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Zu schade für die Durchreise

Malmö hat viel zu bieten: Die Stadt im äußersten Süden von Schweden ist eine kleine Großstadt mit Theater, Oper und Kunstmuseen. Wobei Großstadtflair und Kleinstadtidyll nah beieinanderliegen, alt und neu hier aufeinandertreffen.

Von Erhardt Bultze |
    "In Schweden gehört ein Tässchen Kaffee einfach dazu. Kauft man ein Ticket für die Bootsfahrt durch Malmö, kann man auch gleich Kaffee und Kuchen bestellen – und nimmt einen hübschen Picknickkorb mit an Bord."

    Mit dem offenen Sightseeingboot geht es in den Hafen und am früheren Werftgelände entlang, wo ein neuer Stadtteil entsteht; durch Wallgräben und Parkanlagen, und immer wieder unter Brücken hindurch:

    "Wir werden gleich unter Malmös niedrigster Brücke hindurchfahren – also: Sitzen bleiben, und achten Sie auf Ihre Köpfe!"

    Sagt die blonde Studentin, die den Touristen das Stadtbild erklärt: Gründerzeitfassaden ziehen vorüber, und zum Schluss der Altstadtkern mit dem spitzen Turm von Sankt Petri, dem ältesten Gebäude Malmös aus der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts.

    Ganz in der Nähe der Backsteinkirche liegt der große Marktplatz mit seinem Reiterdenkmal:

    "Das ist Karl der Zehnte Gustav, er hat uns hier in Schonen zu Schweden gemacht."
    Er hat aus dänischen Untertanen schwedische gemacht, als die Provinz 1658 zu Schweden kam, erklärt Gun Eriksson von der Touristeninformation. Und er ist bis heute nicht allen hier sympathisch:

    "Nee, eigentlich nicht. Also es gibt einige von uns, die lieber zu Dänemark gehörten."

    Die Mundart in Schonen erinnert ans Dänische, und durch die Öresund-Brücke ist Kopenhagen ein Stück näher gerückt.

    "Manchmal sagt man, Malmö ist der schönste Vorort Kopenhagens" - doch es ist eine kleine Großstadt mit Theater, Oper und Kunstmuseen. Wobei Großstadtflair und Kleinstadtidyll nah beieinanderliegen – so wie der weitläufige große Marktplatz und der gemütliche kleine mit seinen Straßencafés:

    "Auf der einen Seite sehen wir das große Gründerzeithaus, typisch für Malmö – große, große Gebäude. Und auf der anderen haben wir zum Beispiel ein wunderbares altes Fachwerkhaus."

    Ein alter Kaufmannshof, in dem schwedisches Design und Kunsthandwerk präsentiert werden.

    Schon im Mittelalter erlebte Malmö eine Blütezeit – dank der Heringsschwärme im Öresund. Zum alljährlichen Heringsmarkt kamen im 14. Jahrhundert bis zu 20.000 Menschen.

    Näheres zur Stadtgeschichte erfährt man in der Festung Malmöhus – ein Gebäudekomplex mit Wallgraben, Kanonentürmen und dem ältesten, noch erhaltenen Renaissanceschloss Skandinaviens. Treppengiebel verraten hanseatischen Einfluss:

    "Die waren hanseatische Leute, aber Malmö war niemals eine Hansestadt – der dänische König hat das verboten."

    Damit er den Seefahrern im Sund Zoll abknöpfen konnte, so erklärt Anders Reisnert, Stadtkonservator am Museum in Malmö. Zur besseren Kontrolle über den Öresund hatte Erik von Pommern – im 15.Jahrhundert König von Dänemark, Schweden und Norwegen – hier ein kleines Kastell angelegt.

    Im Mittelalter wurden hier die dänischen Münzen geprägt, im 16.Jahrhundert ließ Christian der Dritte das Kastell in eine Schlossfestung umbauen, in eine repräsentative Wohnung für König und Lehnsmann.

    "Mit sehr großen Fenstern: Das Licht kommt von zwei Seiten, die Räume baden in Sonne!"

    Als 1554 Dänemarks Kronprinz hier einzog, fanden im Rittersaal wilde Gelage statt. Später, als Schonen zu Schweden gekommen war, diente die Festung als Gefängnis.

    Die Stadt Malmö wurde zur Werft- und Industriestadt - und zur drittgrößten Schwedens. Und musste in den 1980er-Jahren die Schließung von Werft und Industriebetrieben verkraften. 25.000 Menschen zogen fort. Die Wende kam mit dem Ausbau von Bildungseinrichtungen, dank neuer Unternehmen und der Öresundbrücke.

    "Nun stehen auf dem alten Werftgelände neue Universitätsgebäude und Bürobauten – und am Ufer Apartmenthäuser. Beim weiten Blick übers Wasser ringsum, das lebt und sich bewegt, verspürt man ein Freiheitsgefühl."

    Schwärmt Kai Sandgren, der mit seiner Lebensgefährtin in eine der neuen Wohnungen gezogen ist. Er zeigt auf ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto an der Wand: Man sieht das Trockendock der Werft mit einem riesigen Portalkran:

    "Er war der größte der Welt und unser Wahrzeichen, wurde aber 2002 demontiert und nach Korea verkauft", erklärt Kai.

    Dort, wo damals die Schienen für den Kran waren, steht nun das Haus, in dem sie wohnen, gleich neben dem früheren Trockendock; daraus wurde der Sportboothafen, in dem ihr Motorboot liegt. Nicht weit entfernt: Malmös neues Wahrzeichen. Silbrig glänzend schraubt sich ein hoher Wohn- und Büroturm in den Himmel:

    "Den sieht man schon von weitem," sagt Eva Giordino "und findet immer nach Hause!"

    190 Meter hoch ist er und mit 54 Stockwerken Europas zweithöchstes Wohngebäude, eine Skulptur aus neun Segmenten, leicht zueinander verdreht, was aussieht wie ein Körper, der sich um die eigene Achse dreht. "Turning Torso" heißt das Werk des spanischen Architekten Santiago Calatrava, der den Auftrag hatte, einen echten Hingucker zu schaffen.

    Mit dem neuen Westhafen-Viertel, das rings um den Turm allmählich zusammenwächst, ist Malmö ans Wasser gerückt. An warmen Sommertagen ist die Uferpromenade der beste Platz, ob an einem der Restauranttische oder auf den Holzdecks, die in Stufen zum Wasser hinab führen. Hier treffen sich Familien, gutsituierte Rentner und Teenager aus Einwandererfamilien; fast jeder Dritte in Malmö hat einen Migrationshintergrund.

    Im Rücken der großen Apartmenthäuser an der Promenade stehen windgeschützt Reihenhäuser und kleine Wohnblocks, darunter ein viergeschossiger ganz aus Holz. Schmale Gassen, in denen Autos Schritttempo fahren; Gärtchen, verwinkelte Plätze und Höfe mit kleinen Wasserbecken – das Neubauviertel wirkt cool und zugleich wie ein alter Fischerort. Es entstand 2001 als europäische Bauausstellung, die zeigen sollte, wie attraktiv nachhaltige Architektur sein kann.

    Gleich nebenan beginnt die "Copacabana", wie er schon mal genannt wird, der Strand zwischen Malmö und der Öresundbrücke.
    (Musik) Dreihundert Malmöer beim abendlichen Fitnesstraining auf einer Rasenfläche am Strand.

    Einen Steinwurf entfernt führt eine lange Holzbrücke zum imposanten Pfahlbau der Seebadeanstalt von 1898. Rechts die Damen, links die Herren.

    "Das ist für mich Balsam für die Seele, hier zu sein. Keine Kinder, die schreien; Ruhe und Erholung, das ist wunderbar"

    Sagt ein Stammgast. Von breiten Sonnendecks führen Stufen ins kalte Nass. Hier ist man nackt; gebadet wird an der Außenseite oder dort, wo das glitzernde Wasser von altmodischen Umkleidekabinen eingerahmt wird.

    "Über hundert Jahre alt sind hier die ältesten Teile," erklärt Jonas Dahlberg, der die Badeanstalt mitsamt Restaurant seit anderthalb Jahren betreibt. Nur im Restaurant und auf einem Ponton draußen im Wasser können sich Männer und Frauen begegnen, und in der gemeinsamen Sauna. Gebadet wird das Ganze Jahr. Einige kommen fast täglich.

    "Ist dir kalt, geht's in die Sauna, kurz unter die Dusche - und erfrischt direkt zum nächsten Termin", erklärt diese Besucherin.
    20 Grad Wassertemperatur, das ist ihm schon zu warm –
    - wo doch Malmös Badeanstalt auf schwedisch "Kaltbadehaus" heißt.

    Eine andere Besucherin war schon als Sechsjährige hier:

    "Hier trifft man die unterschiedlichsten Frauen zwischen 15 und 90", sagt sie. "Damen, die man sein Leben lang kennt. Wunderbar ist das hier – das ist wirkliche Lebensqualität!"