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Zukunft im Bohrkern

Meeresbiologie. - Der wachsende Kohlendioxidgehalt der Luft führt zu einer Versauerung der Meere. Im Laufe von Jahrtausenden und mehr schwankte der CO2-Gehalt der Ozeane, was die kalkbildenden Organismen zu spüren bekamen. In der aktuellen "Nature" berichten Forscher vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung darüber, welche Auswirkungen die Ozeanversauerung auf die Lebewesen hatte. Der Kalkalgen-Experte Sebastian Rokitta vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung erläutert die Ergebnisse im Gespräch mit Arndt Reuning

Sebastian Rokitta im Gespräch mit Arndt Reuning | 04.08.2011
    Reuning: Welchen Einfluss hat denn nun das Kohlendioxid auf die Kalkalgen?

    Rokitta: Nun, viele Laborstudien haben es ja gezeigt, dass Coccolithophoriden [Kalkalgen, die Redaktion] im Großen und Ganzen mit einer verminderten Kalkbildung reagieren, wenn die Konzentration von CO2 hoch ist. Diese Feldstudie, die jetzt im Fachblatt "Nature" erschienen ist, vereint zum ersten Mal Daten aus natürlichen Phytoplanktongemeinschaften und auch Daten aus der Vergangenheit, wo man über Sedimentbohrkerne geguckt hat, wie die Kalkalgen der letzten 40.000 Jahre aussahen. Und dort konnte man eben sehen, dass die Beeinträchtigung der Kalkbildung, von der man schon wusste, dass sie passiert, dass die im offenen Ozean, im wahren Leben, dazu führt, dass über lange Zeiträume stark verkalkte Alben eher verdrängt werden und schwach verkalkte Algen schlussendlich dominieren.

    Reuning: Das heißt, die Kaltschale wird dünner!

    Rokitta: Die Kalkschale wird dünner, die Zellen bekommen offensichtlich ein Problem aufgrund erhöhter CO2-Konzentration, physiologisch ist das ganze noch nicht ganz leicht zu erklären. Man arbeitet daran, an der Forschung. Aber offensichtlich, und das zeigt die Studie jetzt, hat das Ganze über sehr, sehr lange Zeiträume evolutionäre Auswirkungen.

    Reuning: Die Schalen dieser Kalkalgen bestehen zum großen Teil aus Karbonat, also aus mineralisiertem CO2. Sollte man da denn nicht meinen, dass eine steigende Kohlendioxidkonzentration im Wasser auch die Kalkschale dicker werden lässt?

    Rokitta: Ja, das ist nicht ganz richtig. Nicht intuitiv ist das. Was man vielleicht von zuhause kennt, ist der Kalk einer Badewanne. Es ist auch Kalk, das ist auch Calciumcarbonat, ist die gleiche Chemikalie, und die lässt sich mit Essigsäure oder Zitronensäure hervorragend weglöschen. Warum also nicht mit Kohlensäure.

    Reuning: Aber bisher ist die Datenlage noch nicht ganz eindeutig gewesen. Es gab ja auch Hinweise darauf, dass bei einigen Arten die Kalkschale tatsächlich dicker geworden ist.

    Rokitta: Richtig: ein Großteil der Studien, die in Labors unter kontrollierten Bedingungen gemacht worden sind, haben eben gezeigt, dass die meisten Coccolithophoriden ihre Kalkschale dünner machen. Manche Studien haben aber genau das Gegenteil gezeigt, dass manche Stämme dieser Kalkalgen, manche Typen, eben ihre Kalkschale dicker machen. Und das weiß auch gerade das Gegenbeispiel, dass in der aktuellen Studie aufgegriffen wurde. Man hat nämlich gesehen, dass die Coccolithophoriden, die im Pazifik weit verbreitet sind, an der Küste vor Chile, die sind evolutionär offensichtlich daran gewöhnt, in einem CO2-reichen Wasser zu leben. Dort vor der Küste wird nämlich CO2-reiches Tiefenwasser aufgetrieben. Und hier haben sich gewisse Stämme ganz fest in der Ökologie als Phytoplankton-Gemeinschaft etabliert, die trotz der hohen CO2-Konzentration dort überleben können und weiterhin dicke Kalkschalen bilden .

    Reuning: Lässt sich denn schon abschätzen, was das für den globalen Kohlenstoffkreislauf bedeutet?

    Rokitta: Das ist sehr schwer. Die Vorhersagen, was es bedeuten kann, sind im Moment noch sehr unscharf. Insbesondere, weil es schwer fassbar ist, in welch großem Maßstab diese Kalkablagerungen stattfindet. Im Moment geht man davon aus, das als Kalk werden pro Jahrhundert etwa sechs bis 20 Gigatonnen Kohlenstoff abgelagert. Nur der Mensch ist natürlich dabei, pro Jahr ungefähr 8 Gigatonnen CO2 ins Meer zu pumpen. Von daher gibt es da eine große Diskrepanz, was die Größenordnung dieser Zahlen angeht. Und man hat noch keine Abschätzung, wie sich das in der Zukunft entwickeln kann in Bezug auf den globalen Kohlenstoffkreislauf.

    Reuning: Im Meer gibt es ja nicht nur diese Lebewesen, diese Kalkalgen, die eine Schale oder ein Skelett aus Kalk bilden. Es gibt auch Korallen, Schnecken, Muscheln und so weiter. Was bedeuten denn die aktuellen Ergebnisse für diese Spezies?

    Rokitta: Insgesamt lässt sich ein sehr breiter globaler Trend da herauslesen, aus all diesen Studien. Der sagt im Prinzip, dass kalkbildende Organismen Probleme mit der Kalkbildung haben. Wie sich das in den einzelnen Spezies ausdrückt, das ist unterschiedlich. Sie habe schon gesagt, es gibt natürlich diverse kalkbildende Organismen: Muscheln, Tintenfische, alles mögliche. Da kann man insgesamt noch nicht so richtig viel zu sagen.