Das Erstaunlichste am sogenannten Zusammenprall der Kulturen ist vielleicht, dass es zwischen den Kulturen knirscht - und nicht zwischen armen und reichen Ländern, machtvollen und machtlosen. Das ist kein Zufall, erläutert der in Harvard lehrende Kulturwissenschaftler Homi K. Bhabha, der den Eröffnungsvortrag des Kongresses hielt. Denn Kultur ist das offensichtlichste Ordnungssystem, das die Menschen kennen. Die Menschen leben mit und in Kultur - und nehmen kulturelle Unterschiede viel schneller und feiner wahr als die viel abstrakteren Herausforderungen in Wirtschaft und Politik. Das Problem ist nur, dass sie sie sich dadurch viel zu leicht auf falsche Fährten begeben.
"Es geht um Politik, um Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Und wenn die Leute so etwas ertragen müssen, wird Kultur zum Symptom für ihr Unbehagen. Wenn man also die Kultur eines Menschen angreift, dann greift man die Geschichte der entsprechenden Gemeinschaft an, aber auch die einzelnen Mitglieder, ihre Körper und ihre Seele. Das ist eine äußerst wirksame Form des Angriffs. Darum wird Kultur zum Symptom."
An solchen Symptomen leiden derzeit auch die Deutschen - zumindest ein Teil von ihnen. Auch hier wird über kulturelle Unterschiede debattiert, jedenfalls dann, wenn man der Kultur auch die Religion zurechnen will. Ein kleiner Kulturkampf ist im Gange, in dessen Mittelpunkt die Deutschen den Islam gerückt haben. Ist das angebracht? Nein, meint der an der Universität Bochum lehrende Soziologe Ludger Pries - es sei denn um den Preis erheblicher Realitätsverdrängung.
"Deutschland muss sich auch politisch-kulturell als offen, mit Diversität ausgestattetem, auch kulturell ausgestattetem Land verstehen. Also Toleranz, Weltoffenheit, Pluralität, Anerkennung von Pluralität - das sind die entscheidenden Prinzipien. Und eingestehen, dass wir 50 Jahre lang einer Lebenslüge aufgesessen sind. Die Lebenslüge hieß: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Kontrafaktisch haben wir die gesamte Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis etwa zum Jahre 1999 mit dieser kollektiven Lebenslüge verbracht."
Deutschland, überhaupt die westlichen Staaten kommen nicht umhin, sich als Nationen neu zu definieren. Damit sind auch deren Bürger gefordert, den Begriff der "Heimat" neu zu denken. Was ist Heimat? Klassischerweise der Ort, an dem man geboren und vielleicht den größten Teil seines Lebens verbracht hat. Allerdings sind nach dieser Definition immer weniger Menschen heimatverbunden. Sie leben an verschiedenen Orten zugleich, haben nicht nur eine, sondern oft zwei Wohnungen oder Unterkünfte. Dieser Prozess, so der an der TU Dortmund lehrende Raumplaner Einhard Schmidt Kallert, ist auch für viele Menschen in den Megacitys des Südens, Metropolen wie Jarkata, Mexiko, Peking, längst üblich.
"Verstehen kann man eine Megastadt eigentlich nur, wenn man auch die Traditionen derer kennt, die die Stadt mit aufgebaut haben. Also die Migranten, die aus dem Dorf hingewandert sind, und zwar meistens nicht für ihr ganzes Leben; meistens für eine Saison. Dann kehren sie wieder zurück. Dann bleiben sie vielleicht eine Weile im Dorf. Und dann sind sie immer regelmäßiger in der Stadt. Aber viele von denen behalten ihren Wohnsitz auf dem Dorf, ihren Haushalt auf dem Dorf bei und leben dann an zwei Standorten. Eine geteilte Familie, multilokale Haushalte, wie man das heutzutage nennt, die also an zwei Orten leben, ... die über diesen Haushalt miteinander verflochten sind."
Die Herausforderungen, unter denen viele Bürger der Megacitys in Lateinamerika und Fernost leben, sind gewaltig. Denn solche Städte, erläutert Schmidt-Kallert, sind im Grunde nicht planbar, jedenfalls nicht unter den schlechten ökonomischen und politischen Bedingungen, die in den entsprechenden Ländern in aller Regel an der Tagesordnung sind. Und doch, irgendwo funktionieren diese Städte - dank Strukturen, die sich von denen der westlichen Länder erheblich unterscheiden.
"Es gibt informelle Netzwerke, unterstützende Netzwerke, die die Leute selbst gegründet haben. Die ihnen dabei helfen, das Leben zwischen Stadt und Land überhaupt zu führen. Aber wenn es um die formale Verwaltung geht, dann ist eben in der Stadt ein Amt zuständig, und auf dem Dorf ein Dorfbürgermeister. Die haben nichts miteinander zu tun. Zum Beispiel eine Verwaltungsreform, die auch solche Beziehungen zwischen ländlichen Herkunftsgemeinden von Migranten und den Zielorten mit umfassen würde - das wäre eine Voraussetzung dafür, dass Megastädte aktiv gestaltet werden können, und dass auch am Ende die formelle Seite von Entwicklung, die staatliche, städtische Verwaltung wieder ernst genommen wird von den Bürgern."
Dass sich das Land mit Teilen seiner Migranten so schwer tut - das hat auch mit Traditionen zu tun, die weit zurückreichen. Der vergleichsweise junge, zuvor aus vielen Kleinreichen bestehende Staat brauchte eine Ideologie, die die einzelnen Regionen nach der Reichsgründung zusammenfasste. Das war die Berufung auf ein gemeinsames Erbe - ein Erbe, das freilich erst geschaffen werden musste. Die Folgen eines solchen Selbstverständnisses reichen bis in die Gegenwart, erläutert Ludger Pries - ohne dass diese noch den gesellschaftlichen und vor allem ökonomischen Realitäten noch entsprächen.
"Inzwischen haben wir eine ganz paradoxe Situation: Deutschland ist Exportweltmeister, unsere sich überschlagenden Wachstumsprognosen hängen ganz stark mit dem Export und der Eingliederung Deutschlands in das Weltwirtschaftssystem zusammen. Gleichzeitig definieren wir uns selbst aber noch recht stark über das alte Jus Sanguinis-Prinzip, also im Grunde genommen, wer in Deutschland Mitbürger sein will, muss auch hier geboren sein, deutsche Wurzeln haben."
Mag sein, dass sich mit solchen Überlegungen schwer leben lässt. Denn auch Deutschland ist ja ein Land im Stress, ja sogar im Dauerstress. Dann entsteht schnell eine Sehnsucht nach den alten Tagen, der verlorenen Heimat und dem Glück, das sie angeblich bot. Aber Vorsicht, warnt Homi K. Bhabha: Diese Träume bringen nicht viel. Heimat im idyllischen Sinn ist überall verloren gegangen. Stattdessen sind global Probleme entstanden, die es politisch zu lösen gelte. Sentimentalität nütze da wenig.
"Es ist an der Zeit, dass wir verstehen, dass viele der Probleme, denen wir uns gegenüberstehen - Armut, Ungleichheit, Analphabetismus, Gesundheitsprobleme, Umweltprobleme, Fragen der Gerechtigkeit -, dass also diese Probleme nicht auf bestimmte Regionen beschränkt sind und die übrigen nichts angehen. Wir können nicht mehr so tun, als lebten wir in voneinander abgeschotteten Weltregionen. Die Barbarei ist ein Teil von uns selbst. Deswegen müssen wir uns entsprechend verantwortlich benehmen. Man kann nicht sagen, dieses oder jenes furchtbare Phänomen komme von außen und störe unser Zusammenleben. Nein, es ist eine Folge auch unseren eigenen Handelns. Je mehr Verantwortung wir für die globalisierte Welt nehmen, desto mehr erkennen wir, dass diese Verantwortung ein gemeinsames, von allen gemeinsam zu tragendes Projekt ist."
"Es geht um Politik, um Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Und wenn die Leute so etwas ertragen müssen, wird Kultur zum Symptom für ihr Unbehagen. Wenn man also die Kultur eines Menschen angreift, dann greift man die Geschichte der entsprechenden Gemeinschaft an, aber auch die einzelnen Mitglieder, ihre Körper und ihre Seele. Das ist eine äußerst wirksame Form des Angriffs. Darum wird Kultur zum Symptom."
An solchen Symptomen leiden derzeit auch die Deutschen - zumindest ein Teil von ihnen. Auch hier wird über kulturelle Unterschiede debattiert, jedenfalls dann, wenn man der Kultur auch die Religion zurechnen will. Ein kleiner Kulturkampf ist im Gange, in dessen Mittelpunkt die Deutschen den Islam gerückt haben. Ist das angebracht? Nein, meint der an der Universität Bochum lehrende Soziologe Ludger Pries - es sei denn um den Preis erheblicher Realitätsverdrängung.
"Deutschland muss sich auch politisch-kulturell als offen, mit Diversität ausgestattetem, auch kulturell ausgestattetem Land verstehen. Also Toleranz, Weltoffenheit, Pluralität, Anerkennung von Pluralität - das sind die entscheidenden Prinzipien. Und eingestehen, dass wir 50 Jahre lang einer Lebenslüge aufgesessen sind. Die Lebenslüge hieß: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Kontrafaktisch haben wir die gesamte Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis etwa zum Jahre 1999 mit dieser kollektiven Lebenslüge verbracht."
Deutschland, überhaupt die westlichen Staaten kommen nicht umhin, sich als Nationen neu zu definieren. Damit sind auch deren Bürger gefordert, den Begriff der "Heimat" neu zu denken. Was ist Heimat? Klassischerweise der Ort, an dem man geboren und vielleicht den größten Teil seines Lebens verbracht hat. Allerdings sind nach dieser Definition immer weniger Menschen heimatverbunden. Sie leben an verschiedenen Orten zugleich, haben nicht nur eine, sondern oft zwei Wohnungen oder Unterkünfte. Dieser Prozess, so der an der TU Dortmund lehrende Raumplaner Einhard Schmidt Kallert, ist auch für viele Menschen in den Megacitys des Südens, Metropolen wie Jarkata, Mexiko, Peking, längst üblich.
"Verstehen kann man eine Megastadt eigentlich nur, wenn man auch die Traditionen derer kennt, die die Stadt mit aufgebaut haben. Also die Migranten, die aus dem Dorf hingewandert sind, und zwar meistens nicht für ihr ganzes Leben; meistens für eine Saison. Dann kehren sie wieder zurück. Dann bleiben sie vielleicht eine Weile im Dorf. Und dann sind sie immer regelmäßiger in der Stadt. Aber viele von denen behalten ihren Wohnsitz auf dem Dorf, ihren Haushalt auf dem Dorf bei und leben dann an zwei Standorten. Eine geteilte Familie, multilokale Haushalte, wie man das heutzutage nennt, die also an zwei Orten leben, ... die über diesen Haushalt miteinander verflochten sind."
Die Herausforderungen, unter denen viele Bürger der Megacitys in Lateinamerika und Fernost leben, sind gewaltig. Denn solche Städte, erläutert Schmidt-Kallert, sind im Grunde nicht planbar, jedenfalls nicht unter den schlechten ökonomischen und politischen Bedingungen, die in den entsprechenden Ländern in aller Regel an der Tagesordnung sind. Und doch, irgendwo funktionieren diese Städte - dank Strukturen, die sich von denen der westlichen Länder erheblich unterscheiden.
"Es gibt informelle Netzwerke, unterstützende Netzwerke, die die Leute selbst gegründet haben. Die ihnen dabei helfen, das Leben zwischen Stadt und Land überhaupt zu führen. Aber wenn es um die formale Verwaltung geht, dann ist eben in der Stadt ein Amt zuständig, und auf dem Dorf ein Dorfbürgermeister. Die haben nichts miteinander zu tun. Zum Beispiel eine Verwaltungsreform, die auch solche Beziehungen zwischen ländlichen Herkunftsgemeinden von Migranten und den Zielorten mit umfassen würde - das wäre eine Voraussetzung dafür, dass Megastädte aktiv gestaltet werden können, und dass auch am Ende die formelle Seite von Entwicklung, die staatliche, städtische Verwaltung wieder ernst genommen wird von den Bürgern."
Dass sich das Land mit Teilen seiner Migranten so schwer tut - das hat auch mit Traditionen zu tun, die weit zurückreichen. Der vergleichsweise junge, zuvor aus vielen Kleinreichen bestehende Staat brauchte eine Ideologie, die die einzelnen Regionen nach der Reichsgründung zusammenfasste. Das war die Berufung auf ein gemeinsames Erbe - ein Erbe, das freilich erst geschaffen werden musste. Die Folgen eines solchen Selbstverständnisses reichen bis in die Gegenwart, erläutert Ludger Pries - ohne dass diese noch den gesellschaftlichen und vor allem ökonomischen Realitäten noch entsprächen.
"Inzwischen haben wir eine ganz paradoxe Situation: Deutschland ist Exportweltmeister, unsere sich überschlagenden Wachstumsprognosen hängen ganz stark mit dem Export und der Eingliederung Deutschlands in das Weltwirtschaftssystem zusammen. Gleichzeitig definieren wir uns selbst aber noch recht stark über das alte Jus Sanguinis-Prinzip, also im Grunde genommen, wer in Deutschland Mitbürger sein will, muss auch hier geboren sein, deutsche Wurzeln haben."
Mag sein, dass sich mit solchen Überlegungen schwer leben lässt. Denn auch Deutschland ist ja ein Land im Stress, ja sogar im Dauerstress. Dann entsteht schnell eine Sehnsucht nach den alten Tagen, der verlorenen Heimat und dem Glück, das sie angeblich bot. Aber Vorsicht, warnt Homi K. Bhabha: Diese Träume bringen nicht viel. Heimat im idyllischen Sinn ist überall verloren gegangen. Stattdessen sind global Probleme entstanden, die es politisch zu lösen gelte. Sentimentalität nütze da wenig.
"Es ist an der Zeit, dass wir verstehen, dass viele der Probleme, denen wir uns gegenüberstehen - Armut, Ungleichheit, Analphabetismus, Gesundheitsprobleme, Umweltprobleme, Fragen der Gerechtigkeit -, dass also diese Probleme nicht auf bestimmte Regionen beschränkt sind und die übrigen nichts angehen. Wir können nicht mehr so tun, als lebten wir in voneinander abgeschotteten Weltregionen. Die Barbarei ist ein Teil von uns selbst. Deswegen müssen wir uns entsprechend verantwortlich benehmen. Man kann nicht sagen, dieses oder jenes furchtbare Phänomen komme von außen und störe unser Zusammenleben. Nein, es ist eine Folge auch unseren eigenen Handelns. Je mehr Verantwortung wir für die globalisierte Welt nehmen, desto mehr erkennen wir, dass diese Verantwortung ein gemeinsames, von allen gemeinsam zu tragendes Projekt ist."