Columbus ist ein silberner Zylinder, sieben Meter lang, knapp fünf Meter im Durchmesser. Außen mit dicken Platten gegen Weltraumschrott gepanzert, im Innern voll mit wissenschaftlichem Gerät: An allen Wänden, oben wie unten, links wie rechts, sind Experimentierschränke festgeschraubt. Dazu Klapptische, Laptops und Klettbänder zum Anheften von Stiften und Werkzeugen. Nur an einem Ende öffnet sich eine Luke nach draußen: Damit wird Columbus an die Raumstation andocken.
"Wir bauen ja ein Universallaboratorium, das halt im Weltraum benutzt werden kann. Wir stellen eine Infrastruktur zur Verfügung, um eben Experimente durchzuführen."
Günther Brandt ist Projektleiter für Columbus bei EADS Astrium in Bremen. Dort wurde Columbus geplant und gebaut. 41 Firmen aus 10 Ländern sind am Bau des Weltraumlabors beteiligt gewesen. 880 Millionen Euro kostet Europas Beitrag zur Internationalen Raumstation ISS. Deutschland bezahlt davon knapp die Hälfte, also gut 400 Millionen Euro.
"Für biologische Experimente gibt es Inkubatoren, Temperaturkammern, in denen diese Experimente durchgeführt werden können. Es gibt eine so genannte Glove Box, einen Handschuhkasten, der ein abgeschlossenes Volumen hat, in dem mit gefährlicheren Stoffen experimentiert werden kann. Wir haben eine Anlage, mit der Flüssigkeiten untersucht werden können. Es gibt einen Schrank, der voll ist mit medizinischen Geräten. Also gerade die Kosmonauten und Astronauten sind ja auch Versuchsobjekte: Dazu gibt es viele klinische Geräte an Bord, mit denen diese Experimente durchgeführt werden können."
An Bord der Raumstation in 350 Kilometern Höhe gelten dieselben physikalischen Gesetze wie auf der Erde. Nur die am Boden alles dominierende Schwerkraft ist in der Umlaufbahn nicht spürbar. So steigt im All heiße Luft nicht auf, unterschiedlich schwere Stoffe lassen sich perfekt durchmischen, ausgekippte Flüssigkeiten schweben als Kugel durch den Raum. Viele Wissenschaftler von Universitäts- oder anderen öffentlich finanzierten Instituten haben Experimentierzeit beantragt, um in der schwerelosen Umgebung zu forschen. Günter Ruyters vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn setzt vor allem auf die biologischen Experimente an Bord von Columbus:
"Im Biolab geht es um ganz grundlegende Fragen, wie Zellen, Pflanzen, kleine Tiere oder auch Zellkulturen, wie diese Organismen Schwerkraft wahrnehmen und verarbeiten. Von den ganz anfänglichen Prozessen der Schwerkraftwahrnehmung über die Weiterleitung in den Zellen, in den Geweben bis zur Reaktion der Pflanze. Ganz einfach gesagt, woher wissen die Pflanzen, dass sie ihre Wurzeln zum Erdmittelpunkt wachsen lassen sollen und den Spross zum Licht, damit die Pflanze nachher Photosynthese machen kann."
Die Forschung im All galt seit Jahrzehnten als Hauptzweck der bemannten Raumfahrt. Insbesondere in Deutschland ist politisch gewünscht, die Forschung in der Schwerelosigkeit in den Mittelpunkt zu stellen: Die Astronauten führen in der Umlaufbahn wissenschaftliche Experimente durch, die ohne sie nicht möglich wären. 700 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln fließen hierzulande pro Jahr in den Raumfahrtbereich. In ganz Europa sind es mehr als 5 Milliarden Euro. Dieses Geld wird zwar in die Raumfahrt insgesamt investiert, nicht nur in die bemannte. Die Forschung im All dient aber immer als Feigenblatt für die bemannte Raumfahrt. Offenbar hat die Politik Angst, etwas zu unterstützen, was keinen direkten Bezug zur Forschung hat. So wird die Internationale Raumstation wider besseres Wissen vor allem als fliegendes Wissenschaftslabor gepriesen.
"No, no! Manned space flight is not only for microgravity. I think we can do microgravity experiments without manned space flight."
Nein, betont der Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Jean-Jacques Dordain, die bemannte Raumfahrt werde nicht nur für Experimente in der Schwerelosigkeit betrieben. Diese Forschung könne man auch ohne Menschen im All mit automatischen Satelliten durchführen. Mit Astronauten geht es zwar einfacher, aber dafür gäbe man nicht die zig Milliarden Dollar aus, die die ISS kostet. Da muss es schon andere Gründe geben, betont Jean-Jacques Dordain, der in diesem Punkt viel offener ist als mancher Raumfahrtoffizielle in Deutschland. Dordain gehörte vor Jahrzehnten zu den ersten fünf Astronauten-Kandidaten in Frankreich - doch ins All geflogen ist er nie.
"Bemannte Raumfahrt geht viel weiter - ich würde sogar sagen, da gibt es viele Aspekte jenseits des Weltraums. Für mich gehört bemannte Raumfahrt viel mehr zur Geschichte der Menschheit als zur Geschichte des Weltraums. Die Menschheit hat schon immer versucht, dorthin zu gelangen, wohin sie mit ihrer Technologie gehen konnte. Als man reiten konnte, hat man Kontinente durchquert. Als man Schiffe bauen konnte, hat man Ozeane überquert. Als man fliegen konnte, ist man geflogen. Jetzt dringen wir in den Weltraum vor. Da geht es nicht allein um Wissenschaft im All. Bemannte Raumfahrt hat mit viel mehr zu tun als nur mit dem Weltraum."
Auch wenn die Raumstation keineswegs nur ein fliegendes Forschungslabor ist, sollen die Astronauten in Columbus viele bedeutende Experimente durchführen. Mindestens bis zum Jahr 2020 soll die ISS in Betrieb bleiben - und mit ihr Columbus. Doch zunächst hat das Labor im All ein gravierendes Problem: Es mangelt an Laboranten. Nur drei Menschen sind derzeit dauerhaft im All postiert. Viel zu wenig, um wirklich intensiv auf der ISS zu forschen. Denn die drei Astronauten sind schon mit den Wartungsarbeiten des himmlischen Außenpostens vollauf beschäftigt. Frühestens im Jahr 2009 kann mit vollem Einsatz geforscht werden. Dann soll die Besatzung auf sechs Astronauten anwachsen.
Auf der Raumstation geht es vor allem um Grundlagenforschung in den Bereichen Physik, Biologie, Medizin und Materialwissenschaften. Die kommerzielle Forschung im All, mit der früher immer geworben wurde, lässt noch auf sich warten. Bisher begeistern sich für Columbus vor allem die Firmen, die es gebaut haben - wirklich nutzen will es kaum ein Unternehmen.
"Ich bin sicher, dass Unternehmer die Raumstation kommerziell nutzen werden. Die Kommerzialisierung kommt, aber jetzt noch nicht."
ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain mahnt zur Geduld. Ihn überrascht die bisherige Zurückhaltung der Firmen nicht.
"Unternehmer wollen schnelle Erträge sehen. Ich habe noch keinen getroffen, der heute einen Euro investieren würde und dann sagt, er könne zehn Jahre oder länger warten, bis er dafür etwas zurückbekomme. Wir als ESA müssen erst einmal Columbus starten und für alle Wissenschaftler auf der Erde zugänglich machen. Sobald wir dort oben wissenschaftlich erfolgreich arbeiten und innovative Anwendungen entwickeln, werden die Unternehmer kommen und Geld investieren."
Die Raumfahrer sind zurück auf dem Boden der Tatsachen. Als Anfang der 80er Jahre US-Präsident Ronald Reagan das Projekt Raumstation unter dem Namen "Freedom" startete, waren die Prognosen fantastisch. Weltraumfahrt würde sich durch die kommerzielle Nutzung quasi von allein rechnen. Die NASA wähnte sich bereits am Beginn einer industriellen Revolution, weil nun die Zeit der Fabriken im Weltraum angebrochen sei. Astronauten würden Medikamente gegen tödliche Krankheiten und superschnelle Computerchips entwickeln. Ein Hirngespinst.
Man darf gespannt sein, ob auf Columbus jemals kommerzielle Forschung in großem Stil erfolgen wird. Europa hat ohnehin nicht den vollen Zugriff auf das Weltraumlabor. Zwar wird die europäische Raumfahrtagentur ESA dank Columbus jetzt zum vollen Partner der ISS mit immerhin 8,3 Prozent Beteiligung. Aber das nach dem Entdecker der Neuen Welt benannte Labor teilen sich Alte und Neue Welt, schränkt Helmut Luttmann ein, der bei EADS Astrium für die Nutzung der Raumstation zuständig ist:
"Es gibt Übereinkünfte mit der NASA über die Nutzung und das so genannte Sharing von Kosten. Danach ist es so, dass wir Columbus zwar als Europäer entwickelt haben und auch besitzen und auch betreiben. Wir haben auch das Kontrollzentrum dafür in Oberpfaffenhofen. Aber wir stellen 50 Prozent des internen Volumens der NASA zur Verfügung für deren Experimente. Wir werden innen europäisch mit fünf Anlagen mit vielen Experimenten voll ausgerüstet sein und die Amerikaner werden innerhalb des nächsten halben Jahres ihre Experimente unterbringen."
In der Raumfahrt blüht der gute alte Tauschhandel. NASA, ESA oder die russische Raumfahrtagentur Roskosmos überweisen sich nicht gegenseitig Geld. Man bezahlt mit Sachleistungen. Motto: Ich nehme deine Astronauten im Shuttle mit, dafür schenkst du mir die Hälfte deines Raumlabors.
Was die USA in ihrem Teil von Columbus machen werden, hat US-Präsident George W. Bush bei der Verkündung seiner "Vision zur Weltraumerkundung" schon im Januar 2004 klar gemacht:
"Wir werden unsere künftige Forschung auf der Raumstation auf die langfristigen Effekte eines Weltraumaufenthalts auf den menschlichen Körper konzentrieren. Kosmische Strahlung und Schwerelosigkeit sind Gefahren für die menschliche Gesundheit. Wir müssen über diese Effekte viel mehr lernen, bevor wir zu monatelangen Reisen durch die leeren Weiten des Weltraums aufbrechen."
Die NASA hat sich de facto von der allgemeinen Forschung in der Schwerelosigkeit verabschiedet - und damit das früher stets als so gewichtig geltende Argument von der fliegenden Forschungsplattform fallen gelassen. Der größte Partner der Internationalen Raumstation hat jetzt ganz andere Pläne im All:
"Unser Ziel ist, bis zum Jahr 2020 zum Mond zurückzukehren - als Ausgangspunkt für noch weiter entfernte Ziele. Wir wollen auf dem Mond für immer längere Perioden leben und arbeiten."
Der Internationalen Raumstation bleibt bei Bushs Plänen für Mond- und Marsflüge nur noch die Rolle als Sprungbrett. Für Klaus Heiss - US-Weltraumstratege, der vor vier Jahrzehnten aus Südtirol in die USA ausgewandert ist - stand die ISS von Anfang an unter keinem guten Stern:
"Entweder brauche ich eine Weltraumstation, um zum Mond zu kommen oder um diese großen Satelliten zusammenzustellen. Eine Weltraumstation ist nicht Selbstzweck. Das ist die große Tragödie."
Kein überzeugendes Ziel, ein unrealistisch enger Zeitplan, zu wenige finanzielle Mittel - dieses Projekt konnte nicht gut gehen, sagt Klaus Heiss. Dennoch sieht er die Raumstation nicht als komplett gescheitert an:
"Das Positive an der Weltraumstation ist, dass es ein Managementteam heute gibt, das es erlaubt, dass die USA und Europa und Russland und Japan zusammenarbeiten. Sie glauben, das ist einfach. Aber das ist nicht einfach. Das sind verschiedene Sprachen, verschiedene Kulturen. Das Ganze zusammenzubringen, das ist ein unheimlich großer Wert. Das ist auf technischem Gebiet, im Managementgebiet, auch im politischen Gebiet. Das darf nicht verloren gehen. Ich sage: Bitte gemeinsam jetzt eine Mondstation machen. Und ich glaube das wäre das Beste, was aus der Weltraumstation gemacht werden kann: nämlich die Weltraumstation am Mond machen - je schneller, desto besser."
Nachdem der Mond nach den Apollo-Flügen lange in Vergessenheit geraten war, haben ihn die Weltraumnationen mittlerweile wiederentdeckt. Japan und China haben bereits Raumsonden zum Mond geschickt, Indien und die USA werden 2008 folgen. Selbst Deutschland plant für 2012 einen Satelliten in die Mondumlaufbahn zu schießen. Bemannte Landungen auf dem Mond wird es frühestens 2020 geben. Bisher sieht es eher danach aus, als strebten alle Nationen einzeln zum Mond. Das kann sich aber schnell ändern. Denn bevor die kühnen Träume der Raumfahrtagenturen in Erfüllung gehen können, ist auch auf der ISS noch viel zu tun, mahnt Klaus Heiss:
"Wir brauchen den Menschen im Weltraum, also im Erdumkreislauf, um etwas über den Körper herauszufinden. Was kann der menschliche Körper aushalten? Was sind die Probleme? Es gibt arge Probleme - vor allem psychologische Probleme. Es gibt da einige Zwischenfälle, auch im Shuttle-Programm - übrigens mit einem deutschsprachigen Astronauten, aber auch mit anderen -, wo sie einfach durchdrehen, sowohl die Russen als auch die Amerikaner. Es ist wichtig, um den Körper selber zu verstehen, aber auch um zu beantworten, kann überhaupt ein menschlicher Körper über lange Zeit über den Mond hinaus andere Destinationen erreichen im Sonnensystem? Die Antwort heute ist: Nein! Und das verneint die NASA und das verneinen die Weltraumenthusiasten. Ich brauche die Antworten, bevor ich sage, jetzt gehe ich über den Mond hinaus zu Mars oder wo auch immer."
Eine fast kuriose Entwicklung: Bis vor wenigen Jahren lautete der NASA-Slogan zur Raumstation "It's about Life on Earth" - es geht um das Leben auf der Erde. Jetzt geht es um das Leben der Astronauten auf dem Mond, auf dem Mars, irgendwo im All. Die Raumstation wird zu einer Art Selbsterfahrungsgruppe, um für lange Reisen durch das All gewappnet zu sein - zu einem Testfeld für Mondstationen.
Doch so wenig sich das kostspielige Projekt ISS mit Europas Forschungsmodul Columbus rechtfertigen lässt, so wenig ließe sich eine neue Reise zum Mond allein mit der Erforschung unseres Trabanten begründen. Auch die Apollo-Mondflüge waren keine wissenschaftlichen Missionen. Damals ging es um Prestige im Kalten Krieg. Warum wollen die Nationen heute wieder zum Mond? Bevor Europa sich an neuen Projekten jenseits der Erdumlaufbahn beteiligt, müsse man sich über die Ziele der bemannten Raumfahrt klar werden, mahnt Ernst Messerschmid. Er war als dritter Deutscher im All und ist heute Professor am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart:
"Das ist nicht alles durch Forschung motiviert. Sonst machen wir wieder den Fehler wie bei der Raumstation, wo wir gesagt haben, wir brauchen die Raumstation, weil wir die Forschung in der Schwerelosigkeit durchführen. Dann hat man Schwierigkeiten, die Frage zu beantworten: Wie rechtfertigen Sie das? Ist das nicht etwas zu viel Geld für die Experimente? Die Antwort ist: Natürlich ist es etwas viel Geld, wenn es das einzige Ziel gewesen wäre. Wir verbinden mit der Raumstation Wissenschaft, Forschung, technische Entwicklung, Schaffung von Innovationen, aber auch wirtschaftliche Dinge, Dinge im Bildungsbereich ..."
... aber das einzugestehen, fällt den Raumfahrtmanagern noch immer schwer. Die ESA mit ihren 17 Mitgliedsstaaten und den sich oft eifersüchtig bekriegenden nationalen Raumfahrtagenturen hat nur selten die Chance, von sich aus strategische Ziele zu formulieren und dann auch konsequent umzusetzen.
Jetzt mit dem Start von Columbus wäre der richtige Zeitpunkt gekommen. Denn mit dem Erreichen dieses Zieles braucht Europas Industrie neue Projekte, will sie ihre technische Kompetenz erhalten. Columbus ist ein großes bemanntes Raumschiff. Mit einem Antrieb versehen ließen sich damit auch andere Ziele im All erreichen. Europa hat die technischen Fähigkeiten, aber nicht den politischen Willen - die im Mai erstmals formulierte Europäische Raumfahrtpolitik bleibt in vielem sehr vage und müsste nun große gemeinsame Projekte auf den Weg bringen. Klaus Heiss, vor vier Jahrzehnten in die USA ausgewandert, macht mit seinem Südtiroler Charme sehr deutlich, dass ihm seine alte Heimat zu viel zaudert:
"Was mir abgeht, warum stellt sich nicht irgendein europäischer Präsident hin und sagt: So Leute, wir wollen Europa eine Vision geben für die Jugend. Wir, Europa, gehen jetzt zum Mond - mit oder ohne Amerikaner, mit oder ohne Russen, mit oder ohne Chinesen, Japaner. Wir machen das. Und wenn andere das auch machen, warum nicht. Das fehlt heute in Europa. Jean-Jacques Dordain, der Chef der ESA, kam eigens zu unserer Konferenz in Venedig. Und er hat gesagt, schau Klaus, wo ist in Europa die politische Leitfigur, die zu mir, zur ESA, kommt, auf die Schulter klopft wie Bush dem Chef der NASA, so jetzt geht es zum Mond innerhalb von zehn Jahren, das ist die neue Zielsetzung."
"Wir bauen ja ein Universallaboratorium, das halt im Weltraum benutzt werden kann. Wir stellen eine Infrastruktur zur Verfügung, um eben Experimente durchzuführen."
Günther Brandt ist Projektleiter für Columbus bei EADS Astrium in Bremen. Dort wurde Columbus geplant und gebaut. 41 Firmen aus 10 Ländern sind am Bau des Weltraumlabors beteiligt gewesen. 880 Millionen Euro kostet Europas Beitrag zur Internationalen Raumstation ISS. Deutschland bezahlt davon knapp die Hälfte, also gut 400 Millionen Euro.
"Für biologische Experimente gibt es Inkubatoren, Temperaturkammern, in denen diese Experimente durchgeführt werden können. Es gibt eine so genannte Glove Box, einen Handschuhkasten, der ein abgeschlossenes Volumen hat, in dem mit gefährlicheren Stoffen experimentiert werden kann. Wir haben eine Anlage, mit der Flüssigkeiten untersucht werden können. Es gibt einen Schrank, der voll ist mit medizinischen Geräten. Also gerade die Kosmonauten und Astronauten sind ja auch Versuchsobjekte: Dazu gibt es viele klinische Geräte an Bord, mit denen diese Experimente durchgeführt werden können."
An Bord der Raumstation in 350 Kilometern Höhe gelten dieselben physikalischen Gesetze wie auf der Erde. Nur die am Boden alles dominierende Schwerkraft ist in der Umlaufbahn nicht spürbar. So steigt im All heiße Luft nicht auf, unterschiedlich schwere Stoffe lassen sich perfekt durchmischen, ausgekippte Flüssigkeiten schweben als Kugel durch den Raum. Viele Wissenschaftler von Universitäts- oder anderen öffentlich finanzierten Instituten haben Experimentierzeit beantragt, um in der schwerelosen Umgebung zu forschen. Günter Ruyters vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn setzt vor allem auf die biologischen Experimente an Bord von Columbus:
"Im Biolab geht es um ganz grundlegende Fragen, wie Zellen, Pflanzen, kleine Tiere oder auch Zellkulturen, wie diese Organismen Schwerkraft wahrnehmen und verarbeiten. Von den ganz anfänglichen Prozessen der Schwerkraftwahrnehmung über die Weiterleitung in den Zellen, in den Geweben bis zur Reaktion der Pflanze. Ganz einfach gesagt, woher wissen die Pflanzen, dass sie ihre Wurzeln zum Erdmittelpunkt wachsen lassen sollen und den Spross zum Licht, damit die Pflanze nachher Photosynthese machen kann."
Die Forschung im All galt seit Jahrzehnten als Hauptzweck der bemannten Raumfahrt. Insbesondere in Deutschland ist politisch gewünscht, die Forschung in der Schwerelosigkeit in den Mittelpunkt zu stellen: Die Astronauten führen in der Umlaufbahn wissenschaftliche Experimente durch, die ohne sie nicht möglich wären. 700 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln fließen hierzulande pro Jahr in den Raumfahrtbereich. In ganz Europa sind es mehr als 5 Milliarden Euro. Dieses Geld wird zwar in die Raumfahrt insgesamt investiert, nicht nur in die bemannte. Die Forschung im All dient aber immer als Feigenblatt für die bemannte Raumfahrt. Offenbar hat die Politik Angst, etwas zu unterstützen, was keinen direkten Bezug zur Forschung hat. So wird die Internationale Raumstation wider besseres Wissen vor allem als fliegendes Wissenschaftslabor gepriesen.
"No, no! Manned space flight is not only for microgravity. I think we can do microgravity experiments without manned space flight."
Nein, betont der Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Jean-Jacques Dordain, die bemannte Raumfahrt werde nicht nur für Experimente in der Schwerelosigkeit betrieben. Diese Forschung könne man auch ohne Menschen im All mit automatischen Satelliten durchführen. Mit Astronauten geht es zwar einfacher, aber dafür gäbe man nicht die zig Milliarden Dollar aus, die die ISS kostet. Da muss es schon andere Gründe geben, betont Jean-Jacques Dordain, der in diesem Punkt viel offener ist als mancher Raumfahrtoffizielle in Deutschland. Dordain gehörte vor Jahrzehnten zu den ersten fünf Astronauten-Kandidaten in Frankreich - doch ins All geflogen ist er nie.
"Bemannte Raumfahrt geht viel weiter - ich würde sogar sagen, da gibt es viele Aspekte jenseits des Weltraums. Für mich gehört bemannte Raumfahrt viel mehr zur Geschichte der Menschheit als zur Geschichte des Weltraums. Die Menschheit hat schon immer versucht, dorthin zu gelangen, wohin sie mit ihrer Technologie gehen konnte. Als man reiten konnte, hat man Kontinente durchquert. Als man Schiffe bauen konnte, hat man Ozeane überquert. Als man fliegen konnte, ist man geflogen. Jetzt dringen wir in den Weltraum vor. Da geht es nicht allein um Wissenschaft im All. Bemannte Raumfahrt hat mit viel mehr zu tun als nur mit dem Weltraum."
Auch wenn die Raumstation keineswegs nur ein fliegendes Forschungslabor ist, sollen die Astronauten in Columbus viele bedeutende Experimente durchführen. Mindestens bis zum Jahr 2020 soll die ISS in Betrieb bleiben - und mit ihr Columbus. Doch zunächst hat das Labor im All ein gravierendes Problem: Es mangelt an Laboranten. Nur drei Menschen sind derzeit dauerhaft im All postiert. Viel zu wenig, um wirklich intensiv auf der ISS zu forschen. Denn die drei Astronauten sind schon mit den Wartungsarbeiten des himmlischen Außenpostens vollauf beschäftigt. Frühestens im Jahr 2009 kann mit vollem Einsatz geforscht werden. Dann soll die Besatzung auf sechs Astronauten anwachsen.
Auf der Raumstation geht es vor allem um Grundlagenforschung in den Bereichen Physik, Biologie, Medizin und Materialwissenschaften. Die kommerzielle Forschung im All, mit der früher immer geworben wurde, lässt noch auf sich warten. Bisher begeistern sich für Columbus vor allem die Firmen, die es gebaut haben - wirklich nutzen will es kaum ein Unternehmen.
"Ich bin sicher, dass Unternehmer die Raumstation kommerziell nutzen werden. Die Kommerzialisierung kommt, aber jetzt noch nicht."
ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain mahnt zur Geduld. Ihn überrascht die bisherige Zurückhaltung der Firmen nicht.
"Unternehmer wollen schnelle Erträge sehen. Ich habe noch keinen getroffen, der heute einen Euro investieren würde und dann sagt, er könne zehn Jahre oder länger warten, bis er dafür etwas zurückbekomme. Wir als ESA müssen erst einmal Columbus starten und für alle Wissenschaftler auf der Erde zugänglich machen. Sobald wir dort oben wissenschaftlich erfolgreich arbeiten und innovative Anwendungen entwickeln, werden die Unternehmer kommen und Geld investieren."
Die Raumfahrer sind zurück auf dem Boden der Tatsachen. Als Anfang der 80er Jahre US-Präsident Ronald Reagan das Projekt Raumstation unter dem Namen "Freedom" startete, waren die Prognosen fantastisch. Weltraumfahrt würde sich durch die kommerzielle Nutzung quasi von allein rechnen. Die NASA wähnte sich bereits am Beginn einer industriellen Revolution, weil nun die Zeit der Fabriken im Weltraum angebrochen sei. Astronauten würden Medikamente gegen tödliche Krankheiten und superschnelle Computerchips entwickeln. Ein Hirngespinst.
Man darf gespannt sein, ob auf Columbus jemals kommerzielle Forschung in großem Stil erfolgen wird. Europa hat ohnehin nicht den vollen Zugriff auf das Weltraumlabor. Zwar wird die europäische Raumfahrtagentur ESA dank Columbus jetzt zum vollen Partner der ISS mit immerhin 8,3 Prozent Beteiligung. Aber das nach dem Entdecker der Neuen Welt benannte Labor teilen sich Alte und Neue Welt, schränkt Helmut Luttmann ein, der bei EADS Astrium für die Nutzung der Raumstation zuständig ist:
"Es gibt Übereinkünfte mit der NASA über die Nutzung und das so genannte Sharing von Kosten. Danach ist es so, dass wir Columbus zwar als Europäer entwickelt haben und auch besitzen und auch betreiben. Wir haben auch das Kontrollzentrum dafür in Oberpfaffenhofen. Aber wir stellen 50 Prozent des internen Volumens der NASA zur Verfügung für deren Experimente. Wir werden innen europäisch mit fünf Anlagen mit vielen Experimenten voll ausgerüstet sein und die Amerikaner werden innerhalb des nächsten halben Jahres ihre Experimente unterbringen."
In der Raumfahrt blüht der gute alte Tauschhandel. NASA, ESA oder die russische Raumfahrtagentur Roskosmos überweisen sich nicht gegenseitig Geld. Man bezahlt mit Sachleistungen. Motto: Ich nehme deine Astronauten im Shuttle mit, dafür schenkst du mir die Hälfte deines Raumlabors.
Was die USA in ihrem Teil von Columbus machen werden, hat US-Präsident George W. Bush bei der Verkündung seiner "Vision zur Weltraumerkundung" schon im Januar 2004 klar gemacht:
"Wir werden unsere künftige Forschung auf der Raumstation auf die langfristigen Effekte eines Weltraumaufenthalts auf den menschlichen Körper konzentrieren. Kosmische Strahlung und Schwerelosigkeit sind Gefahren für die menschliche Gesundheit. Wir müssen über diese Effekte viel mehr lernen, bevor wir zu monatelangen Reisen durch die leeren Weiten des Weltraums aufbrechen."
Die NASA hat sich de facto von der allgemeinen Forschung in der Schwerelosigkeit verabschiedet - und damit das früher stets als so gewichtig geltende Argument von der fliegenden Forschungsplattform fallen gelassen. Der größte Partner der Internationalen Raumstation hat jetzt ganz andere Pläne im All:
"Unser Ziel ist, bis zum Jahr 2020 zum Mond zurückzukehren - als Ausgangspunkt für noch weiter entfernte Ziele. Wir wollen auf dem Mond für immer längere Perioden leben und arbeiten."
Der Internationalen Raumstation bleibt bei Bushs Plänen für Mond- und Marsflüge nur noch die Rolle als Sprungbrett. Für Klaus Heiss - US-Weltraumstratege, der vor vier Jahrzehnten aus Südtirol in die USA ausgewandert ist - stand die ISS von Anfang an unter keinem guten Stern:
"Entweder brauche ich eine Weltraumstation, um zum Mond zu kommen oder um diese großen Satelliten zusammenzustellen. Eine Weltraumstation ist nicht Selbstzweck. Das ist die große Tragödie."
Kein überzeugendes Ziel, ein unrealistisch enger Zeitplan, zu wenige finanzielle Mittel - dieses Projekt konnte nicht gut gehen, sagt Klaus Heiss. Dennoch sieht er die Raumstation nicht als komplett gescheitert an:
"Das Positive an der Weltraumstation ist, dass es ein Managementteam heute gibt, das es erlaubt, dass die USA und Europa und Russland und Japan zusammenarbeiten. Sie glauben, das ist einfach. Aber das ist nicht einfach. Das sind verschiedene Sprachen, verschiedene Kulturen. Das Ganze zusammenzubringen, das ist ein unheimlich großer Wert. Das ist auf technischem Gebiet, im Managementgebiet, auch im politischen Gebiet. Das darf nicht verloren gehen. Ich sage: Bitte gemeinsam jetzt eine Mondstation machen. Und ich glaube das wäre das Beste, was aus der Weltraumstation gemacht werden kann: nämlich die Weltraumstation am Mond machen - je schneller, desto besser."
Nachdem der Mond nach den Apollo-Flügen lange in Vergessenheit geraten war, haben ihn die Weltraumnationen mittlerweile wiederentdeckt. Japan und China haben bereits Raumsonden zum Mond geschickt, Indien und die USA werden 2008 folgen. Selbst Deutschland plant für 2012 einen Satelliten in die Mondumlaufbahn zu schießen. Bemannte Landungen auf dem Mond wird es frühestens 2020 geben. Bisher sieht es eher danach aus, als strebten alle Nationen einzeln zum Mond. Das kann sich aber schnell ändern. Denn bevor die kühnen Träume der Raumfahrtagenturen in Erfüllung gehen können, ist auch auf der ISS noch viel zu tun, mahnt Klaus Heiss:
"Wir brauchen den Menschen im Weltraum, also im Erdumkreislauf, um etwas über den Körper herauszufinden. Was kann der menschliche Körper aushalten? Was sind die Probleme? Es gibt arge Probleme - vor allem psychologische Probleme. Es gibt da einige Zwischenfälle, auch im Shuttle-Programm - übrigens mit einem deutschsprachigen Astronauten, aber auch mit anderen -, wo sie einfach durchdrehen, sowohl die Russen als auch die Amerikaner. Es ist wichtig, um den Körper selber zu verstehen, aber auch um zu beantworten, kann überhaupt ein menschlicher Körper über lange Zeit über den Mond hinaus andere Destinationen erreichen im Sonnensystem? Die Antwort heute ist: Nein! Und das verneint die NASA und das verneinen die Weltraumenthusiasten. Ich brauche die Antworten, bevor ich sage, jetzt gehe ich über den Mond hinaus zu Mars oder wo auch immer."
Eine fast kuriose Entwicklung: Bis vor wenigen Jahren lautete der NASA-Slogan zur Raumstation "It's about Life on Earth" - es geht um das Leben auf der Erde. Jetzt geht es um das Leben der Astronauten auf dem Mond, auf dem Mars, irgendwo im All. Die Raumstation wird zu einer Art Selbsterfahrungsgruppe, um für lange Reisen durch das All gewappnet zu sein - zu einem Testfeld für Mondstationen.
Doch so wenig sich das kostspielige Projekt ISS mit Europas Forschungsmodul Columbus rechtfertigen lässt, so wenig ließe sich eine neue Reise zum Mond allein mit der Erforschung unseres Trabanten begründen. Auch die Apollo-Mondflüge waren keine wissenschaftlichen Missionen. Damals ging es um Prestige im Kalten Krieg. Warum wollen die Nationen heute wieder zum Mond? Bevor Europa sich an neuen Projekten jenseits der Erdumlaufbahn beteiligt, müsse man sich über die Ziele der bemannten Raumfahrt klar werden, mahnt Ernst Messerschmid. Er war als dritter Deutscher im All und ist heute Professor am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart:
"Das ist nicht alles durch Forschung motiviert. Sonst machen wir wieder den Fehler wie bei der Raumstation, wo wir gesagt haben, wir brauchen die Raumstation, weil wir die Forschung in der Schwerelosigkeit durchführen. Dann hat man Schwierigkeiten, die Frage zu beantworten: Wie rechtfertigen Sie das? Ist das nicht etwas zu viel Geld für die Experimente? Die Antwort ist: Natürlich ist es etwas viel Geld, wenn es das einzige Ziel gewesen wäre. Wir verbinden mit der Raumstation Wissenschaft, Forschung, technische Entwicklung, Schaffung von Innovationen, aber auch wirtschaftliche Dinge, Dinge im Bildungsbereich ..."
... aber das einzugestehen, fällt den Raumfahrtmanagern noch immer schwer. Die ESA mit ihren 17 Mitgliedsstaaten und den sich oft eifersüchtig bekriegenden nationalen Raumfahrtagenturen hat nur selten die Chance, von sich aus strategische Ziele zu formulieren und dann auch konsequent umzusetzen.
Jetzt mit dem Start von Columbus wäre der richtige Zeitpunkt gekommen. Denn mit dem Erreichen dieses Zieles braucht Europas Industrie neue Projekte, will sie ihre technische Kompetenz erhalten. Columbus ist ein großes bemanntes Raumschiff. Mit einem Antrieb versehen ließen sich damit auch andere Ziele im All erreichen. Europa hat die technischen Fähigkeiten, aber nicht den politischen Willen - die im Mai erstmals formulierte Europäische Raumfahrtpolitik bleibt in vielem sehr vage und müsste nun große gemeinsame Projekte auf den Weg bringen. Klaus Heiss, vor vier Jahrzehnten in die USA ausgewandert, macht mit seinem Südtiroler Charme sehr deutlich, dass ihm seine alte Heimat zu viel zaudert:
"Was mir abgeht, warum stellt sich nicht irgendein europäischer Präsident hin und sagt: So Leute, wir wollen Europa eine Vision geben für die Jugend. Wir, Europa, gehen jetzt zum Mond - mit oder ohne Amerikaner, mit oder ohne Russen, mit oder ohne Chinesen, Japaner. Wir machen das. Und wenn andere das auch machen, warum nicht. Das fehlt heute in Europa. Jean-Jacques Dordain, der Chef der ESA, kam eigens zu unserer Konferenz in Venedig. Und er hat gesagt, schau Klaus, wo ist in Europa die politische Leitfigur, die zu mir, zur ESA, kommt, auf die Schulter klopft wie Bush dem Chef der NASA, so jetzt geht es zum Mond innerhalb von zehn Jahren, das ist die neue Zielsetzung."