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Zum Besuch Bundeskanzler Gerhard Schröders in Tschechien

Birke: Eigentlich wollte Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Nachbarland Tschechien schon im März vergangenen Jahres einen offiziellen Besuch abstatten. Äußerungen des damaligen Ministerpräsidenten Zeman, der die Sudetendeutschen als "fünfte Kolonne Hitlers" bezeichnet hatte, führten damals jedoch zu Verstimmungen und zur Absage. Aufgeschoben, nicht aufgehoben wurde der Besuch. Der Kanzler reist heute nach Prag, wo ihn Vladímir Spidla, ein ihm sicher auch ideologisch näherstehender Ministerpräsident, erwartet. In den Informationen am Morgen sind wir jetzt mit Thomas Kafka verbunden. Er ist Geschäftsführer im Büro für Stiftungsarbeit des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Herr Karfka, die Verschiebung des Besuches seinerzeit unterstreicht, dass die Problematik um Vertreibung das politische Klima immer wieder maßgeblich prägt. Werden denn die deutsch-tschechischen Beziehungen zu sehr im Lichte der Vergangenheit gesehen?

    Kafka: Es ist wohl möglich, das auch so zu sehen. Mir scheint aber eher, dass es unser Fluch ist, oder dass in Mitteleuropa in den neunziger Jahren eine Sportart sich mehr oder weniger verselbständigt hat, für die ich den Begriff "Hysterisierung" habe. Ich glaube, es ist nicht so sehr die Geschichte, sondern vielmehr unser Zugang zu der Geschichte, so gesehen eine "Historisierung", die manchmal aber auch ein wenig hysterisch daherkommt.

    Birke: Ist das auch "Hysterisierung", wenn der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber jetzt aufs Neue fordert, besonders schwer geschädigten Sudetendeutschen aus dem mit 80 Millionen Euro dotierten Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zu kompensieren? Kann und sollte der Fonds das leisten?

    Kafka: Das wird von unserem Verwaltungsrat ganz sachbezogen bewertet werden müssen. Die Forderungen sind nicht unbedingt etwas, was der Sache gut tun kann. Es ist aber natürlich auch das Recht von Herrn Stoiber, wenn ihm danach ist, Forderungen zu stellen.

    Birke: Haben denn solche Forderungen Aussicht auf Chance?

    Kafka: Ich glaube, dass in den deutsch-tschechischen Beziehungen sehr viel möglich ist. Noch wichtiger, als dass die Dinge möglich sind, ist aber, dass die Dinge auch richtig verstanden werden. Ich glaube, wenn wir immer wieder in die alten Rivalisierungen beziehungsweise Forderungskultur abdriften würden, wird das vielleicht die Chancen verschmälern. Prinzipiell gilt aber: Never say never. Man sollte mehr danach Ausschau halten, was den Beziehungen gut tun wird, und man sollte sich auch nicht mit unterschiedlichen Forderungen übernehmen.

    Birke: Wir schauen gleich noch ein bisschen in die Zukunft. Lassen Sie mich noch ganz kurz bei der Vergangenheitsbewältigung bleiben. Es gibt ja auch immer die Streitigkeiten über Enteignung und Rückgabe von enteigneten Grundstücken. Befürchten Sie denn, dass durch Musterprozesse wie dem Kinski-Prozess die rechtliche Grundlage der Benesch-Dekrete erneut in Frage gestellt und das Thema ganz neu aufgerollt werden könnte?

    Kafka: Die causa Kinski, die Sie angesprochen haben, ist komischerweise von der Benesch-Dekrete-Problematik nicht tangiert. Es handelt sich um eine selbständige Konfiszierung. Ich glaube, auch hier sollte die Gelassenheit beiderseits der Grenze bewahrt werden. Die tschechischen Gerichte müssen sich mit der Sache ernsthaft und hoffentlich unparteiisch beschäftigen. Für mich aber steht ein für allemal für alle Journalisten, Politiker und auch Laien, die sich mit der Geschichte und mit den Konfiszierungen leidenschaftlich beschäftigen, als ein Gebot der Stunde: Wir sollten nicht so tun, als ob die Dinge so einfach sind. Schließlich ist man hier konfrontiert mit Konfiszierungen, die vor 50 Jahren als Faustpfand vorgenommen wurden für die zu dem damaligen Zeitpunkt vorgesehenen Reparationszahlungen. Wir sollten uns nicht leichtsinnig auf solche Minenfelder nur deswegen begeben, weil wir glauben, dass wir mit unseren juristischen Mitteln heutzutage alles schon können.

    Birke: Herr Kafka, ist denn das von dem Bund der Vertriebenen geforderte Zentrum gegen Vertreibung in Berlin auch ein solches Minenfeld?

    Kafka: Nein. Ich glaube, es ist eine sehr interessante Diskussion, die sich zuerst in Deutschland entfacht hat. Ich glaube aber, dass in der Tat Stimmen oder Stimmungen aus Tschechien oder Polen willkommen und erwünscht sind. Das ist für mich ein Anlass, darüber auch sehr ernsthaft nachzudenken, wie sich gerade im Lichte eines solchen Zentrums die Erinnerungskultur des 21. Jahrhunderts entwickeln sollte. Ich bin im Grunde dankbar dafür, dass wenigstens einige Verfechter des Zentrums in Deutschland auch die Tschechen zu einer solchen Überlegung einladen.

    Birke: Herr Kafka, Sie könnten sich also ein deutsches Zentrum mit tschechischer Beteiligung vorstellen?

    Kafka: Ich kann mir eine Diskussion über ein solches Zentrum mit tschechischer Beteiligung sehr wohl vorstellen. Ich glaube, man sollte hier auch die überall angepriesene Wahrhaftigkeit so verstehen als etwas, was auch mit Taktgefühl und mit dem Respekt vor den Opfern in Einklang gebracht werden sollte. Da sind sowohl die Vertriebenen als auch die Staaten, die sie einst vertrieben haben, zu einer gewissen Aufgeschlossenheit gemahnt.

    Birke: Herr Kafka, lassen Sie uns noch in die Gegenwart und in die Zukunft blicken. Die Geschäfte zwischen beiden Staaten florieren. Wie steht es denn um die Jugendkontakte, die ja auch insbesondere der von ihnen mitgemanagte Fonds versucht zu unterstützen?

    Kafka: Wir sind sehr froh, dass unser Fonds in knapp über 5 Jahren, die es uns gibt, schon mit sehr vielen Projekten, überwiegend auch aus dem Jugendbereich, konfrontiert wurde und dass wir mehr als 2.000 Projekte inzwischen haben fördern können. Ich glaube, die Jugendlichen sind für die deutsch-tschechischen Beziehungen vor allem als eine Quelle der Inspiration hoch zu schätzen. Ich will auch hoffen, dass die Ansätze, mit denen wir bisher konfrontiert wurden, weitere Früchte tragen werden. Die Jugendlichen möchten sich nicht nur mit den deutsch-tschechischen Beziehungen als solche beschäftigen, sondern sie stellen sich bisweilen auch die Frage, was Deutsche und Tschechen für Europa oder für Nicht-Europäer machen könnten. Das ist auch ein sehr wichtiger Ansatz für die Zukunft der deutsch-tschechischen Beziehungen.

    Birke: Herr Kafka, Europa ist ein wichtiges Stichwort. Als kleines Land wird Tschechien ja der EU beitreten, sucht jetzt aber auch Nachbesserungen an der künftigen EU-Verfassung. Drohen hier nicht eher auf dem politischen Feld neue Konflikte zwischen dem mächtigen EU-Mitglied Bundesrepublik und dem kleinen neuen mitteleuropäischen Mitglied Tschechien?

    Kafka: Ich sehe das hier komischerweise ganz gegenteilig. Ich glaube nämlich, dass hier auch eine große Chance schlummert. Dass es zwischen Deutschen und Tschechen von Zeit zu Zeit zu Problemen kommt, darüber sind wir uns auch aus den vergangenheitsbezogenen Projektthemen schon bewusst. Dass wir hier aber auch sehr große Chancen haben, etwas für uns aber auch für Europa zu machen, das sollten wir vielleicht zur Zeit mehr vergegenwärtigen. Ich glaube, dass sich gerade im Hinblick auf Europa hier eine wunderbare Chance bietet, dass wir exerzieren sollten, wie ein größeres Land mit einem kleineren Land zum Wohl beider umzugehen weiß.

    Birke: Das war Thomas Kafka, der Geschäftsführer im Büro für Stiftungsarbeit des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.

    Link: Interview als RealAudio