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Zimmermann: Mit Roter Liste um jede einzelne Kultureinrichtung kämpfen

Auf der Roten Liste des Deutschen Kulturrats stünden gegenwärtig vier Einrichtungen, die geschlossen wurden oder davon bedroht sind, sagt Olaf Zimmermann. Auch wenn es gegenwärtig nur so wenige Einrichtungen seien, wolle man sich gegen die Ausdünnung von beispielsweise Kulturinitiativen wehren. Diese seien nicht wiederzubringen.

Olaf Zimmermann im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 03.07.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Hallo, Herr Zimmermann!

    Olaf Zimmermann: Ich kann Sie gut hören!

    Müller-Ullrich: Ja wunderbar! Das war ja bis vor ein paar Sekunden noch unsicher. - Sagen Sie, ist das, was wir da eben gehört haben von Thomas Migge über das Teatro Valle, nicht ein Beweis, dass quirliges Kulturleben auch ohne Subvention oder sogar durch Subventionsentzug zustande kommt? Und weil Sie diese Frage sicherlich schockierend finden, gebe ich Ihnen jetzt noch eine kurze Erholungspause und sage, dass wir am Telefon mit Olaf Zimmermann verbunden sind, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, und dass der Kulturrat gerade eine Rote Liste der bedrohten Kultureinrichtungen veröffentlicht hat, über die wir gleich reden wollen. Aber erst mal zu meiner ersten Frage: Macht sie der Erfolg des Teatro Valle Occupato nicht auch nachdenklich?

    Zimmermann: Also erst mal: nicht nur dort, wo öffentliche Finanzierung hineinfließt, entsteht gute Kultur, sondern sogar zu einem ganz, ganz erheblichen Teil entsteht die Kultur auch im ganz normalen privaten Umfeld, oder auch im marktwirtschaftlichen Umfeld. Aber für viele Sachen brauchen wir halt doch auch eine öffentliche Finanzierung, und deswegen muss man immer beides haben und man muss auch die Möglichkeiten für beide Bereiche schaffen, damit sie gut funktionieren können. Und ich kann nur sagen: herzliche Gratulation, wenn es auch ohne öffentliche Finanzierung funktioniert.

    Müller-Ullrich: Also es ist klar: Der Kulturrat muss sich natürlich dafür einsetzen, dass es diese Finanzierung gibt. Jetzt sind Sie da auf ein Ding verfallen, das wir vom Artensterben her kennen: die Roten Listen der aussterbenden Tier- und Pflanzenarten und was es da alles gibt. Diese Fixierung auf den Tod ist ja auch immer sehr moralisch aufgeladen. Jetzt veröffentlichen Sie eine Rote Liste der bedrohten Kultureinrichtungen. Was steht denn da drauf, wie viele sind es?

    Zimmermann: Also wir fangen da ganz langsam an. Wir haben jetzt bei der ersten kleinen Veröffentlichung vier Kultureinrichtungen vorgestellt, das heißt eine Kultureinrichtung, die wirklich unter die Kategorie null fällt, das heißt, die ist geschlossen worden, oder im Tierreich oder bei den Pflanzen, da würde man sagen, die ist ausgestorben. Dann haben wir zwei Kultureinrichtungen, die von der Schließung oder eben vom ausgestorben sein bedroht sind. Und die dritte Kultureinrichtung, die wir vorstellen, die ist gefährdet.

    Müller-Ullrich: Und welche sind das so zum Beispiel?

    Zimmermann: Also jetzt die, die geschlossen wurde, ist die Theaterburg Roßlau, das ist eine ganz spannende Produktion in Sachsen-Anhalt gewesen, leider wird die in diesem Jahr nicht stattfinden und wir hoffen natürlich, indem wir jetzt auch deutlich machen, in diesem Jahr ist sie geschlossen worden, wird es dort keine Theaterproduktionen mehr geben, dass man die Chance hat, möglicherweise im nächsten Jahr etwas zu verbessern. - Oder wir haben das Archiv der Jugendkulturen in Berlin in den Status "gefährdet" aufgenommen, das ist eine wirklich ganz spannende Institution, die versucht, eine Information über die verschiedenen Jugendkulturen in Deutschland zu geben, aber die ist einfach gefährdet, in ihrer Existenz gefährdet, darauf versuchen wir, aufmerksam zu machen.
    Und dann haben wir zum Beispiel das Kino Streits in Hamburg, das ist von der Schließung bedroht, weil einfach der Vermieter letztendlich mehr Geld mit diesen Räumen verdienen möchte, als er es einfach damit verdienen kann, dass er es einem Kino zur Verfügung stellt, und da versuchen wir eben auch, die Finger in die Wunde zu legen und zu sagen, hier, schaut euch das einfach einmal an.
    Und wir haben ja gute Erfahrungen gemacht bei den Roten Listen, die in der Flora oder auch in der Fauna existieren. Wenn zum Beispiel gefährdete Insekten oder auch Pflanzen auf eine Rote Liste geschriebenen werden, dann macht sich Politik doch Gedanken, wie man, ich sage mal, das Habitat einfach erhalten kann, damit diese Tiere und Pflanzen auch in der Zukunft überleben können, und so erhoffen wir uns das auch jetzt bei unserer Roten Liste Kultur, dass eben auch sich Gedanken gemacht wird, wie eben das Habitat, das heißt die Finanzierung, aber auch der Umraum eigentlich gestaltet werden kann, damit es eben nicht zu einem Aussterben kommt.

    Müller-Ullrich: Herr Zimmermann, ganz kurz zum Schluss noch, weil ich einen Zahlenvergleich jetzt gar nicht probieren will. Aber vier stehen auf der Liste als gefährdet oder geschlossen, und ich weiß nicht, wie viele geöffnete Kultureinrichtungen es gibt. Aber ist das nicht ein bisschen viel Tamtam?

    Zimmermann: Nein. Es gibt Tausende geöffnete, es gibt aber auch Tausende wunderbar sich entwickelnde Pflanzen und Tiere in diesem Land, und trotzdem müssen wir um jede einzelne Art, wenn Sie so wollen, oder um jede einzelne Kultureinrichtung auch kämpfen. Das ist überhaupt kein Tamtam, sondern jede quasi ausgestorbene Kulturinitiative, Kulturprojekt, Kultureinrichtung ist letztendlich nicht wiederzubringen und sie dünnt, wenn Sie so wollen, unsere Umwelt ganz massiv aus, und dass wir uns dagegen wehren wollen, das ist, glaube ich, absolut notwendig und wir wollen gerade mit dieser Roten Liste eben auch zeigen, dass es auf jede einzelne Einrichtung ankommt.

    Müller-Ullrich: Okay. - Danke, Herr Zimmermann. - Olaf Zimmermann war das, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der wahnsinnig viel unterwegs ist, deswegen nur am Handy sprechen kann. Vielleicht sollte man Festnetztelefone auch auf die Liste der aussterbenden Arten setzen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.