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Zum Osterfest: Wie stark wurzeln christliche Traditionen noch in unserer Gesellschaft?

Durak: Ostern steht vor der Tür, hat ja schon längst begonnen mit diesem Gründonnerstag. Für viele in Deutschland sind das Tage mit wirklich religiösem Inhalt, für viele aber einfach nur ein verlängertes Wochenende, frei, Osterbräuche pflegen, Frühlingsfest. Wie stark wurzeln noch christliche Traditionen in unserer Gesellschaft? Das ist eine der Fragen jetzt. Welche Rolle spielen sie im Leben und Denken der Heranwachsenden vor allem? Gunter Hirschfelder beschäftigt sich mit solchen Dingen. Er ist Volkskundler an der Universität Bonn und nun am Telefon. Schönen guten Morgen Herr Hirschfelder.

    Hirschfelder: Guten Morgen!

    Durak: Wie beurteilen Sie das? Ist für die meisten Deutschen Ostern in erster Linie Frühlingsfest und verlängertes Wochenende plus Ferien ja meistens auch, oder doch Jesu Auferstehung?

    Hirschfelder: Streng genommen kann man das gar nicht genau sagen, weil wir nicht genug Umfrageergebnisse haben. Die Ergebnisse, die ich in der Presse immer lese, die fußen doch auf geringen Zahlenangaben. Sie sind erhoben vor Modehäusern, in Fußgängerzonen, in Innenstädten. Wie es wirklich ist, darüber stehen große Untersuchungen aus. Es deutet aber tatsächlich einiges darauf hin, dass Ostern das neben Pfingsten am stärksten säkularisierte kirchliche Fest ist, was merkwürdig ist, weil Ostern ist ja der Höhepunkt des Kirchenjahres und das wichtigste christliche Fest überhaupt.

    Durak: Sie sagen es ist merkwürdig. Ist das eine geschichtliche Entwicklung, die irgendwie zwangsläufig ist?

    Hirschfelder: Ja und nein. Kultur ist natürlich immer dynamisch und wenn wir uns Ostern über die letzten 2000 oder streng genommen 1700 Jahre anschauen, weil erst mit dem Konzil von Nizäa im vierten Jahrhundert sind die Ostertermine und die Abfolgen an Ostern festgelegt worden, dann sieht man diese ungeheuere Dynamik. Von Generation zu Generation und Jahrzehnt zu Jahrzehnt ist es eben sehr großen Veränderungen unterworfen, denken Sie etwa an die Reformationszeit mit den großen Umbrüchen oder die Zeit der französischen Revolution, wo in weiten Teilen Westeuropas alte Traditionen zum Erliegen gekommen sind. Wenn ich mir den augenblicklichen Befund anschaue, aus meinen Umfragen, die wir hier gemacht haben, aus persönlichen Erfahrungen und langen Beobachtungen, dann passt eigentlich der Osterbefund sehr gut in das Bild, was wir insgesamt von der Kultur des späten 20. Jahrhunderts und frühen 21. Jahrhunderts haben. Wir haben es auf der einen Seite zu tun mit einer zunehmend entsakralisierten Gesellschaft. Religiöse Angelegenheiten nehmen natürlich ab. Das sieht man etwa auch bei Weihnachten. Da steht das Schenken im Vordergrund, die Geburt Jesu Christi nicht in dem Maße. Ostern ist noch eine ganz besondere Sache dazu. Von der wahrgenommenen Heiligkeit und besonderen Situation dieses Tages ist doch viel auf Weihnachten übergegangen, und das hat eben sehr viel mit Jahreszeiten zu tun. In diese dunkle Jahreszeit passt die Besinnung stärker und wir sind natürlich auch auf dem Weg zu einer Freizeitgesellschaft, zu einer neu orientierten Gesellschaft. Da passt es eben sehr gut, dass man, wenn die Jahreszeit es zulässt, wenn wir quasi zwischen Weihnachtspause und Sommerpause sind, noch mal einen Stopp einlegen, bevor es richtig in den Sommer geht und wir diesen Freizeitaspekt sehr stark in den Vordergrund rücken lassen. Das haben wir bei anderen kirchlichen Festen eben auch.

    Durak: Wenn es denn so ist, Herr Hirschfelder, auch dass sich immer weniger Menschen an das Christentum gebunden fühlen, müsste das die Gesellschaft nicht eigentlich berücksichtigen in ihrer Selbstorganisation? Wir haben Feiertage, die verordnet werden, die manche dankend entgegennehmen, aber damit gar nichts zu tun haben.

    Hirschfelder: Die Feiertage bieten ja auch eine Chance und Ostern ist natürlich ein Fest. Gründonnerstag kommt ja von grün, greinen, also von Klagen, Trauern, genau wie der Karfreitag. Das sind Termine, die Möglichkeit geben, über Sinngebung nachzudenken, über Tod nachzudenken. Der Tod gehört natürlich zum Leben, gerade jetzt in der Zeit dieses Irak-Konfliktes. Da haben wir viele junge Menschen und natürlich viele Kinder, die brennende Fragen an das Leben haben, warum muss der Tod sein, was bedeutet der Tod. Das ist eine Frage, die nie nachlässt, und deshalb bieten solche Termine auch Leuten, die nicht aus so einem kirchlichen oder christlichen Hintergrund kommen, Gelegenheit, einfach mal solche Sachen zu reflektieren.

    Durak: Die Frage ist, Herr

    Hirschfelder: Ich will einmal ein Beispiel bringen. Sie hatten die Ostertermine schon genannt. Wie soll man aber Menschen für das Thema interessieren, wenn es nicht einmal einheitliche Ostertermine gibt. Man kann sich ja mal überlegen: die Auferstehung Jesu ist ja für Christen ein klares Ereignis, aber für Nichtchristen eher weniger, und der größte Termin schwankt jährlich zwischen Mitte März und Mitte April. Die Auferstehung Jesu hat zwar sicherlich nicht an einem einzigen Tag stattgefunden, aber über einen ganzen Monat hinweg. Wer soll das denn noch verstehen, genau dann am Ostertermin in diesem oder jenem Jahr sich zu besinnen?

    Hirschfelder: Das ganze Kirchenjahr richtet sich natürlich nach dem Ostertermin und nach dem ersten Sonntag nach der Tag- und Nachtleiche. Daran hängt das komplette Kirchenjahr. Auch Pfingsten und die übrigen Termine sind natürlich variabel. Es ist aus kirchlicher Sicht und aus kulturwissenschaftlicher Sicht auch nicht unbedingt notwendig, diesen Pfingsttermin zu haben. Der kann ruhig variieren. Entscheidend ist, dass die Fragen natürlich immer die gleichen sind, und jede Gesellschaft stellt ihre neuen Fragen. Wir sind in der Kulturwissenschaft nicht kulturpessimistisch. Kultur ist dynamisch. Vielleicht ist unsere Gesellschaft auch irgendwann so entwickelt und so fortschrittlich, dass sie so demokratisch im Inneren ist, dass das Nachdenken vielleicht gar nicht mehr notwendig ist, weil wir es in Handeln umgesetzt haben.

    Durak: Herr Hirschfelder, welche Rolle spielt denn die Religion, spielt das Christentum, Religiosität für die Jugend heutzutage noch aus Ihrer Sicht?

    Hirschfelder: Das ist sehr unterschiedlich. Die Fragen sind immer die gleichen und Fragen werden immer aufgeworfen werden. Die Kirche hat in den letzten Jahrzehnten viel Einfluss verloren. Wir beobachten aber gerade im letzten und auch in diesem Jahr wieder eine Rückbesinnung zur Kirche hin, neue Eintrittswellen, nicht unbedingt, weil man die Kirche als Institution sucht, sondern weil viele Menschen in unserer Gesellschaft natürlich auf der Suche nach Sinn sind. Wir haben eine Phase der Sinnsuche gehabt, sehr stark geprägt durch Ökokrise und neue gesellschaftliche Orientierung in den späten 60ern und in den 70er Jahren. Wir sind dann hingekommen zur Spaßgesellschaft, zur Eventgesellschaft. Vielleicht schlägt jetzt das Pendel zurück hin wieder zu zentralen Fragen der Gesellschaft, des Lebens und gesellschaftlicher Neuorientierung. Da spielen solche kirchlichen Termine und die Institution Kirche zwangsläufig auch eine Rolle. Wie groß die Rolle sein wird, das kann man im Augenblick noch nicht sagen.

    Durak: Gunter Hirschfelder, Volkskundler an der Universität in Bonn. – Schönen Dank Herr Hirschfelder für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio