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Zum Frühstück Credit Crunch

In keinem anderen Land Europas sind Immobilien ein so wichtiger Wirtschaftsmotor wie in Großbritannien. Die Preise für Häuser und Wohnungen haben in den letzten Jahren schwindelerregende Höhen erreicht. Aber im Sog der internationalen Finanzkrise ist nun auch die britische Immobilienblase geplatzt. Aus London berichtet Ruth Rach.

    Im Fernsehen laufen Sendungen mit Basteltipps, das Radio bietet Sparrezepte aus Kriegszeiten. Premierminister Gordon Brown geht mit gutem Vorbild voran, und macht im eigenen Land Urlaub. Bevor er sich in den südöstenglischen Küstenörtchen Soutwold zurückzog, ermahnte der gebürtige Schotte die Briten zum besseren Haushalten.

    "Die Briten werfen jede Woche Nahrungsmittel im Wert von elf Euro in den Abfall - das können wir uns nicht mehr leisten."

    Seine Worte kommen bei krisengeschüttelten Briten nicht gut an. Der ehemalige Schatzkanzler habe selbst Millionen von Steuergeldern zum Fenster hinausgeworfen, schimpfen Kritiker. Markengeschäfte, traditionelle Domäne der Gutbetuchten, erwirtschaften ein besonders dickes Minus. Eine bekannte Pizzakette meldet 20 Prozent mehr Umsatz - und einen neuen Kundenkreis: die gehobene A und B Gruppe.

    So können Sie Ihr Heim in bares Geld ummünzen, erzählt ein Auktionär.
    Die Mittelschicht entrümpelt Dachböden, verscherbelt Erbstücke. In Auktionshäusern herrscht Hochbetrieb. Aber auch Flohmärkte seien nicht zu verachten, betont Rundfunkratgeber David Hox.

    "Warum ein Regal voller ungelesener Bücher im Haus haben, wenn man sie auf dem Trödelmarkt verkaufen und das Geld gleich wieder ausgeben kann. Auch damit verhelfen sie der britischen Wirtschaft wieder auf die Sprünge."

    Geschäfte reduzieren ihre Waren um bis zu 90 Prozent, Banken fischen mit Spar-Zinsen von bis zu zwölf Prozent nach neuen Kunden. Aber davon werden leere Geldbeutel auch nicht voll. Sinkende Hauspreise, steigende Lebenshaltungskosten, Strompreise sollen um bis zu 20 Prozent, Gaspreise gar um 35 Prozent angehoben werden. Bei Schuldnerberatungen laufen die Drähte heiss

    Viele Anrufer sprechen von Selbstmord. Sie sind unendlich deprimiert, sagt der Finanzberater Mike Thomas.

    Ich weiß bald nicht mehr, wie ich über die Runden kommen soll, erzählt Sally, eine alleinerziehende Mutter. Bislang haben ihre Eltern ausgeholfen, aber jetzt stecken sie selbst in der Klemme.
    Alte Menschen mit ihrer ohnehin mageren staatlichen Rente können schon lange nicht mehr mithalten. Sie benutzen nicht einmal mehr ihre Küchenherde, um Gas und Strom zu sparen, sagt Norman Curd von der schottischen Aktionsgruppe Energy Action Scotland.

    "Sie halten sich tagsüber in Einkaufszentren auf und wenn sie heimkommen gehen sie gleich ins Bett. "

    Billigdiscounter melden, Weißbrot und Kartoffeln seien die neuen Bestseller. Auch Brotdosen gehen weg wie warme Semmeln: zum Lunch geht man nämlich nicht mehr in die Sushi-Bar, sondern packt seine Stulle aus. Und abends ist nicht mehr Kino und Italiener angesagt, sondern Wohnzimmersofa, Leih-DVD und Tiefkühlpizza.

    Nur die Fahrradläden haben von den explodierenden Benzinpreisen profitiert - ihr Umsatz ist um 130 Prozent gestiegen. Auch Campinggeschäfte florieren: immer mehr Briten machen Zelturlaub. Wer daheim bleibt, setzt auf Selbstversorgung. Gemüsesamen und Setzlinge sind - so melden Gärtnereien - heiße Renner, in London betragen die Wartelisten für Schrebergärten zwischen zehn und 20 Jahre.

    Unverbesserliche Optimisten tragen ihre Pennies allerdings vermehrt zu Pferderennen - zur Freude der Wettbüros. Ihr Geschäft sei total krisenfest: ganz im Gegenteil seien die Einsätze sogar weiter gestiegen.