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Zornige Enten

Das Wetter ist schön, die Stimmung ist mies: Der Auftakt der Donaueschinger Musiktage wurde überschattet vom Protest gegen die geplante Fusion der SWR-Sinfonieorchester. Gleich beim Eröffnungskonzert gab es einen handfesten Eklat.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: "Leider" heißt ein Bild von Neo Rauch, gemalt vor 30 Jahren, und es zeigt eine groteske Szene, wie ein Mann und eine Frau mit irgendwelchem Modellspielzeug hantieren. Dieses Bild ziert die Plakate der diesjährigen Donaueschinger Musiktage, des weltweit ältesten Festivals für Neue Musik. Man kann das, was man auf dem Bild sieht, begrifflich hochstemmen, wie es der Festivalleiter Armin Köhler vom Südwestrundfunk tut, und sagen: "Kalibrierung und Toleranz, Kopie und Original, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und 'Copy and Paste'" – das seien auch in der Musik "die verortbaren Assoziationen". Man kann den Titel aber auch einfach wörtlich nehmen – "leider" heißt er ja –, und dann sind wir schon bei der Missstimmung, die diesmal über Donaueschingen liegt. Jörn Florian Fuchs, ich höre, die Musiktage haben mit einem Eklat begonnen. Was war da los?

    Jörn Florian Fuchs: Beim Eröffnungskonzert mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, da gab es zunächst einen recht jungen Mann, der auf die Bühne kam. Es war nicht der Dirigent. Er sagte auch gleich, dass es also nicht das erste Stück ist, das gespielt wird. Und er hat dann relativ stumm, aber mit hektischen Bewegungen zwei Streichinstrumente, eine Geige und ein Cello, sich geschnappt, von zwei Mitgliedern dieses Orchesters offenkundig, hat diese wirkungsvoll zusammengebunden und anschließend gesagt, so nach dem Motto, hier wächst nicht zusammen, was nicht zusammengehört, und dieses seltsame Instrument auf dem Boden zerschmettert. Dann sagte er, die Verantwortlichen, warum ich das Ganze mache, worum es nämlich geht, sind im Saal, worauf ein Buh-Sturm kam, und einzelne Hörer werden schon ahnen: Es geht um die Zusammenlegung des SWR-Orchesters Baden-Baden und Freiburg mit den Stuttgartern. Das war eine Protestaktion des Komponisten Johannes Kreidler gleich zu Beginn dieses Konzerts.

    Müller-Ullrich: Und die war nicht abgesprochen mit den Musikern? Doch: Man kann denen ja nicht einfach die Instrumente kaputtmachen.

    Fuchs: Die war offenbar nicht abgesprochen. Es sind wohl zwei Aushilfskräfte gewesen, die dort auf dem Podium saßen, und es sind keine echten teuren, echte schon, aber keine teuren Instrumente gewesen. Das wurde geplant vorher schon. Aber es war offenbar auch, was Armin Köhler sagte, nicht klar, was da passiert und dass was passiert. Die Protestaktionen gehen im kleinen übrigens weiter: Vor den Donauhallen, hier den Konzertsälen, den zentralen Spielstätten, sind eine Reihe von schwarzen Kreuzen zu sehen mit den verschiedenen Orchestern, die in den letzten Jahrzehnten eingespart worden sind, und die Stimmung ist mit einem Wort, was das betrifft, wirklich mies.

    Müller-Ullrich: Also es ging los mit diesem Eklat gegen die Orchestersparpolitik. Aber die Donaueschinger Musiktage finden noch statt. Gibt es denn in der Musik selber, in den Konzerten, einem Eröffnungskonzert – so weit sind wir ja noch nicht; es hat ja erst angefangen – irgendwelche Entsprechungen zu diesem Radau?

    Fuchs: Ja, es gab eine schöne Koinzidenz, wenn man so möchte. Das erste Stück, "My my Country" heißt es, was dann gespielt wurde, als nach 20 Minuten die Musiker doch anfangen konnten, unter Rupert Huber ein Stück aufzuführen gestern. Martin Smolka, der mikrotonale Klangexpeditionen unternommen hat, eine sehr verschwobene, verschwommene Schönheit geboten hat, eine Art Requiem im wörtlichen Sinne auch, weil es dem Gedenken seines im letzten Jahr verstorbenen Vaters gewidmet war. Das passte eigentlich ganz gut von der Temperatur. In diesem Eröffnungskonzert dann auch ein schönes neues Stück von Arnulf Herrmann, sehr elaboriert, intelligent ausgehört, fand ich. Und auch etwas sehr Beliebiges am Ende von Helmut Oehring, etwas gewollt Politisches, mit einem ja sehr spät wohl noch in das Werk implementierten Stück über Syrien, eine syrische Sängerin und sehr, sehr viel Pathos. Es war eigentlich ein gutes, ein sehr gutes und ein ziemlich schlechtes Stück, und das ist für so ein Eröffnungskonzert, finde ich, eigentlich recht schön, wenn sich die Dinge mischen. Das Entscheidende ist aber in diesem Jahr die Verbindung von Elektronik und Neuer Musik und auch Videoästhetik, und da gab es heute Morgen im ersten Konzert ein schönes Beispiel von Stefan Prins, der mit dem sehr jungen Nadar-Ensemble zusammengearbeitet hat. Wir müssen uns vorstellen: Wir haben verschiedene Leinwände, auf diesen Leinwänden sehen wir die Musiker in verschiedenen Posen spielen, die spielen aber nicht nur reguläre Instrumente, sondern sie bedienen auch noch elektronische Instrumente, und es mischen sich die verschiedenen Welten. Das Ganze heißt "Generation Kill" und wir hören mal kurz hinein, wie das klingt.

    Fuchs: Da geht es im übrigen darum, dass das ein Instruktionsvideo ist als Ausgangspunkt für Soldaten, die in den Irak-Krieg ziehen, die sich dann auf Kopfhörer heftige Musik laden, um anschließend besser töten zu können.

    Müller-Ullrich: Militärisch klingt es, das hätte ich jetzt auch gesagt. Es klingt auch ein bisschen nach Linz in Österreich, "ARS Electronica"?

    Fuchs: Ja wenn man so möchte, kann man die Brücke schlagen. Die ist sicher nicht unbedingt gewollt, aber das ist so. Nur es ist in diesem Stück gerade von Stefan Prins, finde ich, sehr, sehr gut gelungen, diese Verbindung der unterschiedlichen Ebenen, und es hat auch was Genuin-Politisches, wenn man eben so eine auch ganz schöne Videotechnik mit einsetzt und so ein wichtiges Thema, nämlich der Mensch wird zum Monster, zur Tötungsmaschine, auch sozusagen durch Neue Musik in dem Fall, wenn man das so deutlich mal sagt.

    Müller-Ullrich: Jetzt schauen wir noch mal ganz schnell nach draußen zum Schluss. Es ist ja so schönes Wetter, ich sagte es am Anfang, und auch in Donaueschingen ist es warm. Deswegen lohnt es sich zu flanieren und nicht nur die Konzertsäle werden bespielt.

    Fuchs: Ja. Mia Schmidt und Wolfgang Motz, das ist ein Duo, das hat einen Zyklus gemacht, "Die Jahreszeiten", dauert zwei Stunden, findet im Schlosspark am Ententeich statt und auch noch in der Stadt. Die haben einige Zeit lang wirklich zu verschiedenen Jahreszeiten Alltagsgeräusche, Naturgeräusche aufgenommen, und das wird jetzt wieder ausgestrahlt, vermischt sich mit den Alltagsklängen. Beim Ententeich reagieren die Enten sehr, sehr zornig zum Teil auf ihre virtuellen Genossen. Das ist eigentlich ganz einfach, ganz einfach programmiert, unprätentiös, ohne großes intellektuelles Brimborium, aber es ist eine wunderschöne Klangatmosphäre, die im Schlosspark und eben auch die halbe Stadt im Moment wunderbar beschallt.

    Müller-Ullrich: Danke, Jörn Florian Fuchs, für diesen ersten Bericht von den Donaueschinger Musiktagen an diesem Wochenende.