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Zu wenig zum Leben, zum Sterben zu viel

In Portugal liegen die durchschnittlichen Altersbezüge bei 250 Euro im Monat. Zwar hatte die neue Regierung im Wahlkampf den rund zweieinhalb Millionen Rentnern versprochen, Abhilfe zu schaffen, doch in der Praxis blieb alles beim Alten. Jochen Faget berichtet aus Lissabon.

    Vormittag im Park Principe Real: Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Im Schatten alter Föhren spielen José Rodrigues, Eduardo Gomes und Jacinto Santos mit ihren Freunden Karten – so wie jeden Tag. Knapp 1000 Jahre Gesamtalter dürften um den Holztisch versammelt sein, akribisch hält Senhor José, mit 86 der älteste, den Spielstand auf einem vergilbten Karton fest. Diesmal hat Senhor Eduardo gewonnen. Rentnerdasein in Portugal.

    "Das Leben wird immer schwieriger", klagt Jacinto Santos, während Senhor José zustimmend nickt. "Wir können uns immer weniger leisten. Die Renten, die wir bekommen, sind sehr niedrig und die Lebenshaltungskosten steigen ständig."

    Wo Jacinto Santos Recht hat, hat er Recht: 2,6 Millionen Rentenempfänger gibt es in Portugal und es geht ihnen – auch statistisch gesehen – immer schlechter: 250,63 Euro bekommt ein Rentner im westlichsten Land Europas durchschnittlich im Monat. Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig, meint der 74jährige Jacinto Santos und zitiert, was ein alter Mann ihm in seiner Jugend gesagt hat:

    "Wenn das Geld nicht reicht, muss man eben einen halben Salatkopf zum Frühstück essen, die andere Hälfte zum Mittagessen und abends noch einen ganzen."

    Bei Jacinto Santos reicht das Geld fast nie: 233 Euro im Monat – das reicht gerade mal für die Miete der alten, baufälligen Wohnung nebenan im Bairro Alto; einem Viertel Lisabons, in dem besonders viele arme Senioren leben und das, weil es so schön typisch ist, bei keiner Touristen-Exkursion fehlen darf.

    Die Altersarmut in Portugal nimmt rapid zu. Einerseits ist sie noch ein Erbe aus Zeiten der Diktatur vor 30 Jahren, als eine Rentenversicherung noch als überflüssiger Luxus betrachtet wurde. Andererseits haben Niedrigstlöhne und Hyperinflation in den 70er und 80er Jahren sie verstärkt: Selbst wer damals viel verdiente, bekommt heute Minimalrenten. Senhor José zum Beispiel:

    "Meine Rente beträgt 336 Euro. Das ist doch nichts. Und dafür habe ich 32 Jahre bei der Straßenbahngesellschaft gearbeitet und Sozialabgaben bezahlt. Das muss man sich mal vorstellen, so ist das!"

    Dabei ist Senhor José noch einer der Spitzenverdiener am Kartentisch. Er habe Bekannte, die sich nicht einmal den Luxus einer ‚bica’ leisten könnten, den Espresso für knapp einen Euro, den die Portugiesen so gern zwischendurch mal trinken. Schlimmer noch, die müssten sogar bei der Gesundheit sparen, weiß Senhor José:

    "Für einige Medikamente gibt es Zuzahlungen vom Staat, für viele aber nicht. Und ich kenne Leute, denen gibt der Arzt ein Rezept. Sie können die Medikamente jedoch nicht abholen, weil sie kein Geld dafür haben."

    Portugals sozialistische Partei, die seit zwei Monaten an der Regierung ist, hat das Problem erkannt. Im Wahlkampf hatte sie darum versprochen, die Mindestrente dem staatlich garantierten Mindestlohn von rund 370 Euro anzupassen. Immer noch nicht viel, aber das wären 120 Euro mehr, als Eduardo Gomes, der dritte der Freunde, jetzt bekommt. Geschehen ist bis jetzt allerdings noch nichts. Gomes schiebt seine alte Mütze in den Nacken, lacht und spielt eine neue Karte aus.

    "Ich habe noch nicht mehr bekommen, aber die Erhöhung kommt bestimmt im nächsten Monat."

    Das Spiel geht weiter, ein weiterer Freund ist inzwischen mit seiner Zeitung und einem Transistorradio dazugekommen. Galgenhumor macht sich am Kartentisch breit: Die Alten hätten schon nicht mehr die Kraft, für ihre Forderungen einzutreten, findet Jacinto Santos und die Parteien ließen sie sowieso links liegen. Wie höhere Renten denn finanziert werden sollten, wenn immer weniger Leute arbeiteten und immer mehr in den Ruhestand gingen, fragt Eduardo Gomes, gewinnt und lacht schon wieder. Nein, eine Rentenerhöhung werde es so bald wohl nicht geben. Dann stimmen alle Senhor José zu, der das Gespräch zum Thema Renten in Portugal für heute beendet:

    "Versprechungen, Nur Versprechungen! Wenn sie an die Macht wollen, versprechen sie alles, sogar Rentenerhöhungen für uns, die kleinen Fische. Aber ihnen, den großen, geht es immer gut. Und dann vergessen sie ihre Zusagen. Aber das Wichtigste ist, zuerst einmal alles Mögliche zu versprechen."