proben von Blut, Plazenta, Nabelschnurblut-Stammzellen, Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit."
    Ähnlich machen es auch die französischen Behörden in ihren Überseedepartements in der Karibik. Auch dorthin hat sich das Zika-Virus ausgebreitet. Die französischen Gesundheitsbehörden konnten aus den Erfahrungen in Brasilien lernen und schon jetzt - bevor die ersten Babys mit Mikrozephalie auf die Welt kommen - alle Schwangeren in ihre Kohorten aufnehmen, sagt Bruno Hoen. Der Infektiologe leitet die Abteilung für Infektionskrankheiten am Universitätskrankenhaus in Pointe-à-Pitre auf der Karibikinsel Guadeloupe. Er lässt allen Schwangeren einmal pro Schwangerschaftsdrittel Blut abnehmen, um zu wissen, ob und wann sie sich mit Zika angesteckt haben.
    Je nach Ergebnis teilt er die Babys in Untergruppen ein: Kinder mit Mikrozephalie von Müttern mit Zika, Kinder ohne sichtbare Schäden von Müttern mit Zika und Kinder ohne Symptome von Müttern ohne Zika. Auch Gifte wie Alkohol, Blei oder Pestizide sowie ethnische Unterschiede will Bruno Hoen erfassen:
    "Wir glauben, dass so wie bei der Zytomegalie eine gewisse Anzahl von Anomalien erst spät sichtbar wird, seien es Beeinträchtigungen der Sinne, die bei Geburt schwer festzustellen sind, seien es Erschwernisse der psychomotorischen Entwicklung, die wiederholte Tests notwendig machen."
    Schon in den ersten beiden Lebensjahren lassen sich die meisten dieser Störungen feststellen, erwartet er.
    Susanne Modrow: "Was wahrscheinlich wesentlich länger andauernde Auswirkungen hat, was man heute nicht abschätzen kann, sind die Schädigungen, die sich möglicherweise, und da wissen wir eben sehr wenig darüber, erst im Säuglings- oder Kindesalter dann zeigen, auch neurologische Störungen, und Entwicklungsstörungen, die erst im Schulalter tatsächlich auch gesehen werden."
    Bei Schizophrenie dauert es sogar noch länger, bis sie sich zeigt.
    Tierversuche, Langzeit-Archivierung von Proben: Die Forschung wird intensiviert
    Ein Rhesusaffe hält sich am 10.03.2016 in der Tierhaltung im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen (Baden-Württemberg) an einem Gitter fest.
    Ein Rhesusaffe, hier in der Tierhaltung des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen. Tierversuche könnten neuen Aufschluss über die Folgen einer Zika-Infektion von Föten geben (Marijan Murat/dpa picture alliance)
    Wie Frankreich wollen es auch die USA und andere Länder machen.
    Susanne Modrow: "Das ist natürlich eine sehr hilfreiche Initiative. Es werden wirklich von allen Schwangeren in den USA, in Mittel- und Südamerika - man versucht es ja auszuweiten auf diese Länder - Proben archiviert, um zu gucken, ob der Zika-Virus dann auch bei Kindern irgendwo noch mit Erkrankungen in Verbindung gebracht werden kann, und das ist natürlich wirklich sehr wertvoll."
    Detective: "Ich will das komplette Spektrum kennen: Wozu ist Zika fähig? Was mir aber genauso wichtig ist: Wie genau geht Zika vor? Das müssen wir wissen, um es zu stoppen!"
    Um herauszufinden, wie das Virus im Körper vorgeht, verwenden Forscher sogenannte Modelle, machen also Tierversuche. Mit am weitesten sind Dave O'Connor und seine Forschungsgruppe von der University of Wisconsin in Madison.
    Auch O'Connor vermutet, dass sich die Schäden von Zika noch als vielfältiger herausstellen als man jetzt vermutet:
    "Die Arbeit an Rhesusaffen kann diese Forschung beschleunigen. Wenn wir in den Tieren Hirnschäden finden, wissen wir, wonach wir auch in Menschenbabys suchen müssen."
    Darum hat er auch trächtige Weibchen infiziert. Denn Untersuchungen an Schwangeren beschränken sich beim Menschen natürlich weitgehend auf Ultraschallaufnahmen und Fruchtwassertests:
    "Studien mit Affen können viel invasiver sein. Nach der Geburt können wir die Tiere opfern."
    Zwei Weibchen hat O'Connor im ersten Trimester infiziert, ein paar weitere im Dritten. Noch gibt es keine Ergebnisse:
    "Wir werden uns in den Jungtieren 60 verschiedene Gewebearten und viele Bereiche des Gehirns ansehen. Und wir werden Proben an Experten in den ganzen USA schicken, die den Einfluss der Viren mit ihrer Expertise und ihren Methoden untersuchen werden. Dadurch hoffen wir, auch die subtilen Effekte von Zika zu finden. Nicht nur im Gehirn, sondern im ganzen Körper."
    Detective: "Wir wollen wissen, wo Zika noch zuschlägt. Und wer seine Komplizen sind. Ich vermute schon lange, dass ein einzelnes Virus allein nicht alles erklären kann."
    Nur in 30 Prozent der betroffenen Fälle schädigte das Virus den Fötus schwer: Spricht das für Ko-Infektionen durch andere Erreger?
    Zika hat in Brasilien zehntausende Schwangere infiziert. Wieviel Prozent der Babys genau betroffen sind, wissen Forscher noch nicht. Lediglich: Bei 30 Prozent der Schwangeren mit Zika-Symptomen schädigte das Virus den Fötus schwer. Da liegt es nahe, nach Ko-Infektionen zu suchen, die erklären könnten, warum viele verschont bleiben und einige nicht.
    Detective: "Unsere Datenbank hat schon mögliche Komplizen ausgespuckt. Ganz oben auf der Liste: Dengue."
    David O'Connor: "Wir fragen uns, wie sich diese beiden Viren gegenseitig beeinflussen, was ist, wenn ein Zika-Patient später Dengue bekommt und umgekehrt. Denn Dengue ist in denselben Gebieten weit verbreitet wie Zika und wird von denselben Mücken übertragen."
    Susanne Modrow: "Ko-Infektionen oder aufeinanderfolgende Infektionen, das ist eine Frage, die sehr schlecht untersucht ist. Wenn Sie das im Menschen untersuchen wollen, sind Sie auf Zufälle angewiesen."
    Detective: "Natürlich beschatten wir nicht nur Dengue. Es gibt viel mehr Keime, die als Komplizen infrage kommen."
    Gil Mor: "Wir haben ein sehr schönes Screening-System. Wir haben in unseren Kulturen Plazentazellen mit verschiedenen Krankheitserregern infiziert. Dabei haben wir uns auch die Rezeptoren angeschaut, die sie verwenden, um in die Zellen einzudringen. Und sind fündig geworden."
    Viren programmieren die Zellen um, die sie befallen. Manche sorgen auch dafür, dass sich die Hülle der Zellen verändert. Auf der Hülle sitzen Rezeptoren, die wie Schlösser funktionieren, über die sich die Erreger in die Zellen einschleusen können, sagt Mor:
    "Wir haben einen Mikroorganismus entdeckt, der es den Zika-Viren erleichtern könnte, in die Plazenta und den Fötus einzudringen. Denn er sorgt dafür, dass die Zellen besonders viele Rezeptoren bilden, über die sich auch die Zika-Viren einschleusen. Für eine Frau, die am Anfang der Schwangerschaft oder kurz vorher diesem Mikroorganismus ausgesetzt ist, wäre Zika besonders gefährlich. Es gibt Gegenden, wo viele Frauen mit diesem Mikroorganismus infiziert sind, also besonders anfällig sind für fruchtschädigende Effekte."
    Das wäre eine Erklärung dafür, dass Zika in manchen Regionen größere Schäden anrichten kann als in anderen, meint Susanne Modrow:
    "Das sind natürlich alles In-vitro-Versuche, und inwieweit sich das dann tatsächlich auf die In-vivo-Situation übertragen lässt, wird man abwarten müssen."
    Zytomegalie (CMV) verursacht jedes Jahr etliche tausend geschädigte Kinder in Deutschland und Europa
    Detective: "Wenn in ein paar Monaten oder Jahren neue Spuren auftauchen oder neue Techniken bereitstehen, können wir erneut testen. Ein gutes Archiv ist unersetzlich!"
    Auch in den USA werden jetzt diese Proben gesammelt, sagt Gil Mor:
    "Ich habe mit Kollegen der US-Gesundheitsbehörden telefoniert: Sie sind dabei, die Probensammlungen zu organisieren. Die Plazenta halte ich dabei für das wichtigste, und auch die sammeln sie. Also werden wir hoffentlich bald genügend gutes Material haben, um die Ergebnisse aus dem Labor zu überprüfen. Und das ist mein Rat an die Verantwortlichen in allen Ländern: Proben sammeln ist entscheidend."
    So etwas wünscht sich Susanne Modrow auch für Deutschland und die Zytomegalie. Etwa der Hälfte der Schwangeren fehlt der Immunschutz gegen CMV, erklärt sie:
    "Wir haben akut jedes Jahr etliche tausend CMV-geschädigte Kinder hier in Deutschland und in Europa, und da wird so eine wertvolle Studie nicht angeleitet, das heißt, der politische Druck, so eine Studie im Augenblick mit Zika zu machen, der ist sehr groß. Bei anderen Virusinfektionen tun wir uns da deutlich schwerer, weil das so im Rauschen versinkt, und da kann man dann immer nur wieder sagen: ja, Zika ist ein Problem, macht es, aber macht es bitte auch für andere Fragestellungen."
    Zytomegalie ist unsichtbar. Diese Kinder kommen in Deutschland nicht auf die Welt. Der Grund dafür: Schwere Schädigungen durch das Virus erkennen die Ärzte schon auf den Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft:
    "Und in diesen Fällen führen die Gynäkologen in aller Regel ein Beratungsgespräch mit den Eltern und weisen sie auf diese schwere Schädigung hin, und zumindest die Daten, die ich vom Konsiliarlabor für CMV-Infektionen kenne und berichtet bekomme, werden dann in aller Regel die Eltern einen Abbruch vornehmen lassen."
    Das Problem erscheint also kleiner als es ist. In Brasilien hingegen sind Abtreibungen nur in streng begrenzten Ausnahmefällen legal. Darum sind die Schäden durch Zika so deutlich sichtbar - imposante Bilder fürs Fernsehen.
    Detective: "Heute interessieren sich nicht mehr nur Spezialisten für diesen Fall. Hunderte Gruppen auf der ganzen Welt sind auf diesen Täter angesetzt. Das gab es noch nicht oft. Das bringt uns richtig voran."
    Susanne Modrow: "Natürlich wäre grundlegend ein Impfstoff zur Verhinderung der Infektion die beste Möglichkeit, diese schwere Schädigung gar nicht erst entstehen zu lassen."
    Erste Impfstoff-Kandidaten sollen schon Ende dieses Jahres getestet werden. Die Erkenntnisse aus den Forschungen sollen auch dabei helfen, die Erkrankung im Mutterleib abzuschwächen oder zu verhindern.
    Aber auch für Kinder mit weniger drastischen Schäden, etwa mit Schwerhörigkeit, besteht Hoffnung auf Medikamente. Modrow:
    "Hier könnte man sicherlich ähnlich wie bei der Zytomegalievirusinfektion mit einer entsprechenden Therapie den ganzen Prozess möglicherweise aufhalten und damit auch therapeutisch beeinflussen. Aber das ist Zukunftsmusik, und man wird abwarten müssen, welche Möglichkeiten zur antiviralen Therapie da in den nächsten Jahren entwickelt werden."
    Detective: "1800 Fälle von Mikrozephalie bis jetzt. Dazu die hohe Dunkelziffer. Die vielen Verdachtsfälle. Werden wir Zika am Ende überführen?"
    Modrow: "Sie bräuchten wirklich sehr detaillierte Angaben: Zu welcher Woche die Schwangere Fieber aufgrund welcher Ursache entwickelt hat, und dann eine Langzeitverfolgung der Kinder und zwar großer Kohorten, da nutzt nichts vermutlich, wenn man mal hundert oder zweihundert Kinder verfolgt, sondern da braucht man große Kohorten von Zehntausenden von Kindern, um solche seltenen Ereignisse dann auch kausal mit einer Situation in der Schwangerschaft belegen zu können. Aber solche Studien sind extrem aufwändig, extrem teuer, und in vielen Fällen glaube ich auch fast nicht organisierbar und machbar, wegen der langen Zeiträume, die man hier mit einschätzen müsste."
    Detective: "Jetzt sind die Spuren heiß. Jetzt hat Zika Presse. Jetzt fließt Geld. Aber um den Fall wirklich zu lösen, müssen wir einen langen Atem haben."
    Wenn die Epidemiologen mit ihren Modellrechnungen richtig liegen, wird die Epidemie in drei Jahren wieder verebbt sein. Die Nachwirkungen aber werden noch viel länger zu spüren sein, meint David O'Connor:
    "Es wird unglaublich viel Arbeit brauchen von ganz verschiedenen Forschern, sowohl Grundlagenforschern als auch Sozialwissenschaftlern um all diese Sachen auseinanderzuklamüsern."
    Gil Mor: "Die Zahlen sind klein im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, aber dennoch sind all diese kranken Kinder eine große Belastung für die Gesellschaft. Diese Probleme treffen Gesellschaften, denen die Mittel fehlen, um diese Kinder zu versorgen. Sie werden viel Pflege brauchen, sehr viel Pflege. Das belastet die finanzielle Situation der Familien ebenso wie die ohnehin armen und leidenden Gesellschaften. Auf vielfache Weise wird das Problem wachsen."
    WHO-Generaldirektorin Margaret Chan in Genf bei der Verkündung des weltweiten Gesundheitsnotstands wegen des Zika-Virus.
    WHO-Generaldirektorin Margaret Chan in Genf bei der Verkündung des weltweiten Gesundheitsnotstands wegen des Zika-Virus im Februar 2016 (picture alliance / dpa / Salvatore Di Nolfi)
    Margret Chan: "Wir müssen umdenken, weg vom Management der Einzelfälle dahin, Kapazitäten aufzubauen, um die zusätzliche Belastung aufzufangen. Missbildungen bei Föten bedeuten herzzerreißende Belastungen für die Familien und für die Gesellschaft, die Gesundheits- und die Sozialsysteme."
    Es sprachen: Susanne Reuter, Robert Dölle, Juan Carlos Lobo und Marion Mainka
    Ton und Technik: Andreas Fulford
    Regie: Claudia Kattanek
    Redaktion: Christiane Knoll