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Zittern, demonstrieren, agitieren

US-Außenministerin Condoleezza Rice hat vor ihrer Reise in den Nahen Osten die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand erneut zurückgewiesen. Diese kategorische Ablehnung geht auch auf den Einfluss jüdischer Interessengruppen in Washington zurück, die in den vergangenen Jahren eine effiziente Lobby-Maschinerie aufgebaut haben.

Von Jens Borchers |
    Sie führen eine erbitterte Debatte. Wer hat mehr Recht auf Selbstverteidigung – Israel, die Palästinenser? Wer hat welche Reaktion provoziert – Israel, die Palästinenser, die Hisbollah? Ein paar hundert Menschen sind an diesem Mittag auf die Freedom-Plaza in Washington gekommen. Sie tragen israelische Fahnen. Große Plakate verkünden: "Amerika steht zu Israel".

    Die meisten Demonstranten sind amerikanische Juden. Kongressabgeordnete kommen auf ein paar Minuten vom nahe gelegenen Kapitol herüber, um ihre Unterstützung zu zeigen. Sprecher beschreiben die Kriegsziele Israels:

    "Wir werden die Kommandostationen des Hisbollah unschädlich machen. Ihre Kommunikationsmöglichkeiten. Wir werden die gesamte Struktur der Hisbollah auseinander nehmen..."

    Eine kleine Delegation der "Christen für Israel" ist mit dabei.

    "Ich bin hier, um Israel zu unterstützen. Christen für Israel hat 3400 Mitglieder überall in den USA. Und wir wollen, dass Amerika weiß: Wir brauchen Israel, deshalb müssen wir für Israel einstehen. Denn wenn die Terroristen ihren Willen in Israel durchsetzen, dann haben wir sie irgendwann auch hier."

    Das ist keine spontane Demonstration am achten Tag des offenen Krieges zwischen Hisbollah und Israel. Julie Weingrad hat sie organisiert. Julie arbeitet beim Rat der Jüdischen Gemeinschaft in Washington. Sie ist Amerikanerin jüdischen Glaubens, ihr Mann Israeli:

    "Wir hatten das Gefühl, dass es wichtig ist Solidarität mit Israel zu zeigen. Dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung hat und tut, was auch immer notwendig sein sollte, um Ehud, Aldot und Gilad zu befreien."

    Ehud, Aldot und Gilad – das sind die Namen der entführten israelischen Soldaten. Julie Weingrad und ihre Organisation sind Teil einer extrem effizienten Lobby-Maschinerie, die das amerikanische Judentum aufgebaut hat. Die verschiedenen Gruppierungen arbeiten in Krisensituationen wie dieser eng zusammen. Julie steht bei der Demonstration Seite an Seite mit David Bernstein vom American Jewish Comittee. Ich treffe David am Tag nach der Demonstration in seinem Büro. Der 39-Jährige wirkt energisch, dynamisch, unter Druck. Wegen der politischen Situation, aber auch wegen seiner Familienangehörigen in Israel:

    "Viele von denen, die in Haifa leben, sind zu Verwandten gezogen, die in Tel Aviv oder Jerusalem leben. Sie versuchen den Raketenangriffen im Norden auszuweichen. Viele meiner Freunde sind zurzeit in Israel, sie sagen sie fühlen sich in Tel Aviv und Jerusalem sicher."

    David Bernstein ist politischer Lobbyist. Als Vertreter des American Jewish Comittee in Washington knüpft er Kontakte, spricht mit Kongressabgeordneten und vertritt offensiv die Positionen Israels. Wie geht das, frage ich, wie kommen Sie an die Politiker heran?

    "Ein Kernelement unserer Organisation ist: Wir glauben, dass Beziehungen vor Themen rangieren. Es geht immer erstmal darum, intensive Beziehungen aufzubauen. Nicht aufgrund eines konkreten Themas, sondern auf der Basis gemeinsamer Werte. Menschenrechte. Demokratie. Und jetzt, in einer Zeit großer Gefahr, haben wir Zugang zu einer ganzen Reihe von Leuten."

    Senat und Kongress haben Resolutionen verabschiedet und erklären ihre Solidarität mit Israel. Das American Jewish Committee hat dazu aufgefordert, aber David sagt, diese Resolutionen hätte es auch so gegeben. Schließlich ist das American Jewish Committee gerade 100 Jahre alt geworden. Es gilt als eine Art "Außenministerium” des amerikanischen Judentums. Es verfügt über exzellente Kontakte: Zum amerikanischen Kongress, zum Weißen Haus und zu vielen anderen Regierungen. Beim Festakt zum 100-jährigen Bestehen der Organisation kamen im Mai mehr als 2000 prominente Gäste: Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Bush und der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Sie alle kommen, wenn das Komitee feiert. Und sie haben immer ein offenes Ohr wenn es etwas zu sagen hat. So wie jetzt im Krieg. David Bernstein kennt die gängigen Argumente, er antwortet eloquent und offensiv. Beispielsweise auf die oft gestellte Frage: Ist die Antwort der Israelis auf die Entführungen durch die Hisbollah nicht übertrieben, unangemessen:

    "Was wäre denn angemessen? Wenn Israel angemessen reagieren würde – wäre das die Entführung von Kämpfern, so wie Hisbollah unsere Soldaten gekidnappt hat. Hätte Israel dann wahllos Teile des Libanon und seiner Zivilbevölkerung bombardiert so wie Hisbollah das tut?"

    In den USA hat es in den vergangenen Monaten Kritik an der jüdischen Lobby gegeben. Die habe zu viel Einfluss auf die Politik, schrieben zwei renommierte Wissenschaftler in einem Aufsatz. Gemeint war vor allem die Organisation AIPAC – Das Amerikanisch-Israelische Komitee für öffentliche Angelegenheiten. AIPAC gilt als die vielleicht einflussreichste Lobby-Gruppe der USA. Kritiker wie der Harvard-Professor Stephen Walt beschreiben AIPAC so:

    "AIPAC ist extrem gut organisiert und verfügt über viel Geld. Sie kanalisieren sehr geschickt Wahlkampfgelder an amerikanische Politiker, die Israel unterstützen, und wenden sich gegen diejenigen, die das nicht tun. Sie verwenden viel Zeit auf den amerikanischen Kongress, sie füttern Parlamentarier mit Argumenten. Andere Organisationen die zu AIPAC gehören, fordern jeden heraus, der Israel-kritisch ist, damit Israel in einem vorteilhaften Licht erscheint. Dieses Vorgehen unterscheidet sich nicht von dem anderer Lobby-Gruppen. Nur ist AIPAC extrem effektiv."

    So etwas hört Julie Weingrad vom Rat der Jüdischen Gemeinschaft in Washington überhaupt nicht gern. Für sie ist die Israel-Lobby der USA etwas ausschließlich Positives:

    "Ich unterstütze die Israel-Lobby voll und ganz. 1941 kam David Ben Gurion in die USA. Er blieb zwei Monate und konnte nicht mal einen Termin beim Präsidenten bekommen. Damals wurden Millionen Juden umgebracht. Heute würde das nicht mehr vorkommen. Wegen der Israel-Lobby. Heute haben wir eine Stimme in den USA die sagt: Wir unterstützen Israel. Ich glaube, die Israel-Lobby drückt nur das aus, was die Mehrheit der Amerikaner ohnehin empfinden. Sie unterstützen Israel. Israel und Amerika – das ist ein und dasselbe."

    So sieht Julie Weingrad das Verhältnis zwischen Amerika und Israel, deshalb meint sie auch, die Amerikaner müssten Israel im aktuellen Krieg schützen und stützen. Deshalb gehen die Mitglieder der Organisationen des amerikanischen Judentums auf die Straße und halten ihre Schilder hoch: "Amerika steht zu Israel." Eine Aufforderung und eine – bisher – eine Tatsache zugleich. Nur teilen sie längst nicht alle Amerikaner.