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Zukunft der SPD
"Wir sind die Partei der Arbeit"

Die Reform von Hartz IV und der gesamten Arbeitsmarktpolitik - das sind laut Oleg Shevchenko, Juso-Vorsitzender in Thüringen, die Hauptaufgaben der SPD. Die Partei müsse ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen, sagte er im Dlf. Von Andrea Nahles erwarte er jetzt inhaltliche Impulse.

Oleg Shevchenko im Gespräch mit Peter Sawicki | 23.04.2018
    Das Logo der Jusos (27.11.2015).
    Die Jusos wollen in den Ortsvereinen mit den Genossinnen und Genossen diskutieren, um gemeinsam Ideen für die Bundespolitik zu entwickeln, sagte der Juso-Vorsitzende Thüringen, Oleg Shevchenko, im Dlf (dpa / picture alliance / Ingo Wagner)
    Peter Sawicki: Die SPD hat jetzt eine Parteichefin, die aber ohne besonders großen Rückhalt startet. Der Frust über die Große Koalition ist offensichtlich immer noch da, besonders beim SPD-Nachwuchs, bei den Jusos. Trotzdem hat deren Bundesvorsitzender Kevin Kühnert für Andrea Nahles als Parteichefin gestimmt. Wie konsequent ist die Haltung der Jusos und wie soll es weitergehen bei der SPD? Das fragen wir jetzt den Juso-Vorsitzenden in Thüringen, Oleg Shevchenko. Schönen guten Tag!
    Oleg Shevchenko: Guten Tag!
    Sawicki: Für wen haben Sie gestern gestimmt?
    Shevchenko: Ich habe auch wie Kevin Kühnert für Andrea Nahles gestimmt.
    Sawicki: Ist das nicht inkonsequent?
    Shevchenko: Glaube ich nicht. Ich habe im Vorfeld des Parteitages auch öffentlichkeitswirksam gesagt, dass ich mir die Reden von den beiden anhöre und das nicht im Vorhinein entscheide. Und nach dem Parteitag oder besser gesagt nach den zwei Reden war klar: Andrea Nahles hat die bessere Rede gehalten und wurde konkreter in einigen Punkten und war zum Teil auch ehrlicher.
    "Wir brauchen diese prominente Debatte"
    Sawicki: Wie erklären Sie sich dann, dass es dieses eher schwache Ergebnis gegeben hat?
    Shevchenko: Ich glaube, dass dieser Frust natürlich da manifestiert ist, und ich glaube auch, dass die Themen, die Simone Lange prominent besetzt hat wie die Frage nach der Agenda 2010, sehr wichtig für viele Mitglieder sind und dass sie das vor allem als Signal gemacht haben zu sagen: Wir brauchen jetzt diese prominente Debatte, wir können nicht diese Basta-Politik weitermachen, wie das Olaf Scholz gemacht hat bei der Diskussion um das solidarische Grundeinkommen, sondern wir müssen breit diskutieren. Das ist eine Hausaufgabe, die Andrea Nahles damit mitbekommt, und zwar eine sehr wichtige Hausaufgabe mit fast 30 Prozent, dass genau Hartz IV und die Lösung des Problems eigentlich die wichtigste Rolle in dem thematischen Prozess einnehmen muss.
    Sawicki: Teilen Sie diese Einwände dieser knapp 30 Prozent?
    Shevchenko: Ich war sehr froh über Simone Langes Kandidatur, weil ich tatsächlich glaube, dass wir diese Themen mehr anpacken müssen. Wir sind da den Menschen eine Antwort schuldig, wie wir uns Sozialsysteme vorstellen, zumal wir als SPD ja immer die Fortschrittspartei waren und zurzeit keine richtige Lösungen auf die Fragen haben. Deshalb ist es genau richtig, das anzupacken. Von daher bin ich eigentlich froh, dass Simone Lange kandidiert hat, um überhaupt die Debatte weiter nach vorne zu bringen.
    "Wir sind die Partei der Arbeit"
    Sawicki: Das Thema Hartz IV, Reform von Hartz IV, wie auch immer die dann aussehen mag: Ist das jetzt der Kernpunkt einer neuen SPD? Soll das der neue Kernpunkt sein?
    Shevchenko: Das muss einer der wichtigen Kernpunkte auf jeden Fall sein. Insgesamt die Arbeitsmarktpolitik, die Frage nach einem starken Sozialstaat, das ist ja auch eine der Kernsachen der SPD schon immer gewesen. Wir sind die Partei der Arbeit und da müssen wir auch die Antworten liefern. Im Zweifel sind wir die immer gewesen, die den Fortschritt gepackt haben, und ich bin felsenfest davon überzeugt: Wenn wir die richtigen Antworten bringen, werden auch die Bürgerinnen und Bürger sagen, ja, das ist die Partei, der wir wieder vertrauen. Ich glaube, nur so schaffen wir Glaubwürdigkeit, wenn wir wirklich diesen Prozess beginnen.
    Sawicki: Was soll sich konkret ändern bei den Hartz-IV-Gesetzen, bei der Hartz-IV-Reform von damals?
    Shevchenko: In Thüringen haben wir als Jusos schon vor ein paar Jahren eine Beschlusslage auf einem SPD-Landesparteitag geschafft für eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Wir glauben, das ist ein Modell, was ziemlich gut ist für die neue Zeit, vor allem für die Digitalisierungszeit, die uns bevorsteht. Das ist ein debattierbarer Vorschlag. Das ist auch das, was ich an Simone Lange kritisiere. Sie hat relativ klar die Kritik formuliert in ihrer Rede, hat aber keinen Debattenaufschlag gemacht, keinen Lösungsvorschlag gegeben, um als Impuls damit weiterzuarbeiten. Deshalb war für mich die Entscheidung dann doch eher bei Andrea Nahles.
    "Bildungspolitik muss genauso ein Kernelement sein wie die gesamte Sozialpolitik"
    Sawicki: Reicht das aber tatsächlich, nur über Hartz IV zu sprechen, wenn die SPD sich grundsätzlich erneuern soll?
    Shevchenko: Das glaube ich nicht. Es ist auch die Frage von genereller Arbeitsmarktpolitik, die Frage von guter Beschäftigung, die Frage auch von guter Rente insgesamt. Wir sind aber auch eine Partei des sozialen Aufstiegs, des Bildungsaufstiegs. Wir sind ja die Partei des BAFÖG gewesen. Bildungspolitik muss auch genauso ein Kernelement sein wie die gesamte Sozialpolitik. Darauf hoffen, glaube ich, viele Bürgerinnen und Bürger, die enttäuscht sind und die nicht mehr SPD wählen, dass wir da wieder richtige Antworten geben und das auch richtig vermitteln. Man hat ja in den Umfragen gesehen: 80 Prozent der Menschen konnten nichts mit sozialer Gerechtigkeit anfangen, mit den Worten bei der SPD.
    Sawicki: Weil es das falsche Thema war oder weil die SPD zu unkonkret gewesen ist?
    Shevchenko: Ich glaube, dass die SPD das nicht vermitteln konnte. Es ist das richtige Thema, aber wir konnten das einfach nicht an den Mann, an die Frau bringen, und das ist jetzt die Herkules-Aufgabe, die Andrea Nahles hat, auch mit dem klaren Ergebnis für Simone Lange mit den 30 Prozent, dass das definitiv ein wichtiger Punkt sein muss.
    "Die SPD zukunftsfähiger machen über Inhalte und deren Vermittlung"
    Sawicki: Werden die Jusos Nahles da jetzt unterstützen, oder geht es weiter mit der Selbstzerfleischung?
    Shevchenko: Selbstzerfleischung war nie unser Ziel, sondern es geht um die Debatte
    Sawicki: Aber es ist der Zustand offenbar aktuell.
    Shevchenko: Wir haben versucht, und das hat auch der Parteitag gezeigt, dass wir vor allem Inhalte in den Vordergrund setzen. Wir haben eine Abstimmung zum Thema schwarze Null gehabt, die wir leider knapp verloren haben. Das ist auch eine Zukunftsdebatte, die die Sozialdemokratie auf jeden Fall auf dem Schirm haben muss, und so müssen wir das auch fortführen. Wir machen das in Thüringen - ich bin ja Juso-Vorsitzender in Thüringen - kontinuierlich in der SPD Thüringen, dass wir mit Inhalten reingehen und vor allem über die Inhalte sprechen. Da geht es nicht darum, eine Person X oder eine Person Y zu demontieren, sondern wir wollen auch, dass die SPD sich erneuert, denn wenn nichts mehr von der SPD übrig bleibt, bringt das uns als junge Generation auch nichts, in die Zukunft zu schauen. Von daher geht es darum, jetzt die SPD zukunftsfähiger zu machen, und das geht nur über Inhalte und das geht auch nur über gute Vermittlung, gute Kommunikation dieser Inhalte im darauffolgenden Schritt.
    "Mit neuem Grundsatzprogramm wäre die SPD sehr zukunftsfest"
    Sawicki: Wie wollen die Jusos ganz konkret diese Inhalte in Zukunft auf Bundesebene vermitteln?
    Shevchenko: Wir haben jetzt einen Diskussionsprozess über ein ganzes Jahr, was der Parteivorstand beschlossen hat. Das sind Diskussionskonferenzen, Ortsvereinsversammlungen und so weiter und so fort. Da wird es auch eine große Aufgabe sein, dass wir als Jusos nicht nur öffentlich auftreten, was wir ganz viel gemacht haben, sondern in die Ortsvereine gehen, darüber diskutieren, gemeinsam mit den Genossinnen und Genossen, um wirklich Ideen endlich zu entwickeln, die kompromissfähig, die konsensfähig zu machen, um dann letztendlich auf den Bundesparteitagen da was zu beschließen. Die Frage des neuen Grundsatzprogramms steht im Raum. Das ist immer noch eine mögliche Konsequenz aus dem Diskussionsprozess. Ich würde das sehr begrüßen und ich glaube, damit wäre die SPD auch sehr zukunftsfest.
    "Ich erwarte von Andrea Nahles inhaltliche Impulse"
    Sawicki: Ist Andrea Nahles die richtige Person an der Spitze zum jetzigen Zeitpunkt?
    Shevchenko: Ich glaube, dass Andrea Nahles unheimlich fähig ist darin, Signale aus der Partei aufzunehmen. Gleichzeitig ist sie ein Vollprofi. Ich glaube, dass sie das gut meistern wird. Ich glaube da an sie. Natürlich sind die Erwartungen riesig und man kann häufig auch nicht als einzelner Mensch die Erwartungen erfüllen. Das haben wir bei Martin Schulz gemerkt. Er hatte auch noch zusätzlich ein 100-Prozent-Ergebnis bekommen und das ist auch manchmal vielleicht zu schwierig. Von daher ist das auch mit dem ehrlichen Ergebnis vielleicht etwas leichter, um in diesen Kampf zu gehen.
    Ich erwarte einfach von ihr die Impulse, die inhaltlichen Impulse und da müssten wir uns auch langhangeln. Mit denen müssen wir uns auseinandersetzen. Aber die müssen natürlich auch kommen. Das ist die Erwartung und das hat sie ja versprochen, dass sie ab heute damit anfängt, und ich bin sehr gespannt darauf.
    Sawicki: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Vorsitzende der Jusos in Thüringen, Oleg Shevchenko. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten.
    Shevchenko: Vielen Dank!