Remme: Wie gefährlich ist denn generell das Potential politischer Gewalt von Seiten der Rechtsradikalen in Frankreich?
Menudier: Es ist das erste Mal, dass so ein Attentat versucht wird. Zur Zeit des Krieges in Algerien, also bis 1962, gab es mehrere Attentatsversuche gegen De Gaulle. Also solche gefährliche Leute gibt es leider in jeder Gesellschaft, und man sieht, wie gefährlich es für einen hohen Politiker sein kann.
Remme: Der Stoiber-Besuch in Paris heute und morgen, wird das in den Medien mehr als eine Randnotiz?
Menudier: Ich glaube schon, weil man weiß: Es ist mehr als eine Pflichtübung. Man kennt die Meinungsumfragen in Deutschland. Man weiß, dass alles offen ist, und man ist sehr an diesem Besuch interessiert.
Remme: Von höflichen Beobachtern werden die bilateralen Beziehungen im Moment sozusagen als kühl bezeichnet. Geht es da um Meinungsunterschiede, zum Beispiel in der Agrarfrage oder beim EU-Haushalt, oder gehen diese Konflikte tiefer?
Menudier: Sie gehen tiefer. Ich glaube, dass das Verhältnis zwischen Chirac und Gerhard Schröder nicht besonders gut war. Das hängt zum größten Teil natürlich mit der Kohabitation zusammen. Man weiß, dass Gerhard Schröder sich für Frankreich nie sonderlich interessieren konnte. Er hat sich schon dafür interessiert, aber es war nicht sein wichtigstes Thema. Und so hat sich das Verhältnis nicht besonders gut entwickelt. Und jetzt fragt man sich: Wie wird es nach der Wahl?
Remme: Also Sie glauben, diese Entfremdung zwischen den Regierungen in Paris und Berlin hat mit dem Amtsamtritt der Rot-Grünen Regierung in Berlin begonnen?
Menudier: Es hatte schon in den letzten Jahren von Helmut Kohl begonnen. Das Verhältnis zwischen Chirac und Kohl war damals auch nicht besonders gut. Es gab Zwischenfälle. Man braucht sich an die Ernennung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank zu erinnern und die Auseinandersetzungen Anfang Mai 1998, aber was dann das Verhältnis zwischen Schröder und Chirac besonders stark belastet hat, sind zwei europäische Verhandlungen: Einmal in Berlin im März 1999 über die Agenda 2000, und zweitens die europäische Regierungskonferenz in Nizza im Dezember 2000.
Remme: Glauben Sie denn, ein Regierungswechsel in Berlin hin zu den Konservativen allein könnte die bilateralen Beziehungen beflügeln? Denn Edmund Stoiber würde ja diese Probleme erben.
Menudier: Ich glaube, es würde zumindest eine atmosphärische Veränderung geben, denn man kann sich schon vorstellen, dass wenn Stoiber Kanzler wird, er alles versuchen, damit das deutsch-französische Verhältnis wieder nach vorne geht, und er würde vielleicht mehr auf die französischen Wünsche eingehen, wobei man natürlich ganz genau weiß, dass er auch die deutschen Interessen verteidigen müsste.
Remme: Sie kennen Chirac. Sie kennen Stoiber. Sind Sie vom Politikertypus her vergleichbar?
Menudier: Vielleicht ein bisschen. In der Ausbildung sind es natürlich ganz andere Wege, aber ich glaube, es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen beiden. Es sind zwei Konservative, die, bevor sie zu den höchsten Ämtern gekommen sind, eine lange politische Erfahrung gemacht haben. Man darf ja nicht vergessen, dass Herr Stoiber seit fast 30 Jahren Landtagsabgeordneter ist, und seit 20 Jahren ist er in den Regierungsgeschäften. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, dass es zwischen Bayern und Frankreich immer ein besonderes Verhältnis gegeben hat.
Remme: Nun ist die Wahl noch nicht gelaufen. Es könnte also genau so gut sein, dass der Kanzler nach dem 22. September weiterhin Gerhard Schröder heißt. Hält die Europäische Union diese deutsch-französischen Meinungsunterschiede auf Dauer aus?
Menudier: Nein, auf keinen Fall. Wir wissen ganz genau, wenn Paris und Berlin nicht zusammengehen, dann machen wir keine wesentlichen Fortschritte in der Europäischen Integration. Deswegen müssen wir unbedingt zu einem Konsens kommen. Das ist im Moment leider nicht möglich, weil es bald Bundestagswahlen in Deutschland gibt, aber es ist sehr zu wünschen, dass es nach der Wahl zu einer echten Verständigung zwischen unseren beiden Ländern über die beiden Probleme, die Sie erwähnt haben, kommt. Sonst wird es sehr schlimm werden für die Zukunft der Europäischen Union.
Remme: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio