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Zufriedenheit am Arbeitsplatz
"Auch 40-Jährige haben mittlerweile zwischen fünf und acht verschiedene Arbeitgeber"

Mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer ist uneingeschränkt zufrieden mit ihrem Job. Viele sagen aber auch, dass sie die Hoffnung auf die große Karriere aufgegeben haben. Ein Widerspruch, der sich aber durchaus erklären lässt, sagte Marcus Reif von der Unternehmensberatung Ernst and Young im DLF.

Marcus Reif im Gespräch mit Sandra Pfister | 13.11.2015
    Ein Telefon steht auf einem Schreibtisch in einem Sekretariat.
    Ist die Karriere mit 40 noch möglich? Eine Studie der Unternehmensberatung Ernst and Young hat Arbeitnehmer zur ihrer Zufriedenheit am Arbeitsplatz befragt. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Sandra Pfister: Jeder Zweite in Deutschland hat für sich das Gefühl, mit der Karriere wird das wohl nichts mehr, ich bin schon am Ende der Fahnenstande angelangt. Das zumindest kam bei einer Studie der heraus. Viele der Befragten sind gerade mal 40.
    Ist Deutschland ein Land, in dem viele Unternehmen ihren Angestellten zu wenig Anreize und Chancen einräumen? Darüber habe ich vor der Sendung mit Marcus Reif gesprochen. Marcus Reif ist Head of Recruiting bei Ernst and Young, so würde man vielleicht auf Deutsch sagen, für die Rekrutierung von Personal zuständig. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, wie es sein kann, dass viele Angestellte schon mit 40 sagen, aus mir wird nichts mehr.
    Marcus Reif: Ich glaube, wir sind in einer wirklich umstürzenden, wandelnden Gesellschaft angekommen. Viele Führungskräfte von heute verfolgen noch einen Führungsstil, der doch aus dem letzten Jahrhundert kommt, und heute stellen wir fest, dass insbesondere durch die Generation Y, also die nachfolgenden Generationen, sehr viel an Bedürfnissen, Erwartungen, Vorstellungen an eine Karriere und an den Arbeitgeber sich stark verändert haben und auch die Generation derjenigen, die heute um die 40 Jahre alt sind, sehen auch in der Quartalszielerfüllung nicht mehr eine Vision.
    "Man hat andere Erwartungen an den Arbeitgeber"
    Pfister: Das heißt, es ist eine Art, sich über den Chef zu beschweren, wenn Sie sagen, sie glauben, dass da das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Es ist nicht eine Art, zu sagen, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe, so machen wir weiter.
    Reif: Es gibt verschiedene Sichtweisen auf dieses Thema. Ich glaube nicht, dass es jetzt eine direkte Kritik an den direkten Vorgesetzten ist, sondern es ist eine Weiterentwicklung der Bedürfnisse an den eigenen Arbeitgeber, man hat andere Erwartungen an den Arbeitgeber, und wenn dort eine Situation entsteht, dass man in der Mitte seiner Karriere mit 40 Jahren der Meinung ist, da könnte noch das eine oder andere an Karriereschritten kommen, ist das aus Motivationssicht eine sehr gute Antwort.
    Pfister: Gleichzeitig ist es ja so, das ist aus der gleichen Befragung aus einem anderen Teilsegment hervorgegangen, dass mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer uneingeschränkt zufrieden mit ihrem Arbeitgeber ist – widerspricht sich das nicht?
    Reif: ich glaube nicht, dass es sich widerspricht. Die Arbeitgeber haben, gerade was Kulturveränderungen angeht, Unternehmenskultur und Führungskultur, in den letzten Jahren viel investiert, deswegen kann man mit seinem Arbeitgeber zufrieden sein, gerade wenn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund steht oder auch meine persönlichen Bedürfnisse nach Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort oder der Respekt des Arbeitgebers vor meinen persönlichen Interessen als einzelner Mitarbeiter.
    Nichtsdestotrotz möchte ich meine Karriere vielleicht schneller machen als sie der Arbeitgeber gerade offeriert. Das führt dann zu einer punktuellen Unzufriedenheit, was die Weiterentwicklungsmöglichkeiten angeht, was aber nicht zwingend in eine negative Korrelation zur Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber mündet.
    "Es tut sich ja schon einiges im puncto Fluktiation"
    Pfister: Wenn ich mich weiterentwickeln will, müsste ich dann nicht konsequenterweise sagen, ich kündige, ich mache woanders weiter. Damit tun sich deutsche Arbeitnehmer ja oft ein bisschen schwer.
    Reif: Wir erleben, dass gerade in den verschiedenen Generationen, die wir betrachten, in der Rekrutierung und in der Arbeitgeberattraktivität sich da eine Menge getan hat: Schauen Sie sich mal Ihre Großeltern an, Ihre Großeltern haben im Schnitt zwei Wechsel von ihren Arbeitgebern. Die Eltern unserer Großeltern sind in der Regel dort in Rente gegangen, wo sie angefangen haben zu arbeiten.
    Die Generation von heute, die Generation Y, die hat wahrscheinlich um die acht bis zehn verschiedene Arbeitgeber auf 45 Jahre Berufstätigkeit gemessen, also tut sich ja schon einiges in puncto Fluktuation, und man kann hier beobachten, dass Menschen aus ihrer punktuellen Unzufriedenheit mit Kollegen, mit Vorgesetzten, mit Situationen des Arbeitgebers viel schneller die Konsequenz ziehen durch einen Arbeitgeberwechsel.
    Pfister: Aber gehen wir mal einen Moment weg von der Generation Y, denn das wären ja die wirklich noch relativ Jungen. Wenn wir die ein bisschen Älteren nehmen, meinetwegen die 40-Jährigen, die wirklich in der Mitte ihres Arbeitslebens stehen, wenn die sagen, ich komme nicht mehr weiter – was können die tun? Die haben ja doch ein paar Optionen weniger als sehr Junge, die sagen, okay, ich bin da noch flexibel, ich kann irgendwo von vorne anfangen.
    Reif: Die Generation Y ist heute ja schon 35, 36 Jahre alt, also so weit weg von den 40-Jährigen sind sie gar nicht, eine der bestimmenden Generationen, weil sie die erste ist, die durch den demografischen Wandel auch erkannt hat, dass sie ein echtes Pfund hat in der Arbeitswelt, und die Generation vor ihr, die Generation X, die erkennt natürlich, dass sie aus ihrer Karriere vielleicht noch ein Stückchen mehr machen kann.
    Auch 40-Jährige haben mittlerweile zwischen fünf und acht verschiedene Arbeitgeber, das sind deutlich mehr Wechsel als ihre Eltern vorgenommen haben, und hier kann aus einer punktuellen Unzufriedenheit natürlich auch noch mal ein Tapetenwechsel erfolgen, mit der Hoffnung, dass auf der anderen Seite des Zauns die Wiese irgendwie grüner ist.
    "So eine Situation kann natürlich auch kräftezehrend sein"
    Pfister: Sie schließen es aber aus, dass viele einfach sagen, ich bin total zufrieden mit dem, was ich habe, mehr muss da gar nicht sein. Denn das schimmert ja durch den Rest der Studie auch durch, dass viele gar nicht so unzufrieden sind, sondern vielleicht denken, naja, aber mehr Karriere muss ich auch nicht machen.
    Reif: Ich bin sicher, dass wir verschiedene Zyklen betrachten: Wir haben in der Studie, die davor veröffentlicht wurde, gesehen, dass diejenigen, die über 55 Jahre alt sind, am zufriedensten mit ihrer Karriere sind, weil sie auch, glaube ich, erkannt haben, dass sie sehr viel von ihrem eigenen empirischen Vermögen weitergeben können an nachfolgende Generationen, und die Generation X, die jetzt mit 40 Jahren im Mittelpunkt steht, die sieht einen großen Optimismus in ihrer Karriere, blickt aber auf weitere Karrieremöglichkeiten pessimistisch.
    Das ist, glaube ich, so eine Sandwichposition, wenn sie im mittleren Segment ihres Unternehmens sind, dann bekommen sie den Druck von unten, von Menschen, die natürlich auch ein Stück weiter wollen, sie bekommen den Druck von der Seite und von oben, was die Unternehmensziele angeht, und so eine Situation kann natürlich auch kräftezehrend sein, was auf Optimismus und Zuversicht niederschlägt.
    Pfister: Mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer ist uneingeschränkt zufrieden mit ihrem Job, genauso viele sagen, ich glaube, weiter komme ich auf der Karriereleiter nicht mehr – darüber haben wir gesprochen mit Marcus Reif, dem Chef des Recruiting bei Ernst and Young. Danke Ihnen ganz herzlich, Herr Reif!
    Reif: Schönen Tag noch, danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.