Archiv


Zum Lobe des Herrn

Turin galt lange als unattraktiver Industriemoloch. Doch nun hat sich dort einiges verändert, auch architektonisch. So ließ man zum Beispiel den Tessiner Architekten Mario Botta eine Kirche bauen. 25 Millionen Euro hat die katholische Kirche für den Bau zur Verfügung gestellt.

Von Michael Marek |
    Piazza della Torre, im Nordwesten von Turin: Hier, inmitten der ehemaligen Fiat-Produktionsstätten, steht der mächtige, expressive Kirchenbau Santo Volto. Der Kontrast zwischen dem roten Veroneser Naturstein und dem Betongrau der Bürosilos und umliegenden gesichtslosen Arbeitersiedlungen wirkt überwältigend. Aus einem sternförmigen Grundriss erheben sich mehrere 50 Meter hohe Türme. Der Schweizer Architekt und Kirchenspezialist Mario Botta:

    "Sieben Türme bringen das Tageslicht in einen einzigen großen Innensaal. Ich bin von der Idee eines Zeltes ausgegangen, dass an Türmen festgehalten wird, die sich brechen, um ein zentrales Element zu entwerfen. Vom Eingang der Kirche gibt es eine zentrale Achse - der Altar steht dabei nicht in der Mitte, sondern am Ende des Raumes."

    In den religiösen Mittelpunkt der Kirche stellt Botta das berühmte Turiner Grabtuch. Der Schweizer Architekt hat es mit Hilfe von Computerberechnungen in ein überdimensionales Pixelrelief aus Marmor übertragen und hinter den Altar platziert. Das als Abbild Jesu verehrte Gesicht beherrscht so den gesamten kreisrunden Gebetsraum, den der Gläubige, Tourist oder Schaulustige betritt.
    Vor der Kirche erinnert noch ein Industriekamin an die abgerissenen Fiatwerke. Botta hat den 60 Meter hohen Schornstein mit Beton ummanteln lassen. An der Außenseite wurden reflektierenden Stahlkugeln angebracht, die spiralförmig wie auf einer Jakobsleiter nach oben gleiten. Nachts stellen sich durch die Beleuchtung wunderbare Lichteffekte ein. Botta will damit den Bogen vom Gotteshaus zur industriellen Umgebung schlagen: Santo Volto soll das Image widerlegen, Turin sei noch immer ein grauer Automobilmoloch. Denn dort, wo einst Fabrikschlote qualmten, gibt es heute Technologie-Parks, herrliche Museen und - mit Santo Volto - ein neues Wahrzeichen für die Hauptstadt des Piemont.

    Hier will Botta eine mittelalterliche Tradition wieder auferstehen lassen: Diese Kirche ist eingebunden in den städtischen Alltag, soll zum Mittelpunkt werden allen gesellschaftlichen Lebens. Konsequent ist der Sakralbau von einer Wohnbebauung umschlossen, von Bürogebäuden, Fußgängerzonen und Einkaufszentren. Warum aber sollte in einer urbanen Stadtlandschaft des 21. Jahrhunderts ausgerechnet die Stadtmitte von einem christlichen Kultgebäude besetzt werden? Aber ist es nicht problematisch, ein religiöses Gebäude, das mehr einem gigantischen Tempel als einer traditionellen Kirche ähnelt, für ein Industriegebiet zu entwerfen?

    "Nein, überhaupt nicht, das ist schließlich auch ein europäisches Problem, das heißt, wie werden die ehemaligen industriellen Gebiete heute genutzt. Diese Stadtviertel brauchen eine neue Bedeutung, müssen ein neues Leben finden. Von diesem Standpunkt aus wird Santo Volto, das Profil der Kirche, ihre äußere Erscheinung neue Aufmerksam für das Viertel bringen. Die Bau fällt auf und ist als Kirche erkennbar - und damit als Zeichen ihrer Anwesenheit in der Stadt."

    Santo Volto ist Blickfang und Fremdkörper zugleich, ein Wahrzeichen für Urbanität und ein architektonisches Experiment, das sich unnahbar in seiner Umgebung auszunehmen scheint. Die katholische Kirche hat sich das etwas kosten lassen. 25 Millionen Euro soll der Kirchenkomplex offiziell gekostet haben mit einem Kongresszentrum für 700 Personen, Kurienbüros, Kardinalsgemächern und Pastorat. Marco Bonatti ist Chefredakteur bei "La Voce del Popolo" ("Die Stimme des Volkes"). Der Titel des wöchentlich in Turin erscheinenden Kirchenblattes gibt sich ebenso mächtig wie Bottas Sakralbau. Und der sei bis zur Planungsphase sehr umstritten gewesen, sagt Bonatti:

    "In Turin gibt es eine starke Tradition von Arbeiterpriestern. Diese Priester haben mit in der industriellen Produktion gearbeitet. Und sie waren auf der Seite der Gewerkschaften. Aber gleichzeitig waren die Priester ein Mittel der sozialen Kontrolle, da sie von den Unternehmen bezahlt wurden. Nach 1968 gab es sehr viele solcher Arbeiterpriester. Sie waren gegen den Bau von Santo Volto, das heißt einer solch massiven, imposanten Kirche. Und sie lehnten die Idee ab, an diesem Ort Arbeit und spirituelles Leben zusammenzuführen. Der Bau einer einfachen Kirche, einer, Hütte hätten ihnen gereicht."