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Zirpen für die Neuroforschung

Biologie. - Was sind die physiologischen und morphologischen Korrelate unseres Verhaltens? Dieser Frage gehen Neurowissenschaftler des Zoologischen Instituts an der Universität Göttingen nach. Allerdings sind ihre Probanden dabei keine Menschen oder nahe verwandte Menschenaffen, sondern schlichte Heuschrecken. Mit Hilfe der Insekten untersuchen die Forscher die Wege von biochemischen Mechanismen bis hin zu einem komplexen Verhalten.

    "Männliche Feldheuschrecken benutzen akustische Signale, charakteristische Bewegungen oder kurze Flüge, um Weibchen zur Paarung anzulocken", beschreibt Ralf Heinrich vom Zoologischen Institut der Universität Göttingen. Das Prinzip dabei sei, dass dem Weibchen das Nervensystem des werbenden Männchens um so intakter erscheine, je komplexer das Werbungsritual ausfalle. Kurz gesagt, hinter einem imposanten Tanz müssen sich ein gesunder Geist und gesunde Gene verbergen - also ein attraktiver Partner, damit die Nachkommen in der Evolution bestehen. Allerdings macht der Göttinger Biologe seine Beobachtungen nicht auf der grünen Wiese - seine Heuschrecken sind vielmehr in einer kleinen Apparatur festgeklemmt, in der an dem bereits freigelegten Gehirn direkt nach den Schaltkreisen für ein bestimmtes Verhalten gesucht werden kann.

    Obwohl aus dem Lautsprecher das Zirpen weiblicher Heuschrecken ertönt, genügt dies nicht, um die Fantasie der männlichen Heuschrecken auf Touren zu bringen und sie bleiben erst einmal stumm: "Um die Motivation eines Männchen für einem Balzgesang zu erhöhen, können wir bestimmte Substanzen in das zentrale Nervensystem einspritzen. Je nach Substanz reicht dann das Vorspielen des weiblichen Gesangs alleine aus, um das vollständige, einstündige Werberitual des Männchen auszulösen", erläutert der Wissenschaftler. Acetylcholin ist jenes anregende Molekül, dass Heuschrecken-Männer mobil macht. Auch beim Menschen verrichtet der Botenstoff wichtige Dienste, vor allem bei der Informationsübertragung von Nerven auf Muskelfasern. Im Insektenhirn ist das Acetylcholin allerdings weit vielseitiger: Dort vermittelt es Impulse zwischen verschiedenen Nervenzellen und verändert über größere Zeiträume die Reaktionsbereitschaft von Neuronen. Diese Neuromodulation entspricht der Motivation für ein bestimmtes Handeln, etwa das Balzritual, auf zellulärer Ebene.

    Die feine Justierung vieler unterschiedlicher Nervenzellen durch einen Botenstoff wandelt einen reflexiven Antwortmechanismus, bei dem quasi jedes Zirpen mit einer Paarungsbewerbung beantwortet würde, in ein viel komplexeres Bewertungsinstrument. Nur wenn die Gesamtsituation für die Paarung günstig ist und sich dies in einer acetycholinvermittelten Vorbereitung verschiedener Nervenzentren widerspiegelt, setzt das Balzverhalten der männlichen Heuschrecke wirklich ein. Im Labor kann Ralf Heinrich diesen Vorgang bis tief in die Maschinerie des Gehirns verfolgen und über Arzneien fördernd oder hemmend beeinflussen. Erstes Ergebnis dieser Forschungen: Die Motivation zu ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen scheint biochemisch überwiegend einheitlich geregelt zu sein. Ralf Heinrich ist daher sicher, sehr ähnliche Mechanismen auch beim Menschen wiederzufinden - wenngleich in einem viel komplexeren Zusammenspiel.

    [Quelle: Volkart Wildermuth]