Lange: Geht der Öffentliche Dienst in Berlin in dieser Tarifrunde leer aus?
Wowereit: Berlin ist in einer ganz schwierigen finanziellen Situation. Die Personalkosten galoppieren uns davon. Wir haben 500 Millionen Euro, die wir strukturell im Personalkostenbereich einsparen müssen. Da gibt es keinen Spielraum für Tariferhöhungen.
Lange: Heißt das wirklich null oder gibt es einen Inflationsausgleich?
Wowereit: Wir sind bereit, mit den Gewerkschaften zu sprechen. Wir haben ja ein Solidarpakt angeboten. Man kann das auch differenzieren. Man kann niedrigen Einkommensgruppen eine Erhöhung geben, wenn man stärker an das 13. Gehalt oder an das Urlaubsgeld herangeht. Das sind ja Maßnahmen, die man mit einander verbinden kann. Wir wollen eine Solidargemeinschaft bilden, in der Weise, dass diejenigen, die es sich leisten können, auf eine Gehaltserhöhung zu verzichten, auch auf das 13. Gehalt verzichten. Ich als Senator oder regierender Bürgermeister kann darauf verzichten. Meine Sekretärin kann darauf nicht verzichten. Da können wir Spielräume nutzen, aber es muss unter dem Strich die Summe von 500 Millionen Euro herauskommen.
Lange: Nun ist das Ganze ja insofern schon kompliziert, als dass Berlin ja schon vor Jahren aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgeschlossen worden ist und seinerzeit eigene Arbeitgeberverbände gegründet hat, die die Tarifabschlüsse dann immer übernommen haben. Wieso treten Sie dann jetzt aus den eigenen Verbänden aus?
Wowereit: Das war jetzt notwendig, damit wir nicht an den Tarifabschluss gekoppelt sind, der ja eventuell heute noch unter Dach und Fach gebracht wird. Wir haben die Befürchtung gehabt, dass die besonderen Interessen Berlins bei den allgemeinen Verhandlungen nicht berücksichtigt werden. Das war ja unsere Idee, das zusammen mit den Gewerkschaften zu fordern. Wir wollten eine Sonderregelung für das hochverschuldete Land Berlin. Dann wären wir zu unseren Vertretern gegangen, wir zur Arbeitgeberseite und die Gewerkschaften zur Arbeitnehmerseite. Wir hätten dann darum gebeten, bei den generellen Tarifverhandlungen Öffnungsklauseln für Berlin zu vereinbaren. Das haben die Gewerkschaften aus grundsätzlichen Überlegungen abgelehnt.
Lange: Ihr Innensenator, Ehrhart Körting, hatte ja mit den Gewerkschaften diesen erwähnten Solidarpakt verhandelt. Diesen hat die Gegenseite abgelehnt. Nun sagt die Ver.di-Landeschefin, Susanne Stumpenhusen: 'Wir haben den Eindruck, es war nie geplant, diesen Pakt zu schließen'. Wie vergiftet ist das Klima da jetzt?
Wowereit: Es ist natürlich eine angespannte Situation, das ist ganz klar. Das sind Zeiten, wo die Zeichen auf Sturm stehen und die Gewerkschaften Streikmaßnahmen vorbereiten. Aber wir haben auch immer wieder gesagt, dass wir gesprächsbereit seien. Wir haben ja auch Angebote gemacht. Wir wollten ja nicht nur, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Gehaltssteigerungen verzichten, sondern wir haben noch zwei andere Dinge, die bei der heutigen Arbeitslosigkeit ganz wichtig sind, vorgeschlagen. Wir haben zum einen die Weiterführung der Beschäftigungssicherungsvereinbarungen angeboten. Das heißt, dass wir betriebsbedingte Kündigungen ausschließen. Das Zweite war eine Kompensation für die nicht zu leistenden Tarifsteigerungen in Form von Arbeitszeitverkürzung. Jetzt haben wir genau den umgekehrten Weg machen müssen, um tatsächlich Einstellungen zu verhindern. Das ist aber nicht unsere Grundidee gewesen. Wir wollten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Arbeitszeitverkürzung geben.
Lange: Es wird auch bei Ihnen irgendwann zu Tarifverhandlungen kommen. Die stehen unter keinem besonders guten Stern. Vielleicht werden Sie den Streik bekommen, der vielleicht gerade noch auf Bundesebene vermieden wird. Werden Sie das politisch durchstehen können?
Wowereit: Wir werden das auf jeden Fall politische durchstehen. Zu Beginn des Prozesses musste das jedem klar sein. Ich habe das auch auf politischer Ebene, sowohl in der Koalition, im Senat wie auch bei den Abgeordneten aus Fraktionen von Anfang an klar gemacht. Wir machen das nicht, weil wir hier irgendeinen Spielraum sehen, sondern weil wir die absolute Notwendigkeit sehen. Es gibt keine Alternative dazu. Die Alternative wären ja Entlassungen oder Kürzungen bei Sozialleistungen oder bei freien Trägern, die ihrerseits dann wieder Mitarbeiter entlassen müssen. Es gibt also keine richtige Alternative. Es wird schwer werden. Das ist vollkommen klar. Es gibt bei mir gar keine Zweifel, dass ich da hart bleiben werde.
Lange: Aber Sie haben ja auch einen Koalitionspartner, der sich auch gerade als Arbeiterpartei versteht.
Wowereit: Ja, der Koalitionspartner hat eben auch die inhaltlichen Punkte mit getragen. Da gab es nie ein Wackeln. Ich habe auch gar keinen Zweifel daran, dass wir auch einen Konflikt aushalten werden. Nun muss man im übrigen dazu sagen, dass die Situation hier in Berlin ja differenziert ist. Wir haben ja gesagt, dass wir für den unmittelbaren Landesdienst auf Erhöhungen verzichten. Das würde dann für Senatsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter und für die Bezirke geschehen. Also die Versorgungsunternehmen, wie die Stadtreinigung und die Berliner Verkehrsbetriebe, wären davon gar nicht betroffen. Ich rechne mit Maßnahmen der Gewerkschaften. Das ist ja aus deren eigenen Selbstverständnis heraus gar nicht anders möglich. Aber wir haben eine breite öffentliche Diskussion in der Stadt, die auch deutlich macht, dass wir im Öffentlichen Dienst in einer Situation, in der wir ja weniger Einnahmen haben, keine Gehaltssteigerungen geben können. Man muss das mit einem normalen Unternehmen vergleichen. Ich bin sehr dafür, dass ein Unternehmen, wenn es ihm gut geht, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon profitieren lässt. Aber wir sind ein Unternehmen, das im Prinzip Konkurs anmelden müsste. Wir haben drastisch weniger Einnahmen. Wir können es uns nicht leisten, galoppierende Personalkosten zu haben. Das geht nicht. Oder man muss sich von zehntausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennen. Das halte ich für den falschen Weg. Dann finde ich es besser, dass man auf eine Tarifsteigerung verzichtet. Wenn die Konjunkturlage besser ist, dann wird selbstverständlich auch eine Tarifsteigerung wieder besser sein.
Lange: Jetzt ist Berlin ja nicht die einzige notleidende Großstadt. Da könnten ja nun auch noch andere auf den Geschmack kommen. Müssen Sie nicht befürchten, dass da eine Lawine losgetreten wird, die dann nicht doch vielleicht den sozialen Frieden gefährdet, zumindest aber das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften doch nachhaltig beschädigt?
Wowereit: Ich denke, dass das nun auch die Verhandlungspartner in der Hand haben. Es gibt ja drei Ebenen, die von der Arbeitgeberseite aus verhandeln. Das sind der Bund, die Länder und die Kommunen. Die finanzielle Situation aller drei Bereiche ist ganz schlecht. Aber die der Länder und Kommunen ist noch schlechter als die des Bundes. Der Bund hat ja in seinem Haushalt wenig Personalkosten. Für ihn ist das nicht so eklatant. Für ein Bundesland, das 30 bis 40 Prozent Personalkosten im Haushalt hat, ist das für jedes Prozent Tarifsteigerung natürlich eine riesige Summe, die zu erbringen ist. Alleine bei uns würden 2 Prozent Tarifsteigerung für die nächsten drei Jahre bedeuten, dass wir über 500 Millionen Euro mehr bezahlen müssen. Das können wir uns nicht leisten. Insofern hängt es im wesentlichen davon ab, wie auf der Bundesebene ein Abschluss mit den Partnern zustande kommt, der der Lage gerecht wird. Ich hoffe nicht, dass es bei einigen, die nicht so ein Durchhaltevermögen haben, zu einem faulen Kompromiss kommt, in der Weise, dass die Kommunen erdrosselt werden. Ich bin mir auch sicher, dass es dann Nachahmer geben wird. Wenn das moderat sein wird, dann gibt es dafür keine Notwendigkeit.
Lange: Wenn es eine moderate Lösung sein würde, würden Sie die dann vielleicht doch noch übernehmen?
Wowereit: Nein, wir würden natürlich eine Regelung mit unseren Gewerkschaften anstreben, die sich schon in unserem Sinne bewegten. Das würde dann den Verzicht auf Tarifsteigerung, aber mit Beschäftigungssicherungsvereinbarung und Reduzierung der Arbeitszeit bedeuten. Oder wir wären für moderate Tarifsteigerungen in den unteren Lohngruppen, dafür aber für eine stärkere Kürzung des 13. Monatsgehaltes.
Lange: Aber ein Kompromiss von Potsdam ist für Sie ausgeschlossen?
Wowereit: So wie es aussieht, wird der Potsdamer Kompromiss nicht so aussehen, wie die Linie, die wir einschlagen müssen. Wir wollen das ja nicht unbedingt, aber wir müssen. Wir wollen ja niemanden bestrafen und sind auch nicht der Meinung, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier in Berlin schlechtere Arbeit leisten als woanders. Aber wir sind in einer absolut prekären Haushaltssituation. Daraus muss man auch Konsequenzen ziehen. Ich glaube auch, dass bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meinen Verwaltungen auch eine Akzeptanz da ist. Gerade Gewerkschaften im Öffentlichen Bereich verweigern sich zu einem Punkt, den sie in der Privatwirtschaft bereit sind mit zu machen. Da muss ein neues Bewusstsein kommen. Der Öffentliche Dienst ist kein isolierter Bereich. Er lebt nicht auf einer Insel. Sondern rundherum gibt es viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht dieses Privileg genießen, ein praktisch unkündbaren Arbeitsplatz zu haben. Das heißt nicht, dass man deswegen nicht auch auf Dauer Gehaltssteigerungen auch zahlen muss. Aber in bestimmten Situationen, wo es dem Arbeitgebern, in diesem Fall dem Öffentlichen Dienst, durch die horrenden Steuerausfälle schlecht geht, sind wir nicht in der Lage, solche Steigerungen zu zahlen.
Lange: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio