Christoph Schmitz: Jürgen Krönig in London, nennen die Briten die Verwahrlosung, Verelendung und Proletarisierung großer Gesellschaftsgruppen klar beim Namen?
Krönig: Ja, das tun sie. Die Unterschicht, die Underclass wird sie hier genannt, die ist permanentes Thema der Politik, der Soziologie, des Feuilletons. Wobei man am Anfang eigentlich unterschieden hat zwischen einer Unterklasse als Folge struktureller, ökonomischer Probleme - Arbeitslosigkeit, Ausschluss von wachsendem Wohlstand und Vertiefung der Klassengegensätze - und dann zunehmend mehr als kulturelles Problem des Verhaltens. Danach wird die Unterschicht definiert, durch Unehelichkeit, Verwahrlosung, Kriminalität, Drogen und die Abhängigkeitskultur als Folge eines Sozialstaates, der perverse Anreize geschaffen hat und dieses zum Teil begünstigt.
Ralf Dahrendorf griff schon Anfang der 90er Jahre in diese Debatte ein und beschrieb die Underclass als Krebs, die das Gefüge der Gesellschaft angreift, und die künftige Entwicklung dieser Klasse sei kritisch für die Hygiene der Gesellschaft. Und nur noch ganz ergänzend, ganz kurz als letzter Einwurf in diese Debatte: Da ist einerseits der Begriff der digitalen Underclass, der digitalen Unterschicht, also der Ausschluss auch auf diesem Gebiet in einer zunehmend vernetzten Gesellschaft, und dann spricht man, das ist ganz aktuell, von Nets, von Leuten, die no employment, no education, no training haben, also keine Beschäftigung, keine Ausbildung, nichts gelernt haben. Und Blairs letzte Initiative im Kampf gegen den sozialen Ausschluss, wie es auch genannt wird, ist es, dass Kinder dieser Familien frühzeitig, eigentlich direkt nach der Geburt, identifiziert werden müssten. Nur so könne man ihnen helfen und Hoffnung geben.
Schmitz: Ist das die politische Theorie? Wie geht man konkret mit dieser Analyse um, speziell New Labour?
Krönig: Na ja, man hat vieles getan um den Working Poor, den Arbeitnehmern mit niedrigem Einkommen, zu helfen auf ein Mindestgehalt hin. Wenn sie arbeiten, ihr Einkommen zu steigern, 250 Pfund in der Woche, das sind 300 Euro in der Woche ungefähr. Und man hat also einiges an Umverteilung geschaffen. Aber das Problem ist gleichzeitig eher größer, deutlicher geworden, auch in den verwahrlosten, antisozialen Verhaltensweisen, die man rund im Lande beobachten kann, Binch Drinking und so weiter.
Schmitz: Derzeit scheinen manche gesellschaftspolitische Illusionen zu platzen, auch etwa die eines harmonischen Multi-Kulti. Boykottaufrufe gegen die Fluggesellschaft British-Airways gibt es derzeit bei Ihnen, Herr Krönig, weil die BA eine Angestellte vom Dienst suspendierte. Sie hat ein kleines christliches Kreuz sichtbar am Hals getragen. Aus welchem Traum wachen die Briten auf, wacht der Westen derzeit auf?
Krönig: Ich glaube, um noch mal ganz kurz zurückzukehren zu der Unterschicht, da ist etwas, was ich die Illusion der Veredlung nenne, die jetzt entlarvt wird. Marx glaubte ja, und progressive Denker glaubten, dass das Ende von materieller Not die Menschen dazu bewegen werde, sich schöngeistigen Dingen zuzuwenden, Gedichte zu schreiben, malen, Kunsthandwerk betreiben. Und das erwies sich als großer Irrtum. Stattdessen wurde das Freizeitverhalten in einer Gesellschaft, die insgesamt gesehen so reich ist wie nie zuvor und Massenwohlstand kennt, vulgarisierter und roher. Das ist sicherlich eine Illusion der Veredelung.
Wobei man auch vielleicht sagen sollte, dass die Underclass, die Unterschicht, als historisches Phänomen schon frühzeitig beschrieben worden ist. Maltus sah die Überbevölkerung der unteren Schichten als gravierendes Problem und Marx definierte sie als Lumpenproletariat, als eine Armee von Analphabeten, die er verächtlich als Abschaum der Ausgeschlossenen aller Schichten bezeichnete. Und um die Jahrhundertwende herum bemühten sich übrigens progressive Denker, die Underclass als moralisches Problem zu kennzeichnen und sorgten sich über die Ausweitung dieser Klasse rein an Zahl. Das ist also sicherlich ein Problem, das jetzt in aller Deutlichkeit hervortritt.
Zu dem anderen ganz kurz gesagt: Der Multikulturalismus wird in Großbritannien im Augenblick ziemlich unsanft beerdigt. Die Regierung hat eine völlige Kehrtwendung vollzogen und dieser Fall, den Sie erwähnten, der Frau mit dem Kreuz, der ist auf einhellige Empörung gestoßen und wird British Airways zum Rückzug zwingen, während gleichzeitig eine muslimische Lehrerin, die darauf beharrte, Schüler mit Schleier vor dem Gesicht zu unterrichten, entlassen wurde. Bei dem Jobinterview hat sie übrigens keinen Schleier getragen. Und so also eine Situation jetzt erst geschaffen, bewusst geschaffen wahrscheinlich um zu zeigen, dass sie für ihre Prinzipien steht.
Schmitz: Jürgen Krönig, vielen Dank.
Krönig: Ja, das tun sie. Die Unterschicht, die Underclass wird sie hier genannt, die ist permanentes Thema der Politik, der Soziologie, des Feuilletons. Wobei man am Anfang eigentlich unterschieden hat zwischen einer Unterklasse als Folge struktureller, ökonomischer Probleme - Arbeitslosigkeit, Ausschluss von wachsendem Wohlstand und Vertiefung der Klassengegensätze - und dann zunehmend mehr als kulturelles Problem des Verhaltens. Danach wird die Unterschicht definiert, durch Unehelichkeit, Verwahrlosung, Kriminalität, Drogen und die Abhängigkeitskultur als Folge eines Sozialstaates, der perverse Anreize geschaffen hat und dieses zum Teil begünstigt.
Ralf Dahrendorf griff schon Anfang der 90er Jahre in diese Debatte ein und beschrieb die Underclass als Krebs, die das Gefüge der Gesellschaft angreift, und die künftige Entwicklung dieser Klasse sei kritisch für die Hygiene der Gesellschaft. Und nur noch ganz ergänzend, ganz kurz als letzter Einwurf in diese Debatte: Da ist einerseits der Begriff der digitalen Underclass, der digitalen Unterschicht, also der Ausschluss auch auf diesem Gebiet in einer zunehmend vernetzten Gesellschaft, und dann spricht man, das ist ganz aktuell, von Nets, von Leuten, die no employment, no education, no training haben, also keine Beschäftigung, keine Ausbildung, nichts gelernt haben. Und Blairs letzte Initiative im Kampf gegen den sozialen Ausschluss, wie es auch genannt wird, ist es, dass Kinder dieser Familien frühzeitig, eigentlich direkt nach der Geburt, identifiziert werden müssten. Nur so könne man ihnen helfen und Hoffnung geben.
Schmitz: Ist das die politische Theorie? Wie geht man konkret mit dieser Analyse um, speziell New Labour?
Krönig: Na ja, man hat vieles getan um den Working Poor, den Arbeitnehmern mit niedrigem Einkommen, zu helfen auf ein Mindestgehalt hin. Wenn sie arbeiten, ihr Einkommen zu steigern, 250 Pfund in der Woche, das sind 300 Euro in der Woche ungefähr. Und man hat also einiges an Umverteilung geschaffen. Aber das Problem ist gleichzeitig eher größer, deutlicher geworden, auch in den verwahrlosten, antisozialen Verhaltensweisen, die man rund im Lande beobachten kann, Binch Drinking und so weiter.
Schmitz: Derzeit scheinen manche gesellschaftspolitische Illusionen zu platzen, auch etwa die eines harmonischen Multi-Kulti. Boykottaufrufe gegen die Fluggesellschaft British-Airways gibt es derzeit bei Ihnen, Herr Krönig, weil die BA eine Angestellte vom Dienst suspendierte. Sie hat ein kleines christliches Kreuz sichtbar am Hals getragen. Aus welchem Traum wachen die Briten auf, wacht der Westen derzeit auf?
Krönig: Ich glaube, um noch mal ganz kurz zurückzukehren zu der Unterschicht, da ist etwas, was ich die Illusion der Veredlung nenne, die jetzt entlarvt wird. Marx glaubte ja, und progressive Denker glaubten, dass das Ende von materieller Not die Menschen dazu bewegen werde, sich schöngeistigen Dingen zuzuwenden, Gedichte zu schreiben, malen, Kunsthandwerk betreiben. Und das erwies sich als großer Irrtum. Stattdessen wurde das Freizeitverhalten in einer Gesellschaft, die insgesamt gesehen so reich ist wie nie zuvor und Massenwohlstand kennt, vulgarisierter und roher. Das ist sicherlich eine Illusion der Veredelung.
Wobei man auch vielleicht sagen sollte, dass die Underclass, die Unterschicht, als historisches Phänomen schon frühzeitig beschrieben worden ist. Maltus sah die Überbevölkerung der unteren Schichten als gravierendes Problem und Marx definierte sie als Lumpenproletariat, als eine Armee von Analphabeten, die er verächtlich als Abschaum der Ausgeschlossenen aller Schichten bezeichnete. Und um die Jahrhundertwende herum bemühten sich übrigens progressive Denker, die Underclass als moralisches Problem zu kennzeichnen und sorgten sich über die Ausweitung dieser Klasse rein an Zahl. Das ist also sicherlich ein Problem, das jetzt in aller Deutlichkeit hervortritt.
Zu dem anderen ganz kurz gesagt: Der Multikulturalismus wird in Großbritannien im Augenblick ziemlich unsanft beerdigt. Die Regierung hat eine völlige Kehrtwendung vollzogen und dieser Fall, den Sie erwähnten, der Frau mit dem Kreuz, der ist auf einhellige Empörung gestoßen und wird British Airways zum Rückzug zwingen, während gleichzeitig eine muslimische Lehrerin, die darauf beharrte, Schüler mit Schleier vor dem Gesicht zu unterrichten, entlassen wurde. Bei dem Jobinterview hat sie übrigens keinen Schleier getragen. Und so also eine Situation jetzt erst geschaffen, bewusst geschaffen wahrscheinlich um zu zeigen, dass sie für ihre Prinzipien steht.
Schmitz: Jürgen Krönig, vielen Dank.