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Zum dritten Mal: das Festival 'Internationale Neue Dramatik' an der Berliner Schaubühne

Kurz vor Mitternacht versammelte sich allabendlich neben der Schaubühne ein erwartungsfrohes Publikum. In einemm ehemaligen Küchenstudio waren drei Betten für die Schauspieler und einige Stuhlreihen für die Zuschauer aufgestellt. Geboten wurde hier mit dem sechsteiligen Dramenzyklus "Suvarban Motel" des erstmals in Deutschland vorgestellten 55jährigen kanadischen Dramatikers George F. Walker eine Art Theatersoap. Walker unternimmt es, den American Way of Life gleichermaßen mit den Unterhaltungsmitteln von Soap und Slapstick, Boulevard und Melodram, Pulp und Trash zu untersuchen. In einem Motel kreuzen sich die Schicksale von optimistischen Huren und verzweifelten Arbeitssuchenden, von korrupten Polizisten und sexbesessenen Beziehungskrüppeln. Walkers Stücke sind in einem von sexuellen Schimpfwörtern dominierten Alltagsjargon geschrieben - ohnehin fiel bei diesem Festival auf, daß die Autoren mehr auf vermeintliche Authentizität des Sprechens statt auf sprachliche Formung Wert legen. Im 5.Teil von "Suburban Motel" mit dem Titel "Das Ende der Zivilisation" ermitteln zwei Polizisten in einer Mordserie. In Verdacht gerät ein vergeblich Arbeitssuchender, dessen Frau aus Geldnot auf den Strich geht:

Ein Beitrag von Hartmut Krug |
    Weniger atemlos, aber genauso exzessiv mit der eigenen verkorksten Sexualität beschäftigt wirken die zwei Frauen und ihre Seitensprung-Liebhaber in Kelly Stuarts "Homewrecker". Bei der amerikanischen Autorin irrlichtert der Wahlkämpfer George W. Bush mit debilen Slogans durchs Stück. Der Versuch, mit einer Collage aus Boulevardialogen und Bush-Sentenzen ein Porträt der amerikanischen Gesellschaft zu schaffen, überzeugt allerdings nicht übermäßig. An fünf Tagen präsentierte die Schaubühne in vielen szenischen Lesungen und einigen Gastspielen ihren Blick auf neue internationale Dramatik.

    Während Johan Simons, der mit seinem Theater ZT Hollandia aus Eindhoven den ersten Roman von Hugo Claus in einer sehr filmischen Ästhetik, aber auch mit physisch ungemein präsenten Schauspielern auf die Bühne brachte, unternahm das Madrider Teatro La Carniceria einen wüsten Materialkampf gegen den Konsum und jeden guten Geschmack, - und das im Stile eines Sechziger-Jahre-Happenings.

    Vor allem aber waren Beziehungsgeschichten von Menschen in verkorksten, bevorzugt inzestuösen, Familiensituationen zu sehen.

    Die derzeit in New York lebende serbische Autorin Biljana Srbljanovic stellte unter dem Arbeitstitel "Amerika, Teil Zwei" ein Auftragswerk für die Schaubühne mit kafkaesken Anklängen vor, in dem Migranten und ein aus toller Stelle Gefeuerter mit sich und anderen um soziales Glück und sexuelle Lust kämpfen.

    Beim isländischen Stück "Engel" von Hávar Sigurjónsson kann einem in Inzest lebenden Stiefgeschwisterpaar auch von einem Psychiater nicht geholfen werden. Während das Paar in Anthony Neilsons "Stitching", mit dem das Londoner Bush Theatre gastierte, von Anfang an rettungslos in seinem klaustrophobischen sexuellen Kampf verfangen ist. Auch in den neuen Stücken von den der Schaubühne als Dramaturg oder Regisseur verbundenen deutschen Autoren David Gieselmann und Falk Richter geht es um Beziehungsprobleme. Doch wie Gieselmann in "Plantage" Tschechows "Kirschgarten" in die Nähe von Berlin holt und hier auf einem ehemaligen Gelände der Nationalen Volksarmee eine Kommune erst mit Hasch Geld verdienen läßt, bevor alles auseinander fliegt, das läßt in der Zeitgeistkomödie eine Gesellschaftsanalyse entdecken. Und in Falk Richters "Electronic City", in dem eine Springerin an den Scannerkassen zwischen Hongkong und Amsterdam und ein internationaler Geschäftsmann aneinander geraten, ist eine Parabel über den heute für den Arbeitsmarkt gewünschten, allseits flexiblen Menschen versteckt. Nicht versteckt im 3. Festival Internationaler Neuer Dramatik der Schaubühne war allerdings das große neue Drama über unsere Zeit. Aber es gab eine ganze Menge wirkungssicherer realistischer Gebrauchsstücke zu hören und zu sehen. Also: spannende Dramatik aus aller Welt für deutsche Repertoires.

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