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Zoologie
Wie es ist, ein Vogel zu sein

Vögel sind uns Menschen in vielerlei Hinsicht ähnlich. Sie laufen auf zwei Beinen, sind am Tag aktiv und manche haben sogar Gesichter. Diese Ähnlichkeiten haben die Menschen lange Zeit blind gemacht für die besonderen Sinnesleistungen, die diesen Tieren helfen, in ihrem Lebensraum optimal zurechtzukommen. Das Buch "Die Sinne der Vögel" schaut sich an, wie sie die Welt wahrnehmen.

Von Joachim Budde | 13.08.2015
    Kea "Blacky" beißt im Zoo von Frankfurt am Main in das Objektiv eines Fotografen.
    Einen Tastsinn etwa hat man Vögeln lange Zeit komplett abgesprochen. Das ist heute anders: Inzwischen haben Forscher selbst in den Schnäbeln von Papageien empfindliche Tastrezeptoren gefunden. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    "Wenn ich ein Vöglein wär ..." – Ja, wie wäre das eigentlich? Diese Frage versucht Tim Birkhead in seinem Buch "Die Sinne der Vögel" zu beantworten. Der Ornithologe von der Universität Sheffield nimmt darin seine Leser auf zwei Reisen mit. Erstens zu den vielen Schauplätzen seiner Forschung: zu Felsen mitten im Meer, auf denen dicht gedrängt Trottellummen ihre Eier ausbrüten, oder in finstere Höhlen in Ecuador, in denen sich die Fettschwalme nur mithilfe ihrer Ohren orientieren. Parallel dazu reisen die Leser mit Birkhead zusammen in der Zeit zurück, machen einen Rundflug durch die Geschichte der Erforschung der Vogelsinne. Denn Vögel haben die Menschen schon immer fasziniert, schreibt der Biologe.
    "Wir identifizieren uns stärker mit Vögeln als mit irgendeiner anderen Tiergruppe (abgesehen von anderen Primaten und unseren Haushunden), da sich die allermeisten Vogelarten – wenn auch vielleicht nicht der Kiwi – primär auf dieselben Sinne stützen wie wir: Sehen und Hören."
    Die Faszination hat Forscher allerdings nicht daran gehindert, andere Vogelsinne bis vor gar nicht allzu langer Zeit zu übersehen oder deren Existenz in ihrer Überheblichkeit als Krone der Schöpfung geflissentlich zu ignorieren. Einen Tastsinn etwa hat man Vögeln lange Zeit komplett abgesprochen. Das ist heute anders: Inzwischen haben Forscher selbst in den Schnäbeln von Papageien empfindliche Tastrezeptoren gefunden. Ein anderes Beispiel: Wenn Enten beim Gründeln unter Wasser den Schlamm durchwühlen, benutzen sie Tastzellen, die wie winzige Zähne innen am Rand ihres Schnabels aufgereiht sind, um die Nahrung vom Dreck zu trennen.
    "Angenommen, vor Ihnen stünde eine Schale mit Milch und Müsli, zu der man eine Handvoll feinen Kies zugegeben hat. Wie gut gelingt es Ihnen dann wohl, nur die essbaren Teile zu schlucken? Hoffnungslos, vermute ich, doch genau das schafft die Ente."
    "... desto wahrscheinlicher scheint es, dass Vögel tatsächlich Gefühle haben"
    Der Autor erzählt eine Menge solcher Tiergeschichten mit Boah-Faktor. Und er zeigt dem Leser in gut verständlicher Sprache den aktuellen Stand der Forschung zum Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen und zum Magnetsinn der Vögel. Heute weiß man, dass viele Vögel dem Menschen bei all diesen sensorischen Fähigkeiten überlegen sind. Ein Bewusstsein und Gefühle sprechen viele den Tieren jedoch immer noch ab. Vermutlich zu unrecht, findet der Autor.
    "In den letzten 20 Jahren haben wir große Fortschritte gemacht, und je mehr wir herausfinden, desto wahrscheinlicher scheint es, dass Vögel tatsächlich Gefühle haben. Es ist ein schwieriges, wenn auch potenziell sehr lohnendes Unterfangen, denn dadurch, dass wir Vögel besser verstehen, deren Leben dem unsrigen in vielerlei Weise ähnelt – vorwiegend visuell orientiert, im Prinzip monogam und hoch sozial –, können wir zu einem besseren Verständnis unserer selbst gelangen.
    Vogelfreunde mit Spaß an Wissenschaftsgeschichte. Die Sinne der Vögel sind so vielfältig wie die Vogelarten. Nur leider waren Wissenschaftler lange viel zu borniert, um das zu bemerken. Mit dem Vogelforscher um die Welt zu reisen, ist ein echtes Erlebnis. Dass der Professor manchmal Angst hat, sich vor Studenten zu blamieren, macht ihn sympathisch. Ärgerlich nur, dass sein Verlag beim Lektorat gespart hat: Das Buch enthält viele nervige Tippfehler.
    Tim Birkhead: "Die Sinne der Vögel oder: Wie es ist, ein Vogel zu sein"
    Aus dem Englischen von Monika Niehaus-Osterloh
    Springer Spektrum Verlag
    231 Seiten, 24,99 Euro.