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"Zille war politisch schwierig für den Nationalsozialismus"

In seinen Bildern und Zeichnungen zeigte Heinrich Zille um 1900 Szenen aus dem Arbeiterleben in der wilhelminischen Hauptstadt Berlin. Während die Nazis seine Kunst zuerst verboten und als "entartet" beschlagnahmten, bedienten sie sich später der Werke des Chronisten seiner Zeit. In Berlin werden sie nun unter dem Titel "Zensur und Willkür" ausgestellt.

Pay Matthis Karstens im Gespräch mit Christoph Schmitz | 12.03.2013
    Ein Denkmal für Heinrich Zille steht in Berlin neben dem Märkischen Museum Am Köllnischen Park.
    Ein Denkmal für Heinrich Zille steht in Berlin neben dem Märkischen Museum Am Köllnischen Park. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Christoph Schmitz: Den Alltag des Proletariats im Berlin um 1900 hat er als Grafiker, Maler und Fotograf festgehalten, mit sehr viel Witz, einer ordentlichen Portion Lokalpatriotismus und nicht wenig sozialkritischem Biss – Heinrich Zille, 1858 bei Dresden geboren, aufgewachsen in der bitterer Armut einer Arbeiterfamilie, Lithografenausbildung in Berlin, erst mit über 50 freischaffender Künstler in der wilhelminischen Hauptstadt. Mit Zeichnungen in einer Ausstellung der "Berliner Sezession" unter Max Liebermann 1901 hatte Zille für Aufsehen gesorgt. "Wenn ick will, kann ick Blut in den Schnee spucken …", rühmt sich in einer Zille-Zeichnung ein kleines TBC-krankes Mädchen gegenüber der Mutter. "Der Kerl nimmt einem ja die janze Lebensfreude", kommentierte ein Offizier in einer Zille-Ausstellung. Zille: der Chronist des "Miljöhs", der sogenannten kleinen Leute, der Ausgebeuteten – er ist auch einmal gerne vereinnahmt worden von verschiedenen Ideologen. Eine Ausstellung in Berlin: im Museum Charlottenburg-Wilmersdorf, also in dem Stadtteil, wo Zille bis zu seinem Tod 1929 gelebt hat, ist ab kommendem Wochenende eine Kabinettausstellung zu sehen unter dem Titel "Zensur und Willkür. Das Werk Heinrich Zilles im Nationalsozialismus". Was haben die Nazis mit Zille gemacht, habe ich den Kurator gefragt: Pay Matthis Karstens.

    Pay Matthis Karstens: Sie haben sich erst einmal der Strategien bedient, die in der Weimarer Republik schon aktuell waren. Es gibt eine Geschichte von Verboten, eine Geschichte von Verfemungen, das Werk Heinrich Zilles betreffend, und das lief erst einmal relativ stringent weiter. Das heißt, es kam zu Verboten, ein Zille-Film wurde verboten, die Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus wurde entfernt, es kam zu Verboten und Beschlagnahmungen der Bücher und später wurde dann ein Werk als entartet beschlagnahmt. Das setzt sich etwa bis 1937 mehr oder weniger stringent durch, also es kommt zu extrem vielen willkürlichen Zensurmaßnahmen. Und dann schlägt das letztlich um, also es kommt dann zu einer propagandistischen Indienstnahme des Künstlers und seiner Werke: Bücher werden umgeschrieben, die werden verfälscht, und es kommt dann eben auch zu einer neuen Zille-Ausstellung, in der dann dieser propagandistisch umgedeutete, neu interpretierte, für dieses neue Staatssystem aufgeschlossene Zille präsentiert wurde.

    Schmitz: Wie kam es denn zu diesem Wandel in der Rezeption unter den Nazis?

    Karstens: Das ist das Spannende. Wir können es noch immer nicht genau sagen, es ist nicht gänzlich erforscht. Wahrscheinlich ist es einfach Ausdruck der Zensur und Willkür in dieser NS-Diktatur. Das heißt, dass es einfach keine Entscheidungsträger gab, die zentral diesbezüglich entschieden haben, ob Heinrich Zille jetzt eben verboten wird, ob er in Dienst genommen wird, und wahrscheinlich war es das Interesse einzelner, vermutlich sogar Privatpersonen. Das heißt, es lässt sich zum Beispiel nachweisen, dass einzelne Autoren ein Interesse daran hatten, ihre Publikation auf dem Markt zu halten, also rein wirtschaftliche Interessen, die da mit reinspielten, und offenbar konnten sie das 1937 langsam durchsetzen, wenngleich es immer noch zu Verfemungen der Werke kam.

    Schmitz: Was haben die Nazis konkret aus Zille gemacht, einen völkischen Beobachter mit Zeichenstift?

    Karstens: Ja, so ungefähr. Sie haben ihn nicht als völkischen Künstler genutzt, das ist das Spannende, sondern sie haben seine Werke als Ausdruck einer Welt genutzt, die der Nationalsozialismus abgelöst hat. Das heißt, sie haben gesagt, schaut euch diese Bilder an, das ist etwas, was dieses neue System ersetzt hat, und da gibt es ganz schöne Zitate. Wer Zille-Typen sucht, also heute im Nationalsozialismus, der findet sie nicht, denn aus diesen Proleten sind deutsche Jungen, deutsche Mädels, deutsche Frauen, deutsche Männer geworden. Das heißt, man hat also diese Zille-Typen bedient und gesagt, das ist die Negativfolie für unser System, das ist das, was wir abgelöst haben, deswegen gibt es quasi den Nationalsozialismus, weil es in der Weimarer Republik so ausgesehen hat, wie Zille es gezeigt hat.

    Schmitz: Und warum haben sie Zille vorher nicht gemocht? War er ihnen zu sozialkritisch?

    Karstens: Es sind zwei Sachen, die zusammenkommen. Zille war politisch schwierig für den Nationalsozialismus. Er war immer eher kommunistischer eingestellt und liebäugelte also mit der Opposition in der Weimarer Republik der Nationalsozialisten, und dadurch war er einfach erst mal nicht zu gebrauchen. Er war in einer Künstlerklicke, wenn man das mal so sagen darf, die dem Nationalsozialismus nicht so geneigt war. Das heißt, da gehörten Käthe Kollwitz zu, da gehörte Otto Nagel dazu, Hans Baluschek und wie sie alle heißen, also eine kritische Stimme, eine proletarische Stimme, mit der sich der Nationalsozialismus auch nicht angefreundet hat und die er eben unter anderem als entartet auch verfemt hat.
    Der andere Grund ist eben, dass diese Bilder ja keine heldischen Menschen zeigen, wie sie eigentlich für die Propaganda gedacht waren, sondern das sind ja ärmliche Gestalten, das sind Figuren, die Objekte ihrer Umgebung sind, und das passte natürlich nicht zu dem Postulat eines neuen Staatssystems, einer neuen Ausrichtung, eines neuen Menschen, solche armen Gestalten, die sich nicht im Griff haben, die nicht über sich selbst bestimmen können.

    Schmitz: Herr Karstens, noch ein Wort zu Ihrer Ausstellung, die Sie kuratiert haben. Was zeigen Sie, welche Dokumente haben Sie?

    Karstens: Wir zeigen eben nicht nur Dokumente, sondern vor allem die Bilder aus den Büchern. Das heißt, es geht vor allem um die Publikationen Heinrich Zilles, die zu Anfangs verboten wurden und dann eben später neu aufgelegt wurden, und wir haben ausfindig gemacht: wo sind die Bilder heute. Was waren das für Bilder, die erst den nationalsozialistischen Ideologien widersprachen und die dann später in Dienst genommen wurden? Und um mal ein Objekt herauszugreifen, das ganz besonders spannend ist: Das sind zwei Glasfenster von Heinrich Zille, die während des gesamten Dritten Reiches zu sehen waren, in Berlin in einer Kneipe. Die hatte Heinrich Zille für den Kneipenwirt bemalt und diese Bilder waren durchweg zu sehen, egal ob etwas verboten wurde, oder gerade umgedeutet war. Das war quasi eine Konstante, und die haben wir in unsere Ausstellung geholt. Das heißt, da gibt es einen schönen Guckkasten und da können Sie jetzt diese beiden Glasfenster, die tatsächlich auch den Bombenterror in Berlin überlebt haben, betrachten.


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