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Zittern statt Profit

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Christiane Reymann |
    "Angst ist immer noch ein Tabu-Thema in der deutschen Wirtschaft."

    Darauf stößt Wolfgang Stegmann Tag für Tag. Als Betriebswirt - nicht als Psychologe - befasst er sich mit Angst am Arbeitsplatz. Er weiß: Dieses Gefühl wird verneint, verdrängt, verschwiegen.

    "Wir haben ungefähr 2 500 Führungskräfte aller Hierarchie-Ebenen befragt und haben ganz interessante Antworten bekommen z.B. von Vorstandsvorsitzenden deutscher Aktiengesellschaften. Der eine hat gesagt: Angst ist ein Wort, das ich überhaupt nicht kenne. Ein anderer hat gesagt: Angst hat mit Betriebswirtschaft überhaupt nichts zu tun. Und ein Dritter: Bei dem vielen Geld, das meine Manager verdienen, können die sich überhaupt keine Angst leisten."

    Ein folgenschwerer Fall von Täuschung und Selbsttäuschung. Denn: Angst kann man zwar leugnen, aber sie ist da - und sie schmälert den Profit.

    Über 100 Milliarden Mark verliert die deutsche Wirtschaft jedes Jahr, weil Beschäftigte Angst haben. Das haben Wolfgang Stegmann und Winfried Panse, Professor an der Fachhochschule Köln, errechnet. Seit 12 Jahren untersuchen sie menschliche Emotionen in Betrieben. Ihr Schwerpunkt ist der Kostenfaktor Angst. So heißt auch ihr Buch.

    Die beiden Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis: Kurzfristig kann Angst zu Höchstleistungen antreiben. Langfristig zerstört sie Fähigkeiten und Fertigkeiten. Mitarbeiter, die vor ihrem Vorgesetzten zittern oder um ihren Arbeitsplatz bangen, arbeiten zwar zunächst mit mehr Einsatz, auf längere Sicht aber bauen sie ab. Ihre Angst führt zu Fehlzeiten, Alkohol- und Tablettenmissbrauch, innerer Kündigung, hoher Fluktuation, sie werden krank. Wolfgang Stegmann:

    "Natürlich ist ganz deutlich in den letzten Jahren die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Das ist die am häufigsten genannte Angst. Dann an zweiter Stelle die Angst vor Krankheit und Unfall und dann Angst vor Konkurrenten, Angst, den Mitarbeitern nicht mehr gerecht zu werden, Angst vor internationaler Zusammenarbeit, Angst vor Innovationen, also Angst davor, dass neue Technologien, sprich: Computertechnologien, Computervernetzungen eingeführt werden. Angst davor, dass man mit neuen Organisationsformen nicht zurecht kommt. Also es ist eine Vielzahl von Ängsten, die uns da begegnet."

    Manche Ängste sind sinnvolle Warnsignale. Sie schützen vor Fehlern. Andere Ängste können zerstörerisch sein.

    Nach einer Studie des Zentralinstituts der kassenärztlichen Vereinigung leiden 11 Millionen Menschen in Deutschland unter schweren Angststörungen. Ihre Lebensqualität, ihre Leistungsfähigkeit sind ernsthaft beeinträchtigt.

    Gegen Ängste kann man etwas tun, auch und gerade in Betrieben. Wenn sie dort entstehen, müssen sie dort bearbeitet werden. Dafür gibt es das Angstmanagement. Ein Beispiel:

    "In einem Unternehmen der Autozulieferindustrie waren über 80 Prozent der Beschäftigten der Meinung, dass ihnen Nachteile drohen, wenn sie offen ihre Meinung sagen. Wenn ich aber Angst habe, offen meine Meinung zu sagen, dann geht alles, was ich an kreativem Potenzial habe, dem Unternehmen verloren. Dann gehe ich lieber in den Kaninchenzuchtverein und bringe da meine Ideen ein oder im Hausbau oder in Nachbarschaftshilfe oder sonst wo, aber ich bringe es nicht im Unternehmen ein, wenn mir dadurch Nachteile drohen."



    In diesem Fall zielt Angstmanagement auf ein offenes Klima. Davon profitiert das Unternehmen, das die Kreativität seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommt. Davon haben die Beschäftigten etwas, wenn ihre Meinung gefragt ist.

    Bei anderen Ängsten ist nur Schadensbegrenzung möglich; das trifft vor allem auf die Angst Nummer eins zu: die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.

    Dazu ein Beispiel von Pixelpark, dem größten Internet-Dienstleister Deutschlands. Die Bertelsmann-AG als Mutter im Rücken, hat Pixelpark 1 200 Beschäftigte in Deutschland und noch einmal 500 weltweit.

    Als Teil der New Economy geriet Pixelpark im vergangenen Jahr voll in den Abwärtsstrudel. Die Aktien fielen von 180 Euro ins Bodenlose. Die Unternehmensleitung wählte den traditionellen Weg, sie kündigte Entlassungen an. Die Belegschaft war wie gelähmt, erinnert sich Markus Kempken, er ist Art Director.

    "An aller erster Stelle war natürlich die Angst um den Arbeitsplatz. Das ist jetzt einfach das drängendste Problem, nicht nur für die tatsächlich Betroffenen, sondern für alle hier, an jedem Standort, weil die Geschäftsleitung einfach nicht gesagt hat, wer ist dran."

    Die drohenden Entlassungen waren für die Pixels der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Sie wählten im April dieses Jahres einen Betriebsrat. Seitdem ist Markus Kempken auch Betriebsrat.

    "Wir haben sehr darüber diskutiert, warum die Geschäftsleitung bestimmte Informationen gibt und andere überhaupt nicht gibt, wo sozusagen jeder sehen konnte, diese Situation, diese schlechte Informationssituation, ist gar nicht gut für den Laden als Ganzes. Aber darüber zu spekulieren, wäre müßig. Es ist tatsächlich so, so lange keine Entscheidungen getroffen bzw. bekannt gemacht werden, lähmt das die Arbeit natürlich sehr. Und man kann von niemandem verlangen, dass er sich dermaßen für seinen Job einsetzt, wenn er nicht weiß, wie lange er ihn noch hat."

    Im Fall von Entlassungen empfiehlt der Betriebswirt Wolfgang Stegmann:

    ".....einen harten, schnellen Schnitt. Da ist es auf jeden Fall sinnvoll, einen schnellen Schnitt zu machen."

    Einige müssten zwar gehen, der Rest der Belegschaft aber würde nicht länger leiden und die Bilanz des Betriebes sähe besser aus.

    Psychosomatiker können inzwischen empirisch belegen, wie schlimm die Angst vor Arbeitsplatzverlust ist. Besonders häufig treten Stimmungslabilität auf, das Gefühl der inneren Leere, Selbstunsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle, Schlafstörungen, Mattigkeit, gespannte Erschöpfung, leichte Ermüdbarkeit, depressive Verstimmungen........

    Diese Leiden greifen um sich; nicht nur wegen der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit. Die Struktur der Wirtschaft verändert sich - und das ängstigt auch gut ausgebildete Beschäftigte. Im Zuge von Konzernbereinigungen werden Unternehmensteile abgestoßen, verkauft oder geschlossen. Betriebe besinnen sich auf ihre Kernbereiche, sie verlagern Teile nach außen: Sogennates "Outsorcing" findet in großem Maßstab statt. Arbeiter und Angestellte müssen sich umstellen. Von ihnen wird mehr Selbständigkeit verlangt und mehr Eigenverantwortung im Team.

    "Es gibt die Tendenz, dass im Arbeitsleben und auch im Leben insgesamt die individuelle Verantwortlichkeit für die eigene Biografie zunimmt. Und im gleichen Maß wächst dann auch die Angst vor dem persönlichen Versagen. Das heißt, das Versagen oder das Scheitern wird einem selbst zugeschrieben."

    Und man schreibt sich das Scheitern selbst zu. Von Berufs wegen befasst sich Michael Ertel mit allem, was im Job krank macht. In der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ist sein Spezialgebiet die Stressforschung.

    Was Michael Ertel Stress nennt, enthält viele Aspekte von Angst.

    "Das wesentliche Merkmal von Stresssymptomen sind Gefühle der Überforderung, dass eine Aufgabe, die gestellt wird bei der Arbeit, mit den Möglichkheiten, mit den Ressourcen, den Kapazitäten, die man selbst hat, nicht bewältigt werden können. Das ist nicht so leicht messbar."

    Aber die Menschen sind da, die berichten können, was Überforderung mit ihnen macht.

    "Der Druck steigt noch dadurch, dass ich inzwischen so viele Dinge vernachlässigt habe, dass ich nun Angst haben muss, die Kontrolle über meine Projekte zu verlieren.......Mich regiert die blanke Angst."

    Das schreibt eine erfolgreiche Projektleiterin von IBM. Sie arbeitet unter den neuen Formen der Arbeitsorganisation; Soziologen nennen das indirekte Steuerung. Nicht mehr die Arbeitszeit wird kontrollliert, sondern das Ergebnis. Die Mitarbeiter entscheiden selbst, wie sie am schnellsten, billigsten und besten zu dem Ziel kommen, das die Zentrale vorgegeben hat. Diese neue Freiheit in der Arbeit erleben sie als.....

    "......eine Mischung aus ganz toll, ganz schlimm."

    Sagt Wilfried Glissmann. Er ist Betriebsratsvorsitzender von IBM Düsseldorf.

    "Diese ganze Marktdynamik wird unmittelbar auf die Mitarbeiter übertragen. Aber es ist eben eine Mischung aus ganz toll, ganz schlimm. Man muss beide Seiten sehen."



    Offen über die ganz schlimme Seite können sich die meisten Beschäftigten nur unter dem Schutz der Anonymität mitteilen, denn: Wer ein Problem benennt, wird zum Problem!

    Zählt nicht mehr die Arbeitszeit, sondern das Ergebnis, dann ist der nächste Schritt nicht mehr weit: Die Arbeit nimmt kein Ende. Sie wird maßlos, so wie bei dieser Projektmanagerin aus einem IT-Betrieb.

    "Ich wache nachts auf und klebe mir schweißgebadet kleine gelbe Heftzettelchen auf die Stirn...Ich treffe mich samstags nicht mehr mit Freunden, damit ich nicht am Sonntag übermüdet rumhänge und mich bei meiner Arbeit nicht so quälen muss...

    Ich selber bin es, die ihre Projekte, vielleicht gerade, weil diese in so nervenaufreibender Zusatzarbeit konzipiert und begonnen wurden, nicht platzen lassen will."


    Diese Managerin hat die Arbeit mit nach Hause genommen. Die Arbeit ist mit ihr ins Bett gekrochen. Und mit der Arbeit die Angst.

    Angst ist zwar keine gesetzlich definierte Berufskrankheit, erklärt Michael Ertel von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

    "Es gibt mehr dieses Problem, dass zunehmend die Grenzen zwischen Arbeit und arbeitsfreier Zeit, der Freizeit, verschwimmen. Das heißt, dass die Menschen Probleme aus der Arbeit in die arbeitsfreie Zeit mitnehmen, dass sie nicht mehr abschalten können, das wird dann vor allem schwierig und krankhaft, wenn es zu einem Dauerzustand wird."

    Schon jeder zweite Beschäftigte kann nach der Arbeit nicht mehr richtig abschalten. Ein Drittel aller Berufstätigen klagt über ständige Überlastung.

    Jeder von ihnen erlebt Angst auf eine ganz eigene Weise. Hinzu kommt: Jeder Mensch reagiert auf die gleiche Situation anders. Der eine ist ängstlich, der andere eher aggressiv, der dritte vollkommen cool. Das erschwert allgemeine Aussagen über Angst am Arbeitsplatz. Sie erscheint zunächst als individuelles Problem.

    Auf dem Stand war der Betriebsrat von IBM Düsseldorf, als er begann, sich mit den neuen Formen der Arbeitsorganisation im Betrieb auseinanderzusetzten. Jetzt sieht Wilfried Glissmann das anders.

    "Weil wir dann festgestellt haben, das sind zwar individuell ganz verschiedene Erfahrungen, aber sie haben einen gemeinsamen Nenner oder sie haben gemeinsame Ursachen. Aber jedes Individuum erlebt diese Probleme auf eine ganz individuelle Weise, das macht die Sache so schwierig."

    Wie groß Ängste sind, zeigt erst ein genauerer Blick auf das Wohlbefinden der Menschen.

    "Die leidende Seele teilt sich über den Körper mit über bestimmte Symptome."

    Die sind der Unternehmensberaterin Doris Kirch vertraut von den Führungskräften, mit denen sie Angstmanagement einübt.

    "Zu diesen Symptomen gehören in erster Linie Schlafstörungen, d.h. abends nicht einschlafen können, nachts nicht durchschlafen können, Kopfkino, Gedanken, die kreisen, die sich immer wiederholen, Albträume, Verdauungsstörungen, Magenschmerzen, Herzrasen, Atemnot, Zittern, innere Unruhe, Verkrampfungen, es macht sich also höchst körperlich bemerkbar."

    Verhallen die Warnsignale ungehört, kann der verhängnisvolle Kreislauf beginnen: Man trinkt abends ein Gläschen zur Entspannung, dann werden es sechs, acht, zehn. Kreisen die Gedanken dann immer noch um die Arbeit, wird der kleine Schlafhelfer geschluckt.

    Laut Langzeitstudien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind fast acht Millionen Menschen in Deutschland alkoholkrank oder alkoholgefährdet. 4,3 Millionen Beschäftigte trinken Alkohol am Arbeitsplatz.

    "Und die Deutsche Zentralstelle für Suchtgefahren in Hamm, die berechnet immer bis zu 80 Milliarden Mark Schaden jährlich durch Alkoholkonsum für die deutsche Wirtschaft. Wenn sie jetzt bedenken, dass etwa 60 Prozent der Menschen Alkohol trinken, um Ängste zu reduzieren, dann sind sie ganz schnell bei 48 Milliarden Mark für die gesamte Wirtschaft."

    Das ist der erste Teil vom "Kostenfaktor Angst". Der nächste entsteht laut Wolfgang Stegmann durch extensiven Tablettenkonsum.

    7,1 Millionen Männer und Frauen nehmen wenigstens ein mal wöchentlich Medikamente mit psychoaktiver Wirkung; das sind Schmerz- oder Schlaftabletten, Mittel zur Beruhigung oder Anregung, Antidepressiva.

    "Wenn die Firma selbst sagt, die die Medikamente herstellt: Sie sind in ihrer Leistungsfähigkeit so gehemmt, dass sie besser nicht Auto fahren, dann kann man davon ausgehen, dass etwa 20 Prozent der Leistungsfähigkeit weg sind allein durch das Medikament. Das Medikament hilft, arbeiten gehen zu können, aber nicht zu 100 Prozent. Und wenn sie das hoch rechnen, kommen Sie allein, was diese Ecke anbetrifft, auf 19,8 Milliarden Mark im Jahr."

    Es sind einzelne dieser Angst-Faktoren, die sich nach den Berechnungen von Wolfgang Stegmann und Winfried Panse dann zu dem enormen betriebswirtschaftlichen Schaden von über 100 Millliarden Mark pro Jahr addieren. Mobbing gehört auch dazu.

    "Mobbing ist für uns nichts anderes, als ein Angst-Abwehrverhalten. d.h. ich habe Angst, meine innerbetriebliche Situation in irgendeiner Form zu verlieren, deshalb gucke ich mir einen aus, der die Ursache dafür sein kann, und mache dem Angst. Und die kann so weit gehen, dass derjenige krank wird. Es wird auch berichtet von Leuten, die sich umgebracht haben aus Mobbing-Gründen. Mobbing-Kosten in Deutschland bei mindestens 30 Milliarden Mark im Jahr."

    Viele Mobbing-Opfer geben schließlich auf, sie gehen.

    Eine sehr große Gruppe von Beschäftigten findet für sich einen anderen Ausweg aus der belastenden Situation im Betrieb. Sie sprechen ihm die innere Kündigung aus. Sie erscheinen zwar am Arbeitsplatz, verweigern aber dem Arbeitgeber ihre Initiative, ihre Kreativität, ihre Leistungsbereitschaft.

    In diesem Zustand befindet sich laut Untersuchungen der Universität Köln die Hälfte aller Beschäftigten.

    Die Leistungseinbußen in Folge der inneren Kündigung können bis zu 50 Prozent betragen, meint der Stressforscher Michael Ertel.

    Aus seiner Sicht tragen darüber hinaus die neuen Beziehungen in der Arbeit ihren Teil dazu bei, dass als Volkskrankheit Nummer eins, Herz-Kreislauf-Probleme weiter auf dem Vormarsch sind.

    "Das ist ein wesentlicher Unterschied zu früher, wo man sagen konnte, es gibt diesen psychologischen Vertrag: Gute Leistung wird belohnt mit Loyalität des Unternehmens gegenüber den Beschäftigten. Heute ist es aber zunehmend so, dass selbst gute Leistung und langes intensives sich Anstrengen zu keinem Erfolg führt. Und das ist eben nach Erkenntnissen der Stressforschung ein ganz wesentlicher Faktor für Erkrankungen vor allem im Herz-Kreislauf-Bereich."

    Und: Angst macht die Seele krank. Die Psyche zu heilen, dauert doppelt so lange wie die Behandlung herkömmlicher somatischer Erkrankungen, zumal man über psychische Leiden nicht spricht, schon gar nicht am Arbeitsplatz.

    Durch Fehlzeiten aufgrund psychischer Leiden verliert die deutsche Wirtschaft jährlich an die fünf Milliarden Mark.

    Das hat die IG Metall errechnet. Beim Vorstand dieser Gewerkschaft leitet Klaus Pickshaus das Referat Arbeits- und Gesundheitsschutz. Probleme zu leugnen, meint er, könne für die Mitarbeiter und den Betrieb böse Folgen haben.

    "Man hat keine Probleme, man hat nur Herausforderungen. Nach solchen dummen Sprüchen läuft das auch oft ab und über Schwächen wird nicht gesprochen. Aber jeder weiß, dass ein Mensch aus Stärken und Schwächen besteht, die man ausbalancieren muss, und das kann nicht nur individuell sein. Das muss auch betriebsöffentlich passieren. Dazu braucht man das Gespräch mit den Menschen drum herum, die möglicher Weise ähnliche Probleme haben. Wo so etwas tabuisiert wird, wo man nur Erfolgsgeschichten duldet, da wird über kurz oder lang irgend etwas schief gehen."

    Und es läuft schief - wenn nicht dort etwas getan wird, wo die Probleme und Ängste entstehen, dort, wo sie ihre Ursache haben: in den Betrieben.

    "Es gibt eben Grenzen, die man dann ziehen muss, wenn man sagt, die Belastung an sich, die Anforderung, die Aufträge sind zu hoch, die Termine sind zu knapp gesetzt. Das heißt, es wird auch zunehmend unverzichtbar sein, auf die äußeren Bedingungen, die Rahmenbedingungen, die Arbeitsanforderungen, die Vertragsverhältnisse Einfluss zu nehmen."

    Mitbestimmung ist für Michael Ertel ein Mittel gegen Angst, wenn sie Mitbestimmung über die Ziele einschließt, die Mittel, die für ein Projekt eingesetzt werden können, die Zeit, die zur Verfügung steht, die Zahl der Teammitglieder. Diese Mitbestimmung ist für den Soziologen .........

    ".....eine Umsetzung der Erkenntnis aus der Stressforschung, dass die Möglichkeit, Handlungsspielräume im Arbeitsleben zu haben, eine ganz wesentliche Bedingung ist, um leistungsfähig und gesund zu bleiben."

    Wolfgang Stegmann unterstreicht aus seiner Erfahrung mit betrieblichem Angstmanagement: Jeder Betrieb muss einzeln untersucht werden. In jedem Betrieb gibt es besondere Momente, die Angst machen. Einige allgemeine Erkenntnisse sind dabei immer richtig.

    "Das Thema enttabuisieren. Angst nicht unter den Teppich kehren, sondern aussprechen. Dann gucken, dass man bei den Beschäftigten ein Glichgewicht herstellt zwischen Leistungsanforderung und Leistungsfähigkeit, dass also nicht die Aufgabe zu groß ist und der Zeitrahmen, der Rahmen, der Spielraum, in dem man mein Beschäftigter die Aufgabe lösen kann, ganz klein gehalten wird. Das ist ein Problem, was jetzt dauernd auftritt. Es werden immer wieder Beschäftigte entlassen und es wird mit einem geringeren Personalstamm das Gleiche, teilweise sogar mehr geleistet also vorher. Und das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das macht eng. Und da haben wir einen Ursprung des Wortes Angst."

    Die Probleme sind benannt. Vorschläge liegen auf dem Tisch. Solange Angst am Arbeitsplatz allerdings ein Tabu bleibt, bleibt auch der Kostenfaktor Angst.