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Zucht als letzter Ausweg

Biotechnologie. - Der Blauflossen-Thunfisch ist hochgradig gefährdet, denn der Mensch hat einen geradezu gefräßigen Appetit auf sein Fleisch entwickelt. Daher ist ein völliger Fangstopp zur Rettung der Art bisher nicht in Sicht. Ein möglicher Ausweg ist die Aufzucht in Aquakultur. Japaner machten mit dem pazifischen Thun den Anfang, jetzt ziehen europäische Forscher nach.

Von Lucian Haas | 07.07.2011
    Normalerweise weigern sich die großen Raubfische, die an das weite Meer gewöhnt sind, sich in Gefangenschaft fortzupflanzen. Doch in Japan hat es schon geklappt. Nach 30 Jahren Forschung ist es dort gelungen, den Pazifischen Blauflossen-Thunfisch in Fischfarmen zu vermehren. Im vergangenen Jahr wurden die ersten Jungtiere an kommerzielle Aquakulturbetriebe geliefert, wo sie nun drei Jahre lang bis zur Schlachtreife gemästet werden. Beim Atlantischen Blauflossen-Thunfisch, der mit dem pazifischen verwandt ist und traditionell im Mittelmeer gejagt wird, ist man noch nicht ganz so weit. Im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojektes Selfdott verlaufen Zuchtversuche aber vielversprechend. Die erste große Hürde wurde schon genommen. Seit 2005 ist es den beteiligten Wissenschaftlern immer wieder gelungen, Thunfische in Käfigen vor den Küsten Spaniens und Maltas zum Ablaichen zu bringen. Einer der treibenden Köpfe hinter dem Vorhaben ist der Brite Christopher Bridges von der Universität Düsseldorf. Der Fischereibiologe hat ein Verfahren entwickelt, mit dem die Fische durch Hormonimplantate zur Eiablage stimuliert werden können.

    "Die Implantate werden auf einer Harpune montiert und dann mit einem kleinen Pieks einfach in den Fisch reingeschossen. Die bleiben ungefähr drei bis vier Tage drin und geben dann das Hormon ab. Und innerhalb von dieser kurzen Zeit werden die Tiere dann ablaichen."

    Vor zwei Jahren konnten die Forscher in Spanien mit dieser Technik die Rekordmenge von 150 Millionen Eiern ernten, aus zwei schwimmenden Käfigen mit je 30 geschlechtsreifen Thunfischen. Im vergangenen Jahr gab es dann eine Überraschung: Die gleichen Tiere laichten sogar ohne Hormonspritze, was sie in der aktuellen Saison gleich wiederholten. Christopher Bridges sieht das als Beweis, dass der Thunfisch sich an die Haltung in Gefangenschaft gewöhnen kann.

    "Wenn die Fische nicht – ich sage es mal so – glücklich sind, dann würden die Tiere nicht ablaichen."

    Jetzt bleibt nur noch eine Hürde, bevor die Thunfische ihren kompletten Lebenszyklus in der Obhut des Menschen vollbringen können: Die Tiere müssen auch die empfindliche Jugendphase überstehen. In den speziellen Bruttanks schlüpfen zwar aus fast 90 Prozent der Eier Thunfischlarven. Doch danach ist die Sterblichkeit der sogenannten Fingerlinge sehr hoch. Bisher hat bei den Versuchen in Europa noch kein Jungfisch länger als 150 Tage überlebt. Bridges:

    "Das Problem beim Thunfisch ist: Er wächst. Und damit muss dann auch das Futter mitwachsen. Der Mund wird immer größer; das bedeutet, das Futter muss immer größer werden."

    Eine angepasste Ernährung für jedes Entwicklungsstadium der Jungtiere ist also gefragt. Diese Erkenntnis war schon in Japan entscheidend für den Zuchterfolg des Pazifischen Blauflossen-Thunfisches. In diesem Jahr erhoffen sich auch die europäischen Forscher mit einem verbesserten Futterregime den Durchbruch. Ein norwegischer Hersteller von Fischfutter hat bereits eine Serie von Futterpellets in verschiedensten Größen entwickelt. Christopher Bridges arbeitet derweil an analytischen Verfahren, mit denen sich die Zuchtauswahl der Thunfische optimieren lässt. Mit speziellen Harpunen können Taucher in den Käfigen aus einem lebenden Fisch kleinste Gewebeproben herauspicken – für Genanalysen.

    "Wir machen einen sogenannten DNA-Fingerprint von diesem Fisch. Das bedeutet, wir können jeden einzelnen Fisch identifizieren. Das ist sehr wichtig für später. Denn wenn wir die Eier sammeln, können wir sie einem bestimmten Elterntier zuordnen. Dadurch können wir genetisch sehen: Der ist ein guter Fisch, der laicht sehr oft ab, der bleibt drin. Ein anderer, der nie abgelaicht hat, kann dann nach draußen kommen, und wir ersetzen den mit einem neuen Fisch."

    Christopher Bridges ist optimistisch, dass die kontrollierte Thunfischzucht in Europa bald starten wird – wie in Japan. Will man nicht das Aussterben des Thunfisches riskieren, aber weiterhin Sushi konsumieren, bleibt im Grunde auch kein anderer Weg.

    "Wir können nicht so weitermachen wie bis jetzt. Wir können nicht so weiterfischen. Man muss die nächste Stufe versuchen: erst einmal Aquakultur zu machen und dann den Wildfang zurückzufahren. Wenn dieses Jahr unser Projekt mit den Fingerlingen zum Erfolg kommt und wir nächstes Jahr lebende Fische im Wasser haben, dann kriegen wir das in den nächsten zwei bis fünf Jahren hin: Dann wird die Aquakultur von Thunfisch Realität sein."