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Zugverbindungen im Norden
Fehlende Lokführer sorgen für Ausfälle bei der Bahn

In Schleswig-Holstein musste die Deutsche Bahn in letzter Zeit etliche Verbindungen streichen - weil Lokführer fehlen. Zwar gibt es Ersatzbusse, die Fahrtzeit verlängert sich dadurch aber deutlich. Kritiker sprechen von einem hausgemachten Problem.

Von Johannes Kulms | 15.09.2018
    Ein Reisender steigt am 18.10.2014 am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) am Hauptbahnhof in Lübeck (Schleswig-Holstein) in einen Bus der Deutschen Bahn.
    Schienenersatzverkehr der Deutschen Bahn. (dpa)
    Es könnte so einfach sein: Ein junger hipper Typ steigt in einen modernen Schnellzug…
    Iggy Pop: "I‘m the passenger…"
    Per Smartphone lässt er sich zum richtigen Platz leiten und kommt auf dem Weg dorthin an jeder Menge lustiger Menschen vorbei. Angekommen dann die Erkenntnis: Da sitzt schon jemand. Und zwar ein alter Punkrocker mit nacktem Oberkörper! So zu sehen in einem Werbeclip der Deutschen Bahn. Der Konzern hat es geschafft, dafür Nico Rosberg und Iggy Pop zu gewinnen. Die sollen nun vermitteln: Mit den digitalen Services der Deutschen Bahn ist alles leichter!
    Doch womöglich ist der eigentliche Hauptzweck der DB aus dem Fokus geraten? Nämlich Fahrgäste einigermaßen bequem und zuverlässig von A nach B zu bewegen - und das über die Schiene? Zum Beispiel am Lübecker Hauptbahnhof - dem meistgenutzten Bahnhof Schleswig-Holsteins.
    Wer von hier aus in Richtung Kiel, Fehmarn, Lüneburg oder Travemünde fahren will, braucht seit Kurzem mehr Zeit und sollte keine Angst haben vor schleswig-holsteinischen Landstraßen. Insgesamt 18 Verbindungen in den Früh- und Abendstunden hat die Deutsche Bahn auf diesen Strecken gestrichen. Denn: Es gibt nicht genügend Lokführer.
    Immerhin: Zum Ersatz fahren Taxis und Busse. Es muss ja irgendwie weitergehen. Bloß: Diesen Schienenersatzverkehr zu finden, ist schwierig. Zum Beispiel für die Regionalbahn ins ostholsteinische Neustadt, die eigentlich um 18:12 in Lübeck losfahren soll. Auf der Anzeigentafel taucht weder der Zug noch der Ersatzbus auf, sondern lediglich der Hinweis auf umfangreiche Änderungen im Zugverkehr und die Sonderaushänge.
    Keine guten Hinweise auf den Schienenersatzverkehr
    Der Schaukasten mit eben diesen Sonderaushängen entpuppt sich als unübersichtliche gelbe Tabellenwüste. Ein Schild mit dem Hinweis "Schienenersatzverkehr" sucht man in der historischen Eingangshalle vergebens. Gehen Sie rüber zum Busbahnhof, lautet stattdessen die Ansage vom DB-Infostand.
    Die Suche nach der richtigen Haltestelle hat etwas Harry-Potter-mäßiges und erinnert an die Reise nach Hogwarts: Der Ersatzbus nach Neustadt soll von Bussteig 13 fahren. Doch neben Bussteig 12 liegt Bussteig 1. Wer soll als Nicht-Lübecker ahnen, dass Bussteig 13 etwa 50 Meter weiter liegt?
    "Das ist natürlich so eine Primetime-Verbindung, wenn man bedenkt, um 18 Uhr fahren natürlich viele Pendler nach Hause. Dass sie nun da einen Zug ausfallen lassen, ist verwunderlich, find‘ ich."
    Seit zwei Jahren pendelt Daniel Lukoschus jeden Morgen mit dem Zug von Scharbeutz zur Arbeit nach Hamburg. 1:45 Stunden dauert für ihn die Fahrt von Tür zu Tür – je Richtung. Doch meist gehe es entspannt zu, nur selten gebe es Probleme mit den Züge, so die Erfahrung des 44-Jährigen.
    Doch der Schienenersatzverkehr verlängert Lukoschus‘ Fahrt jetzt um eine halbe Stunde. Damit betreibe die DB doch beste Lobbyarbeit für die Autoindustrie.
    "Ich dachte eigentlich, Mensch, super, mit der Bahn und man tut was für die Umwelt und kommt ja ganz gut voran. Aber so ist es dann eventuell doch wieder die Alternative, auf’s Auto umzusteigen."
    Dass die Bahn nun kurzfristig so viele Verbindungen "bis auf weiteres" streiche sei ein Armutszeugnis.
    "Also, mittelständische Unternehmen, wenn die keine Auszubildenden mehr hätten, würden die pleite gehen."
    DB sucht händeringend Lokführer
    Tatsächlich buhlt die Deutsche Bahn schon länger um Fachkräfte – auch bei den Lokführern. Man sei dabei, mit einer Ausbildungsoffensive gegenzusteuern, heißt es von der DB Regio Schleswig-Holstein. Alle zwei Monate sollten nun neue Ausbildungslehrgänge beginnen. Bloß: Selbst ein solcher Schnellkurs zum Lokführer dauert zehn bis zwölf Monate.
    "Es ist richtig, dass wir Lokführer suchen", sagt Bahnchef Richard Lutz im Interview mit dem Deutschlandfunk. "Allerdings auch Lokführer - Gott sei Dank - finden, die mit viel Spaß in das Unternehmen kommen, weil sie eben sehen, dass es ein bunter Laden ist, wo nicht alles perfekt funktioniert. Wo sie aber mithelfen können, einen wichtigen Verkehrsträger, nämlich die Schiene nach vorne zu bringen."
    Doch Schleswig-Holstein ist für die DB schon länger ein schwieriges Pflaster. Auf der Marschbahn zwischen Hamburg und Sylt dauern die Probleme seit nun knapp zwei Jahren an. Auch auf anderen Strecken mehren sich Zugausfälle. Wegen Problemen bei den Fahrzeugen. Aber auch wegen Personalmangel.
    Beate Rache leitet die Schleswig-Holsteinische Geschäftsstelle der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft in Kiel. Die EVG vertritt auch die Lokführer. Dass die Deutschen Bahn nun wegen Lokführermangel Zugverbindungen streicht, wundert Beate Rache:
    "Dass nicht genügend Lokführer vorhanden sind, das war mir schon klar, das zeichnet sich schon eine ganze Weile ab."
    Das Problem sei hausgemacht, sagt sie mit Blick auf die DB. Andererseits werde es auch für private Bahnunternehmen immer schwerer, Lokführer zu finden.
    "Die negativen Aspekte der Arbeit sind halt naturgemäß damit verbunden, dass dort Schichtdienst vorherrscht, der natürlich nicht eine Arbeit so attraktiv macht."
    Schleswig-Holstein droht mit Strafzahlungen
    Dass Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz der DB auch nun wieder mit Strafzahlungen droht und den Konzern bei künftigen Ausschreibungen kritisch sieht, hält Beate Rache jedoch für kontraproduktiv. Das verunsichere die Belegschaft und sorge womöglich dafür, dass die Lokführer sich nach anderen Jobs umschauten.
    Anders sieht das Stefan Barkleit, der Landesvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn. Er sagt, der Verkehrsminister von der FDP tue gut daran, gegenüber der DB auf die Einhaltung der Verträge zu pochen. Ob und wie sich die Ausbildungsbemühungen bei der DB auswirken, sei abzuwarten. Immerhin sei der Konzern jetzt mal bereit, offen einzugestehen, dass er ein Problem habe.
    "Dass man von vornherein sagt, wir kommunizieren das, was wir nicht fahren können und wir schauen mit Bedacht praktisch, welche Leistungen davon betroffen sind. Beziehungsweise, bei welchen Leistungen wir am wenigsten Fahrgästen wehtun. Wobei natürlich jede Leistung, die ausfällt ist eine Leistung zu viel."
    Gegen 19:30 Uhr erreicht der Ersatzbus den Bahnhof von Neustadt. Die Bahn hätte für die circa 35 Kilometer lange Strecke von Lübeck hierher 40 Minuten gebraucht. Der Bus braucht 75 Minuten.
    Auf dem verträumten Bahnhofsvorplatz wartet ein Taxifahrer, der seinen Namen nicht im Radio hören will. Für ihn und seine Kollegen seien die gestrichenen Fahrten ein kleines Konjunkturprogramm…
    "Kann man so sagen, ist nicht schlecht."
    Der 53-Jährige hat nach einem Jahr Arbeitslosigkeit gerade erst wieder einen Job gefunden als Metallarbeiter. Taxi fährt er noch nebenbei. Zwischendurch hatte er sich auch bei der Bahn in Lübeck beworben für einen Quereinstieg als Lokführer. Doch eingeladen wurde er nicht.