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Zu wenig Wissen über Folsäure

Es ist schon länger bekannt, dass schwangere Frauen bei zusätzlicher Aufnahme von Folsäure das Risiko mindern können, dass ihr Kind mit einer Behinderung zur Welt kommt. Aktuelle Untersuchungen zeigen aber: Das Wissen darüber ist in der Bevölkerung noch immer mangelhaft.

Von Volker Mrasek | 31.10.2012
    Sie ist inzwischen rund 20 Jahre alt, ...

    "... die Empfehlung, dass Frauen, wenn sie schwanger werden möchten, anfangen sollten, 400 Mikrogramm Folsäure am Tag einzunehmen."

    Nicht für sich, sondern zum Schutz des ungeborenen Kindes. Doch ernüchtert muss Michael Krawinkel heute feststellen:

    "Die Zahl der Frauen, die das wirklich benutzen, ist nach wie vor sehr niedrig. Wir haben keine systematischen Daten über die ganze Bevölkerung. Aber alle Einzelbeobachtungen, die wir darüber mitbekommen, zeigen, dass das viel zu selten genutzt wird."

    Krawinkel ist von Haus aus Kinderarzt und Professor für Ernährung des Menschen an der Universität Gießen. Außerdem leitet er eine Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die sich mit Folsäure beschäftigt.

    "Diese präventive Maßnahme ist einfach, billig und vernachlässigt."

    Folsäure ist Vitamin B9. Eine erhöhte Versorgung damit kann das Risiko für Spina bifida beim neugeborenen Kind stark vermindern. Die Erkrankung ist auch als "offener Rücken" bekannt. Sie führt zu schweren Missbildungen der Wirbelsäule; auch Rückenmark und Gehirn können betroffen sein. Der Grundstein für die Behinderung wird schon früh während der Embryonalentwicklung gelegt. Und zwar dann, wenn sich das sogenannte Neuralrohr nicht richtig schließt, aus dem die Wirbelsäule hervorgeht.

    Die Ernährungswissenschaftlerin Anke Weißenborn vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin:

    "Das Neuralrohr wird in den ersten vier Wochen nach der Konzeption schon geschlossen. Ja, und deswegen ist es eben besonders wichtig, dass also bereits mit Beginn der Schwangerschaft nach der Konzeption ein ausreichender Folsäure-Spiegel vorhanden ist und nicht dann erst angefangen wird, zu supplementieren."

    Supplementieren bedeutet: Folsäure muss zusätzlich in Form von Vitamintabletten eingenommen werden. Anders gehe es nicht, betont Michael Krawinkel:

    "Wir haben Untersuchungen auch aus anderen Ländern, in denen deutlich wird, dass die Basisversorgung mit Folsäure ausreichend gewährleistet werden kann durch eine Ernährung, die reich an Obst und Gemüse ist. Dass aber dieser zusätzliche Bedarf um den Zeitpunkt des Schwangerwerdens herum – dass der nicht abgedeckt wird."

    In Wien legte Anke Weißenborn jetzt aktuelle Studienergebnisse zu dem Thema vor. Auf einer Ernährungsfachtagung mit deutscher, österreichischer und Schweizer Beteiligung. Die Ausgangsfrage war: Wie gut kennen junge Erwachsene heute die Empfehlungen zur Folsäure-Ergänzung bei Schwangeren? Also jene Bevölkerungsgruppe, die eigentlich am besten informiert sein müsste. Das Resultat:

    "Nur die Hälfte konnte sagen, dass Folsäure ein Vitamin ist. Und wiederum nur 30 bis 40 Prozent der Befragten wussten dann, dass Folsäure in der Schwangerschaft von großer Bedeutung ist."

    Bedenklich auch: Jede zweite junge Frau lehnte es ab, Folsäure-Tabletten zu schlucken:

    "Sie haben das dann damit begründet, dass sie nicht gerne Tabletten nehmen. Oder dass sie der Meinung sind, sie ernähren sich ohnehin schon gut und ausreichend. Oder dass sie auch den Nutzen dieser Folsäure-Einnahme nicht glauben."

    Befragt wurden rund 1000 Studenten und Berufsschüler – also junge Leute, von denen man annehmen darf, dass sie einen höheren Bildungsstand haben.

    "Insgesamt muss man wirklich sagen, dass die Studie deutlich gemacht hat, wie stark das Defizit ist und wie viel gerade eben bei jungen Erwachsenen da noch zu tun ist."

    Neuralrohrdefekte bei Neugeborenen sind in jedem Fall noch immer so häufig wie in den 90er-Jahren:

    "Wir haben Schätzungen darüber, dass es ungefähr ein Defekt auf 1000 Geburten ist."

    Also eine sehr hohe Zahl.

    "Bei ungefähr 600.000 Geburten, also 600 Kinder, die mit einem Neuralrohrdefekt auf die Welt kommen, pro Jahr."

    Experten wie Anke Weißenborn und Michael Krawinkel bedauern, dass es bisher keine größeren Informationskampagnen gab über den Nutzen von Folsäure in der Schwangerschaft. Jetzt gibt es einen neuen Vorschlag:

    "Dass man auf die Packungen für Kontrazeptiva, für Antibabypillen, einen Aufkleber draufmacht: ,Wenn Du die Pille absetzt, solltest Du sofort anfangen, Folsäure einzunehmen!' Um auf diese Weise zumindest mal alle Frauen, die bewusst und geplant schwanger werden, zu erreichen."