Während Johan Simons, der mit seinem Theater ZT Hollandia aus Eindhoven den ersten Roman von Hugo Claus in einer sehr filmischen Ästhetik, aber auch mit physisch ungemein präsenten Schauspielern auf die Bühne brachte, unternahm das Madrider Teatro La Carniceria einen wüsten Materialkampf gegen den Konsum und jeden guten Geschmack, - und das im Stile eines Sechziger-Jahre-Happenings.
Vor allem aber waren Beziehungsgeschichten von Menschen in verkorksten, bevorzugt inzestuösen, Familiensituationen zu sehen.
Die derzeit in New York lebende serbische Autorin Biljana Srbljanovic stellte unter dem Arbeitstitel "Amerika, Teil Zwei" ein Auftragswerk für die Schaubühne mit kafkaesken Anklängen vor, in dem Migranten und ein aus toller Stelle Gefeuerter mit sich und anderen um soziales Glück und sexuelle Lust kämpfen.
Beim isländischen Stück "Engel" von Hávar Sigurjónsson kann einem in Inzest lebenden Stiefgeschwisterpaar auch von einem Psychiater nicht geholfen werden. Während das Paar in Anthony Neilsons "Stitching", mit dem das Londoner Bush Theatre gastierte, von Anfang an rettungslos in seinem klaustrophobischen sexuellen Kampf verfangen ist. Auch in den neuen Stücken von den der Schaubühne als Dramaturg oder Regisseur verbundenen deutschen Autoren David Gieselmann und Falk Richter geht es um Beziehungsprobleme. Doch wie Gieselmann in "Plantage" Tschechows "Kirschgarten" in die Nähe von Berlin holt und hier auf einem ehemaligen Gelände der Nationalen Volksarmee eine Kommune erst mit Hasch Geld verdienen läßt, bevor alles auseinander fliegt, das läßt in der Zeitgeistkomödie eine Gesellschaftsanalyse entdecken. Und in Falk Richters "Electronic City", in dem eine Springerin an den Scannerkassen zwischen Hongkong und Amsterdam und ein internationaler Geschäftsmann aneinander geraten, ist eine Parabel über den heute für den Arbeitsmarkt gewünschten, allseits flexiblen Menschen versteckt. Nicht versteckt im 3. Festival Internationaler Neuer Dramatik der Schaubühne war allerdings das große neue Drama über unsere Zeit. Aber es gab eine ganze Menge wirkungssicherer realistischer Gebrauchsstücke zu hören und zu sehen. Also: spannende Dramatik aus aller Welt für deutsche Repertoires.
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