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Zu viele Röhrchen im Kühlschrank

Biowaffenforschung. - Fort Detrick in Maryland ist das Hochsicherheitslabor der US-Streitkräfte für Biowaffen und Biowaffenabwehr. Seit einer Woche steht die Einrichtung praktisch still, denn offenbar sind in ihren Kühlschränken Erregerproben, die nicht dorthin gehören.

Von Volkart Wildermuth |
    Vor einer Woche erhielten die Biowaffenforscher in Fort Detrick Post von Leiter der Einrichtung Colonel John Skvorak.

    Ich werde ab Freitag, 6., einen Stopp aller Aktivitäten mit Erregern und Toxinen der Select Agents Liste veranlassen.

    Select Agents, das sind die Bakterien und Viren, die der höchsten Sicherheitsstufe unterliegen. Wenn mit ihnen nicht mehr experimentiert werden darf, steht die Arbeit im, größten Bioabwehrlabor der USA praktisch still. Nur Experimente mit Versuchstieren dürfen weitergeführt werden. Ursache der drastischen Maßnahme: eine Überprüfung eines Kühlschranks, in dem Proben des Erreger der Venezuelanischen Pferdeenzephalomyelitis aufbewahrt werden. Der Keim löst bei Pferden und Eseln eine Hirnhautentzündung aus, kann aber auch immungeschwächten Menschen gefährlich werden. Eigentlich hätten sich in der entsprechenden Schachtel 16 Röhrchen mit dem Erreger befinden müssen, tatsächlich waren aber 20 vorhanden. Die Differenz beunruhigt nicht nur die Leitung von Fort Detrick sondern auch Dr. Jan van Aken aus Hamburg, der für das "The Sunshine Projekt" die Abwehrforschung zu Biowaffen beobachtet. Aken:

    "So wie sie da sind, im Kühlschrank im Reagenzglas, sind sie erst einmal nicht gefährlich. Die Gefahr liegt daran, dass in dem Moment, wo ich nicht genau verzeichnet habe, was ich im Kühlschrank habe, natürlich auch nicht gemerkt werden kann, ob jemand das beiseite nimmt und damit etwas tut, was er nicht tun sollte. Und da reden wir in der Regel in Fort Detrick nicht über irgendwelche Bodenbakterien, sondern das ist das Biowaffenlabor der USA und da ist jeder Erreger, der irgendwie tödlich und krankheitserregend sein kann, aufbewahrt. Also da reden wir wirklich über die ganz gefährlichen Viren und Bakterien."

    Diese Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen. Schließlich geht das FBI davon aus, dass ein Mitarbeiter von Fort Detrick im Jahr 2001 Briefe mit Milzbrandsporen verschickt hat. Fünf Menschen starben, die Säuberung kostete viele Millionen. In der Folge wurde die Bio-Schutzforschung in den USA massiv ausgeweitet. Aken:

    "Was wir schon wissen, ist, dass viele von diesen Laboratorien, die von 0 auf 100 plötzlich mit gefährlichen Erregern arbeiten, eklatante Fehler gemacht haben. Da haben Menschen einen Versuch gemacht in einem Abzug unter höchsten Sicherheitsbedingungen. Als der Versuch vorbei war, ist dann jemand halb in diesen Abzug hineingeklettert um ihn wieder zu desinfizieren und hat sich natürlich selber angesteckt."

    Unklar deklarierte Proben in den Kühlschränken dürften da wohl keine Seltenheit sein. Forscher wechseln ständig die Laboratorien und vergessen dabei häufig ein paar Reagenzgläser. Später kann sich dann niemand mehr daran erinnern, was eigentlich in den Gefäßen ist. Gerade Fort Detrick hat aber große Erfahrung im Umgang mit gefährlichen Erregern. Dort gibt es Möglichkeiten, unbekannte Proben sicher zu untersuchen und zu vernichten. Beim deutschen Zentrum biologische Sicherheit sieht man deshalb keine konkrete Gefahr, ist aber über den kompletten Stopp der Arbeiten verblüfft. Vielleicht will Fort Detrick gründlich klar Schiff machen, bevor eine neue Probenbuchhaltung eingeführt wird, in der dann wirklich jedes Reagenzglas verzeichnet ist. Das klingt eigentlich selbstverständlich, bedeutet für die Forscher erheblichen Mehraufwand. Sie müssen in Zukunft wohl auch nur vorübergehend benötigte Reagenzgläser mit Erregern genau inventarisieren. In Deutschland ist das schon Usus, für Fort Detrick und die anderen Laboratorien in den USA hält Jan van Aken den Schritt für überfällig. Das Grundproblem bleibt aber: Je mehr Menschen mit den gefährlichen Erregern arbeiten, desto größer das Risiko. Aken:

    "Ich denke, man muss solche Biowaffenabwehrforschung mit Augenmaß machen. Ich denke in Deutschland zum Beispiel findet das statt. Dort gibt es solche Forschung, aber sehr transparent, sehr öffentlich und eben auch nicht maßlos an Hunderten von Universitäten, sondern an einigen wenigen Instituten. Mittlerweile sind es, glaube ich, über 10.000 Menschen in den USA, die Zugang zu den höchstgefährlichen Erregern haben. Und unter 10.000 Menschen findet sich dann doch im Laufe von ein paar Jahren gerne mal jemand, der vielleicht Amok läuft, aus welchen Gründen auch immer sein Wissen verkauft, oder mit solchen Erregern Handel treibt. Also das Risiko steigt im Moment und da hilft auch die beste Buchführung nicht."