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"Sterbende" City?
Zukunftsforscher Reiter: "Die Innenstadt der Zukunft ist eine Wohlfühlzone"

Die Innenstädte in Deutschland werden sich nach Ansicht des Zukunftsforschers Andreas Reiter an Modellen aus der Zeit vor der Industrialisierung orientieren. Damals habe man an einem Ort gewohnt und gearbeitet, und dies werde in einer digitalen Gesellschaft auch wieder möglich werden, sagte Reiter im Deutschlandfunk.

    Das Bild zeigt den Oskar-Kokoschka-Platz in Wien: eine Reihe von Bänken steht vor begrünten Flächen. Es gehen ein paar Passanten durchs Bild, im Hintergrund sind Gründerzeit-Häuser zu sehen, einige gastronomische Angebote und Boutiquen sind auch vorhanden. Der Platz ist autofrei.
    Wien gilt als Vorzeigestadt: Viele Grün- und Wasserflächen, ausgebaute Radwege, Plätze, an denen man sich niederlassen und konsumfrei aufhalten kann. (IMAGO / viennaslide / IMAGO / www.viennaslide.com)
    Es gehe um eine Verschränkung aller Lebensbereiche: Neben Wohnen und Arbeit auch Bildung, Freizeit und Kultur. Er wolle deshalb grundsätzlich nicht von einer Krise, sondern von einer Transformation der Innenstadt sprechen, betonte Reiter. Dies habe sich in einer ersten großen Welle während der Corona-Pandemie gezeigt, als Einkaufen in den Innenstädten nicht möglich oder erlaubt war und durch Homeoffice viele Menschen Zuhause geblieben seien. Dies habe die Arbeitswelt nachhaltig verändert, die Mobilitätsmuster und damit die Frequentierung der Innenstädte hätten sich verschoben.

    Die City ist keine "Umkleidekabine" mehr

    Das Prinzip der Innenstadt als - so wörtlich - "Umkleidekabine" habe sich überholt. Es sei eine Entwicklung der 1960er und 70er Jahren gewesen, dass die Innenstädte vor allem von Einkaufsstraßen geprägt waren. Diese rein konsumistische Entwicklung sei ein für allemal vorbei, konstatierte der Zukunftsforscher. Einerseits habe sich das Einkaufen ins Digitale verlagert, andererseits aber hätten sich auch die Bedürfnisse der Menschen verändert. Vor allem die jüngeren Generationen suchten in den Innenstädten eher soziale Kontakte und Kommunikation, dafür müssten Orte und Plätze geschaffen werden. Daneben komme der Immobiliensektor zunehmend unter Druck: Es werde weniger Fläche für Handel und auch Büros benötigt, deshalb seien die hohen Immobilienpreise künftig nicht mehr haltbar.

    Grünflächen und Wasserstellen sollen die Innenstädte lebenswert machen

    Es werde zwar auch in Zukunft in den Innenstädten noch eingekauft werden, meinte Reiter, diese müssten aber attraktive und multifunktionale Orte sein. Beispielsweise könnten begrünte Flächen wie Dachgärten konsumfrei begehbar gemacht oder Bildungs- und Begegnungseinrichtungen unter einem Dach eingerichtet werden. Grundsätzlich spielen in Zeiten des Klimawandels die sogenannte grüne und blaue Infrastruktur - also Grünflächen und Wasserstellen - bei der Stadtplanung eine entscheidende Rolle. Dies seien Modelle der Zukunft: Es gehe um einen Ausbau der Innenstädte in Wohlfühlzonen. Diese Entwicklung könne man bereits in Vorzeigestädten wie Wien oder auch in Skandinavien beobachten.
    Reiter forscht beim "ZTB Zukunftsbüro" in Wien und arbeitet hierzulande als Berater beim Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung in Nordrhein-Westfalen.
    Diese Nachricht wurde am 21.08.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.