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Zoroastrische Glaubensgemeinschaft
"Zarathustra hat uns gelehrt, niemanden nach seiner Religion zu fragen"

Die Stadt Yazd in Zentraliran ist der Mittelpunkt des zoroastrischen Glaubens und somit für rund 30.000 Anhänger Zarathustras weltweit. Für sie ist nicht wichtig, welche Religion jemand hat. "Wir messen ihn nur an dem, wie er denkt, redet und handelt", sagt der Gemeindevorsteher.

Von Sven Weniger und Michael Marek | 29.01.2019
    Eingang des zoroastrischen Feuertempel in Yazd, Iran, mit Symbol für den Gott Ahura Mazda
    Eingang des zoroastrischen Feuertempel in Yazd, Iran, mit Symbol für den Gott Ahura Mazda (imago stock&people)
    "Eine Minute gut und tief zu denken ist besser als 70 Jahre Beten. Religion ist vor allem da für Menschen, die Orientierung suchen. Wer gut denkt, redet und handelt, der braucht keine Religion."
    Wie Donner hallen die Worte von Behsad Nikdin. Der 57-Jährige mit dem grauen Vollbart und der weißen Kleidung ist ein Priester des Zoroastrismus.
    "Zarathustra hat sich als Lehrer verstanden, der uns in der Reinheit des Denkens, Sagens und Handelns unterrichten wollte. Jeder Mensch, der diese drei Grundgedanken beachtet, befolgt die zoroastrische Lehre. Zarathustra hat uns gelehrt, niemanden nach seiner Religion zu fragen. Jeder, der hierher kommt, kann seinen eigenen Glauben haben, wir messen ihn nur an dem, wie er denkt, redet und handelt. Das ist uns das Wichtigste. Die Religion ist niemandem in die Stirn gestempelt oder in eine Urkunde. Es sind solche Grenzsetzungen, die in der Religion zu Konflikten führen."
    Yazd als Zentrum des Zoroastrismus
    Nikdin ist der Vorsteher der zoroastrischen Gemeinde in Isfahan - ein Landwirt eigentlich, der seine "Neben-Berufung" im Dienen für Andere sieht, der Menschen besucht, die krank sind und Hilfe brauchen, Besucher empfängt und den Feuertempel pflegt – den zentralen Versammlungsort jeder zoroastrischen Gemeinde im Iran. Über dem Eingang prangt stets ein seltsames Symbol: der Faravahar. Es ist das Abbild eines bärtigen Antlitzes mit ausgebreiteten Flügeln, Schwanzfedern und weiteren Attributen und codiert die drei Ziele zoroastrischen Handelns ebenso wie den Antagonismus von Gut und Böse, der jedem Menschen innewohnt. Der Faravahar findet sich überall im Iran, auf Reliefs in Persepolis, auf Hauswänden, in Dokumenten, im Staatswappen vor der Revolution.
    Der Feuertempel ist kein Bethaus im religiösen Sinne. Eher ein Ort des Treffens, des Austausches, der Verehrung, Andacht und Erinnerung. Und der Hort des Feuers, des wichtigsten der vier Elemente: Erde, Luft, Wasser und Feuer. Sie alle sind den Zoroastriern heilig und symbolisieren Reinheit, erklärt Behsad Nikdin:
    "Wir glauben, dass es dort, wo Feuer und Licht sind, es keine Dunkelheit gibt."
    Darstellung von Zarathushtra in einer Handschrift (De Universo von Rabanus Maurus Magnentius) aus dem 9. Jahrhundert. Zu sehen ist Zarathushtra, der zwei Orakel konsultiert.
    Darstellung von Zarathushtra in einer Handschrift aus dem 9. Jahrhundert (imago stock&people)
    Ein großer Kelch birgt für gewöhnlich dieses Feuer, gefüllt mit glühenden Holzscheiten, die in besonders traditionellen Feuertempeln seit Jahrhunderten, so die Überlieferung, niemals erloschen sind. Heute gibt es zwischen 15.000 und 30.000 Anhänger Zarathustras, die meisten von ihnen leben in Yazd.
    Die Stadt in Zentraliran ist der Mittelpunkt des zoroastrischen Glaubens, nicht nur im Iran, sondern für alle Anhänger Zarathustras weltweit. Yazd hat heute etwa 650.000 Einwohner, erklärt Ehsan Aragaggheri. Der junge Deutschlehrer aus Yazd begleitet uns:
    "Wir haben die Erhebung erreicht. Diese Türme des Schweigens liegen am Rande der Stadt Yazd. Und wir sehen von hier oben die Stadt Yazd sehr gut."
    "Wenn jemand stirbt, ist das Leben nicht zu Ende"
    Vor den Toren von Yazd führen hundert Stufen einen staubigen Hang hinauf und enden auf einer kleinen Plattform. Darüber erhebt sich, wie die Außenwand eines Wasserbeckens, ein kreisrund gemauerter Ring. Auf dem Nachbarhügel liegt ein zweiter. Türme des Schweigens, ein Ort der Stille, traditionell die letzte Ruhestätte für Zoroastrier. Um die Regel, Erde, Luft, Wasser und Feuer rein zu halten, folgten die Anhänger Zarathustras einem besonderen Totenkult:
    "Nach dem zoroastrischen Glauben ist es so: Wenn jemand stirbt, ist das Leben nicht zu Ende, das ist wie ein Lebenskreis, daher das Leben geht weiter. Es gibt eine Wiedergeburt, die Seele des Menschen geht auf die anderen und lebt weiter. Daher der Körper ist nicht wichtig, und man kann diesen Körper auch auf die Türme des Schweigens bringen."
    Die Mauern um das Areal sind übermannshoch, ein Wall - was dahinter ist, bleibt den Blicken verborgen. Mauern und Boden sind aus grauem Bruchstein, darüber nur der fahle Himmel. Der Platz ist leer, kein weiterer Reiz für das Auge. Die Gedanken des Besuchers sind, wie er selbst, gefangen. Die Stille erinnert an die eines Klosters, einen Ort des Rückzugs, der Andacht.
    Totenhaus und Turm des Schweigens in Yazd, Iran
    Totenhaus und Turm des Schweigens in Yazd, Iran (imago stock&people)
    "Diese kreisförmigen gepflasterten Steine sind in drei großen Runden verteilt. Und das ist wichtig für die Zoroastrier: Wenn jemand starb, brachten die Träger den Toten hier rauf. Der Priester kam hierher, man legte den Toten ohne Kleid hier auf den Boden. Wenn es ein Mann war, wurde er wegen der Körpergröße in den ersten großen Kreis gelegt, eine Frau in den mittleren und die Kinder um das Loch in den kleineren Kreis. Niemand durfte raufkommen außer diesen zwei Trägern und dem Priester. Warum diese Mauer um uns zwei bis drei Meter hoch sind, das hat einen Grund. Wenn Geier hierher kommen, sie bleiben an der Stelle, wo die Leiche ist. Sie fressen die Fleischüberreste, und dann sie fliegen weiter. Aber die Tiere, wie Hunde und andere, sie könnten diese Knochen nehmen und dann weiter mitnehmen bis zu der Stadt. Da hat man die Mauern so hoch gebaut, dass es für die anderen Tiere nicht zugänglich war, nur für die Geier."
    Der Mensch als recycelbare Hülle, die nach seinem Ableben die Umwelt nicht belasten soll: Hier auf dem Turm des Schweigens vor den Toren von Yazd dreht sich alles um die Endlichkeit. Man mag es als tröstlich empfinden, dass in der Vorstellung der Zoroastrier der Kreislauf des Lebens endete und begann - als "Fleischüberreste", wie es Aragaggheri nennt, die anderen Lebewesen als Nahrung dienten. Nachdem die Toten verspeist und in der Sonne verwest waren, kehrten Helfer die Knochen in die Grube in der Mitte und schafften damit Platz für die nächsten Verstorbenen. Bis in die 1930er-Jahre hielt der Brauch, dann verbot Schah Reza ihn aus hygienischen Gründen. Heute liegt unterhalb der Türme des Schweigens ein Friedhof, auf dem Zoroastrier seitdem in Gräbern bestattet werden - mit Marmorplatte, Grabstein, Inschrift und gelegentlich dem Bild des Verblichenen. Etwa 1.000 Ruhestätten gibt es hier, ordentlich in langen Reihen und stets schlicht weiß. Es ist der größte Friedhof der Glaubensgemeinschaft weltweit.
    Chak Chak: Tränen für die Zoroastrier
    "Es gibt mehrere zoroastrische Gemeinden in der Provinz Yazd. Jedes Jahr im Winter gibt es dort das Sadeh-Fest, zu dem die Leute von überall kommen. Dort beten sie in ihrer alten mittelpersischen Sprache, Pahlavi. Interessant ist, dass dort eine zoroastrische und eine muslimische Gemeinde in völliger Harmonie zusammenleben. Das gilt für alle Zoroastrier im Iran."
    Omid Sahafinia ist mit uns in den Nordosten von Yazd aufgebrochen. Der 26-jährige Zoroastrier aus dem Dorf Mazra-e Kalantar arbeitet als Fremdenführer in der Stadt. Nun begleitet er uns nach Chak Chak – zum Wallfahrtsort aller Zoroastrier. Jeder Gläubige sollte einmal im Leben dort gewesen sein. Kein leichtes Unterfangen, denn der Schrein liegt abgeschieden in einer Felsenwüste. Eine gute Stunde im Auto dauert die Fahrt zur Höhle in der hunderte Meter abfallenden Steilwand. Es gibt kaum Vegetation, die Sonne brennt. Wir sind die einzigen Besucher.
    Ein Anhänger der zoroastrischen Religion entzündet eine Flamme in einem iranischen Tempel.
    Ein Zoroastrier beim Gottesdienst im zoroastrischen Tempel Pir-e Sabz in Chak (picture alliance / dpa / Kheirkhah)
    In einem schmalen Arkadengang sitzt ein Mann vor einer Zimmertür. Zal Izadi ist der Hüter des Feuers. Der 65-jährige knorrige Mann in grauer Hose, weißem Hemd und Käppi döst im Schatten der Arkade. Der marmorgeflieste Boden der Höhle ist nass und rutschig. Es tropft von der Decke, die Luft ist kühl. Ehsan Arabaggheri:
    "Es war 600 nach Christus, in der Zeit als die Araber Persien eroberten. Die Religion dieser Araber war Islam. Weil bevor der Islam kam, die Perser hier die zoroastrische Religion hatten, wurden sie getötet durch die Araber, daher sind viele geflohen in die Wüstenregionen. Diese Tropfen, das wir hier sehen, das sind die Tränen einer heiligen Frau für die Zoroastrier, und es heißt wörtlich: Tropfen, Tropfen und dann hat dieser Heiligtum den Namen Chak Chak bekommen."
    Vier Religion sind vom iranischen Parlament anerkannt: Judentum, Christentum, Islam – und Zoroastrismus. Untersuchungen zeigen, dass sich junge Iraner immer weniger für den Islam begeistern, die Moscheen sich, ganz ähnlich wie in unsere Kirchen, zu leeren beginnen. Der Zoroastrismus mit seiner undogmatischen Art dagegen, so wird inoffiziell angedeutet, erfahre verstärkten Zulauf.