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Zu schlechte Bildungschancen von Migrationskindern

In Deutschland sind die Unterschiede der Schulleistungen zwischen Muttersprachlern und Migranten-Kindern größer als in anderen Ländern. Das ergab eine Analyse der Pisa-Studie aus dem Jahr 2003, die die "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" in Berlin vorlegte. Dabei schneidet die zweite Generation der Migranten schlechter ab als die erste, wie Barbara Ischinger vom OECD-Bildungsdirektorat erläutert.

Moderation: Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Dass es mit der Bildung unserer Kinder, die aus eingewanderten Familien stammen, nicht besonders gut bestellt ist, haben wir wieder einmal schmerzlich erfahren müssen, als die Lehrer der Berliner Rütli-Schule die weiße Flagge hissten und ihre pädagogische Niederlage öffentlich machten. Aber schon zu Beginn des Jahres hatte hoher Besuch der Völkergemeinschaft in Deutschland, der UN- Sondergesandte Vernor Munoz, die geringen Bildungschancen der Einwandererkinder bemängelt. Auch eine für heute erwartete Präsentation einer Sonderauswertung der aktuellen Pisa-Studie aus dem Jahr 2003 ließ nichts Gutes erwarten. Denn, schon damals war klar geworden, dass die schlechten Pisa-Ergebnisse für Deutschland stark vom niedrigen Bildungserfolg der Schüler mit Migrantenhintergrund herrührten. Am Morgen wurde die Sonderauswertung, die 17 Staaten betraf, in Berlin vorgestellt. Die Bildungsdirektorin der OECD in Paris, Barbara Ischinger, war dabei. Was sagt die Analyse auf Deutschland bezogen aus?

    Barbara Ischinger: Ja, also auf Deutschland bezogen heißt das, dass Deutschland einen der größten Leistungsrückstände bei 15-jährigen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund aufzeigt. Selbst wenn man soziale und wirtschaftliche Faktoren mit berücksichtigt. Und im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern verstärkt sich die Problematik noch in der zweiten Generation, bei denen also, die in Deutschland geboren wurden. Zum andern kann man auch sagen, dass die neueste Pisa-Studie der OECD auch aufweist, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Deutschland sehr hoch motiviert sind und dass scheint den Leistungsrückstand zu verringern.

    Schmitz: Wie groß ist denn der Leistungsrückstand?

    Ischinger: Je nach Fächern ist das unterschiedlich, wir sehen zwischen Australien, Kanada, Neuseeland mehr als 90 Pisa-Punkte in Deutschland, selbst bei Kindern mit Migrationshintergrund der zweiten Generation, das ist schon recht bedenklich.

    Schmitz: Was bedeuten diese 90 Punkte? Kann man das in Monaten, in Schuljahren festmachen, umsetzen, übersetzen?

    Ischinger. Ja, das ist ungefähr ein Schuljahr.

    Schmitz: Sie sprachen von der großen Motivation der Kinder mit Migrantenhintergrund. Die Erfahrung, in den Leistungen zurückzustehen, trotz großer Anstrengungen macht doch dann doppelt frustriert.

    Ischinger: Ja, das ist leider so, dass eine gezielte Sprachförderung da helfen kann, aber es ist so, dass ein Drittel der Migrationskinder in Deutschland Schulen besuchen, die über 50 Prozent Migrantenkinder haben. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob da nicht ein Problemherd entsteht, der sehr schwer zu lösen ist, hier kommen sehr viel Faktoren zusammen, die dann Lernleistung erschweren.

    Schmitz: Noch mal zu dem Punkt, den Sie angesprochen haben, dass Migrantenkinder, die in Deutschland geboren sind, noch schlechter abschneiden, als die, die als Kinder erst nach Deutschland gekommen sind. Können Sie erklären woher das kommt?

    Ischinger: Wir können das nicht spezifisch wirklich in Details hinunterrechnen. Die zweite Generation hat einen Leistungsrückstand beispielsweise in Mathematik, von 47 Prozent, das ist das schlechteste Ergebnis aller 17 untersuchten Länder, und der Vergleichswert, erste Generation in Deutschland, ist 30 Prozent. Hier sind verstärkt natürlich soziale und wirtschaftliche Faktoren zusammen gekommen, dass es nicht das richtige Lernumfeld gibt, dass es zu wenig Anreize, Anerkennung gibt, da sollte Deutschland vielleicht im internationalen Vergleich noch mal in das Schulsystem schauen. Wenn Sie sich weltweit die Zahlen ansehen und die demographisch Entwicklung in Deutschland, so wird die Migrationsfrage eher noch größer werden und man wird sich die Frage stellen müssen, wie man dem optimal entgegen kommt.

    Schmitz: Barbara Ischinger war das, die Bildungsdirektorin der OECD, über die Bildungschancen von Kindern aus Migrantenfamilien in Deutschland.