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Zuckerkrankheit
Diabetes-Kurse helfen Patienten individuell

Von Schwangerschaftsdiabetes über Unterzuckerung bis hin zu Amputationen: Viele Diabetes-Praxen bieten spezielle Kurse für ihre Patienten an. Denn im Internet kursieren viele Theorien und Therapievorschläge, die Diabetiker verwirren können. Die Kurse bieten Orientierung.

Von Susanne Lettenbauer | 14.03.2019
Eine Diabetikerin spritzt sich Insulin
Die Inhalte aus den Schulungen beziehen sich auf aktuelle Studien (Imago)
Kurz vor 15 Uhr in einer Diabetes-Praxis im Münchner Süden. Langsam treffen die Patienten ein, mehr oder weniger skeptisch. Zehn Personen. Jüngere und Ältere, einer im Rollstuhl, dann ein Senioren-Pärchen.
"Ja gut, ich bin jetzt frisch Diabetiker. Ja allgemein alles, wie ich mich besser verhalten soll, wie ich den Zucker senken könnte, das sind meine Ziele hier."
"Ja, für mich ist heute eine neue Situation, seit paar Tagen muss ich spritzen, das heißt, seit Langem habe ich Zucker, Typ 2, aber konnte es bisher mit Tabletten erreichen, aber kann es jetzt mit dem Essen nicht mehr erreichen."
Auf den U-förmig angeordneten Tischen stehen Namensschilder, daneben Päckchen mit Traubenzucker, damit jeder die drei kommenden Stunden durchhält:
"So, hallo. Ich bin die Frau Stebel, die Diabetesberaterin, ich grüße Sie ganz herzlich vom ganzen Praxisteam. Und ich finde es super, dass Sie sich die Zeit nehmen, sich mit Ihrem Zucker zu beschäftigen. Im Endeffekt ist es mir wichtig, dass Sie Fragen stellen, dass Sie sich untereinander austauschen."
Nicht alle sehen Notwendigkeit einer Schulung
Auf einem Tischchen neben dem Projektor liegen große Fotokarten. Eine Frau, die sich die Bettdecke über den Kopf zieht, ein Kind, das über ein Seil balanciert, ein Bungee-Jumper, eine Bananenschale:
"Die Patienten dürfen sich eine Karte aussuchen, wie sie sich gerade fühlen, also eher so, das mit der Bananenschale: Bin ich gerade dabei auszurutschen? Oder würde ich mich mit meinem Zucker am liebsten unter der Bettdecke verkriechen."
Es sei gar nicht so einfach, sagt Kursleiterin Petra Stebel, die Betroffenen von der Notwendigkeit einer klassischen Schulung zu überzeugen. Vier Wochen jeden Montag drei Stunden. Viele kommen nur deshalb, weil die deutschen Krankenkassen die Basisschulung und ein Jahr später auch noch eine eintägige Motivationsschulung bezahlen - anders als in Österreich oder der Schweiz:
"Wir fangen jetzt erst mal an. Wir gucken uns erst mal an, was ist Lebensqualität."
Diabetesberaterin Stebel geht am Projektor die Grundlagen des Diabetes durch, fragt nach, wie es den Patienten geht, lässt Erfahrungen austauschen, versucht die Angst zu nehmen, dass Diabetes ein endgültiges Urteil ist.
Dabei geht sie individuell auf jeden Einzelnen ein. Sie erklärt, dass es schon bei den Ägyptern vor 3.000 Jahren Diabetes gab, warum Diabetes entsteht, welche Folgeerkrankungen auftreten können, wie genau man sich spritzen muss und dass backen und kochen für Diabeter kein Problem sein muss. Alles Themen, die man so auch im Internet finden kann - eine Schulung in einer zertifizierten Schwerpunktpraxis sei trotzdem etwas komplett anderes, so Stebel:
"Erst mal ist es total aktiv, zweitens Mal ist das, was wir hier haben die neuesten Studien, die international und auch von der Deutschen und Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft eben gelaufen sind. Da können sie sich sicher sein, dass das das Neueste ist, was es im Moment über Diabetes zu hören gibt."
Schulungen immer auf neuestem Stand
Neun unterschiedliche Schulungen à zehn Teilnehmer bietet das Team um Petra Stebel und Praxisinhaber Arthur Grünerbel an, alle nach zertifizierten Curricula. Angefangen bei der Basisschulung über Blutdruckschulung und Schwangerschaftsdiabetes bis hin zur Hypoglycämie-Schulung, also Praktiken gegen Unterzuckerung und seit Kurzem verstärkt auch zu Fußläsionen, also die gefürchtete Taubheit und im Ernstfall Amputation von Gliedmaßen, was bislang vernachlässigt wurde, so Arthur Grünerbel:
"In der Regel kann es ein Nervenschmerz sein, oft geht es aber damit einher, dass das Gefühl nicht mehr da ist und damit wird auch eine Wunde nicht rechtzeitig gespürt. Und das ist das Problem, was in Deutschland noch immer zu Amputationen führt. Der Diabetes-Bericht 2019, wenn sie das umrechnen, sagt: Alle 13,4 Minuten findet eine diabetesbedingte Amputation in Deutschland statt. Und drum ist es so wichtig, dass die Patienten da auch speziell geschult werden."
Er habe sich natürlich auch im Internet informieren wollen, sagt einer der Teilnehmer noch, aber da könne man nicht nachfragen und einen Kontakt zu einer Diabetesberaterin wie Petra Stebel, auch nach dem Kurs noch, gäbe es da auch nicht:
"Eine der ersten Webseiten, die ich über Google-Suche herausgefunden habe, die sagte, 96 Prozent aller Diabetiker brauchen kein Insulin und können so geheilt werden. Diese Information war für mich eigentlich schon genug, dass ich ein ganz, ganz großes Fragezeichen gemacht habe. Also da muss man sehr aufpassen, was man an Informationen im Internet aufnimmt und muss das verifizieren über mehrere Webseiten, sonst kommt man richtig in die Fehlinformation rein."