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Zum Rücktritt von Cem Özdemir

Karnath: Am Telefon begrüße ich den scheidenden Grünen-Abgeordneten Christian Ströbele. Herr Ströbele, war der Rücktritt eine richtige Entscheidung?

27.07.2002
    Ströbele: Das konnte Cem Özdemir nur alleine entscheiden, denn er kennt die Fakten. Er hat das so entschieden, ich nehme an, er hat sich beraten - mit mir nicht -, ich habe das auch voll Verwunderung aus den Medien erfahren. Aber ich denke, es war eine konsequente Entscheidung. Er hat die Verantwortung auf sich genommen und das muss ich respektieren, das tue ich auch.

    Karnath: Tut es Ihnen leid?

    Ströbele: Ja, es tut mir sehr leid. Ich habe sehr intensiv in vielen Sachen mit ihm zusammengearbeitet. Er war ungeheuer kontaktbereit und wir haben uns gegenseitig geholfen, wir haben ja in wichtigen Themen des Innenausschusses sehr gut parallel am selben Strang gezogen.

    Karnath: Hätte diese Entscheidung angesichts des Wahlkampfes schon früher fallen müssen, schon nachdem die Sache mit dem Hunzinger-Kredit aufgeflogen ist?

    Ströbele: Ich weiß keine Einzelheiten aber ich nehme an, dass möglicherweise noch diese Geschichte mit den miles&more der Lufthansa dazugekommen ist, die da benutzt worden sein sollen, aber ich weiß da zu wenig zu. Jedenfalls waren wir uns am Donnerstag in der Fraktion darüber einig, dass er zwar einen Fehler mit dem Darlehen von Herrn Hunzinger gemacht hat, dass er damals aber Herrn Hunzinger, als er das Anfang 1999 gemacht hat, nicht so kennen konnte, wie man ihn heute kennt und auch wenn man mich damals gefragt hätte, hätte ich nicht gesagt 'Der Hunzinger ist jemand... Finger davon!'.

    Karnath: Ist es denn nicht ein bisschen ungewöhnlich, dass nun diese Sache mit den Bonusmeilen zum Rücktritt ausreicht und die Sache mit dem Hunzinger-Kredit nicht gereicht hat?

    Ströbele: Ich denke, er war so unter Druck, natürlich schon wegen der Hunzinger-Geschichte, dass ihm das dann jetzt gereicht hat, dass er sich dagegen auch nicht mehr wehren wollte oder konnte. Aber wie gesagt: Einzelheiten weiß ich nicht.

    Karnath: Sie wissen auch nicht, ob möglicherweise mehr dahintersteckt als die Bonusmeilen?

    Ströbele: Nein, gar nicht. Ich habe mit großer Überraschung als ich abreiste erfahren, dass er eine Pressekonferenz macht und dann was dabei rausgekommen ist. Einzelheiten weiß ich auch nicht mehr als Sie aus den Medien.

    Karnath: Die Grünen haben ja nun lange ihr Saubermann-Image aufrechterhalten können, sie sind auch wegen dieses Images gewählt worden. Wie erklären Sie sich nun diesen Sündenfall?

    Ströbele: Wir haben natürlich immer gesagt, dass die Grünen keine besseren Menschen sind. Die Grünen gehen nur anders damit um und konsequenter und das hat ja nun Cem Özdemir auch gezeigt. Natürlich kann da auch mal was passieren, man kann einen Fehler machen, Sachen nicht genug nachrecherchieren oder zu leicht, zu fahrlässig nehmen, das kommt natürlich auch bei Grünen vor. Man muss dann die richtige Konsequenz ziehen und ich glaube, so wie er das jetzt gemacht hat und wie die Grünen damit umgegangen sind, das habe ich auch auf der Fraktionssitzung betont, dass die Sachen alle auf den Tisch müssen und noch schneller und klarer als wir das von anderen Parteien verlangen. Wenn man da so weitermacht, haben wir auch weiterhin dieses Image der Partei, die gegen Korruption ist und Aufdeckung von solchen Finanzaffären Wesentliches leistet, verdient.

    Karnath: Denken Sie trotzdem, dass dieser Fall Özdemir so etwas wie die Spitze eines Eisberges ist? Sind die Grünen in jeder Hinsicht normal geworden?

    Ströbele: Das hoffe ich natürlich nicht, dass das alles normal ist und dass das bei anderen ist. Ich glaube, die Journalisten wüssten dann schon mehr. Aber natürlich: ich stecke in den anderen nicht drin, ich kann nur über mich reden und weiß, dass ich auch miles gesammelt habe, die kriegt man nämlich automatisch von der Lufthansa gutgeschrieben, die Frage ist nur ob man da drangeht oder ob man sie verfallen lässt.

    Karnath: Wäre Özdemir gegangen wenn jetzt nicht Wahlkampf wäre?

    Ströbele: Das müssen Sie ihn fragen, da weiß ich zu wenig, was dahintersteckt. Aber sicherlich ist in der Wahlkampfzeit, das hat man ja auch bei Scharping gesehen und der Entscheidung Schröders, alles ganz besonders sensibilisiert. Das müssen wir ganz schnell alles klären, weil uns das sonst während des Wahlkampfes anhängt. Und das ist gar keine Frage, ich war in den letzten Tagen auf Veranstaltungen in Mainz, Tübingen und Berlin und das war immer das Hauptthema, was unter Grünen selber, unsere Basis, uns selber um die Ohren gehauen hat: was ist da, legt Ihr das alles auf den Tisch und wie geht Ihr damit um? Das waren die entscheidenden Fragen.

    Karnath: Wie reagiert denn die Basis, wenn Sie am 22. September ihr Kreuz machen soll?

    Ströbele: Die Basis muss erst noch Wahlkampf kämpfen und ich hoffe, dass sie das jetzt tun, weil sie sehen, dass die Grünen Wort halten, dass auch in der Bundestagsfraktion Konsequenzen gezogen werden, Verantwortung übernommen wird und ich fordere nach wie vor weiter, dass die Grünen immer einen Schritt weiter sein müssen als andere Parteien. Also wenn wir jetzt etwa Verhaltensrichtlinien für Abgeordnete ändern sollen und wollen, was der Plan ist, dann sollten die Grünen möglichst morgen damit anfangen auf den Tisch zu legen, wo sie Geschäftsverbindungen haben, woher bekommen sie noch Geld. Ich denke, das wäre eine richtige Forderung und ich hoffe, dass sich die Partei zueigen macht, dass die Grünen das praktizieren.

    Karnath: Denken Sie, dass dieser Fall Özdemir sich nun weiter auf das Wahlergebnis der Grünen auswirken wird?

    Ströbele: Bisher war das für viele Grüne Mitglieder, Sympathisanten, Grüne Wählerinnen und Wähler ein Problem. So habe ich das erfahren. Wie die jetzt auf den Rücktritt reagieren hängt sicherlich davon ab, was sonst passiert, was bei den Grünen und anderen Parteien rauskommt und wie die Grünen sich dazu verhalten. Das hängt an uns.

    Karnath: Sie würden aber nicht so weit gehen zu sagen, dass das nun nicht mehr Ihre Grünen sind, wenn sie sich so verhalten, wie Özdemir sich verhalten hat und dass Sie vielleicht ganz froh sind, jetzt in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr dabei zu sein?

    Ströbele: Nein, überhaupt nicht. Ich kämpfe ja dafür, dass die Grünen die Partei bleiben, bei der nicht nur die Bürgerrechte im allgemeinen gut aufgehoben sind sondern die auch gerade in Sachen Parteifinanzierung Sauberkeit von Politik vorne dran sind. Das wollen wir bleiben und da haben wir wirklich einen Ruf zu verlieren, den wir 20 Jahre aufgebaut haben und ich bemühe mich.

    Karnath: Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Grünen, das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    Link: Interview als RealAudio