Archiv


Zum Sieg Russlands gegen Hitlerdeutschland

Mit "Die Zitadelle" liefert der russische Regisseur Nikita Michalkov eine Trilogie über den Siegeszug der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg. Der letzte Teil des Monumentalprojekts ist jetzt in den Moskauer Kinos angelaufen.

Von Robert Baag |
    Sommer 1943. Irgendwo in Zentralrussland. Wälder, Hügel, Tümpel, eine sattgrüne Flusslandschaft. Die Niederlage der deutschen Wehrmacht bei Stalingrad liegt Monate zurück. Die Rote Armee stößt nach, trifft dann aber auf eine schwer bewaffnete Festung der Deutschen, beißt sich zunehmend die Zähne an ihr aus. Die sowjetische Offensive droht zu stoppen:

    "Der Befehl lautet: Das Straf-Bataillon hat die 'Zitadelle' zu nehmen - im Frontalangriff!"

    Die "Zitadelle" - um diesen imaginären Ort im dann doch wieder historisch-geografischen Nirgendwo kreist der jüngste Film des Oscar-Laureaten Nikita Michalkov, der nun pünktlich zum 66. Jahrestag des Alliierten-Sieges über Nazi-Deutschland von den Filmleinwänden der russischen Kinos flimmert: der - vorläufig? - letzte Teil einer Trilogie, der an das Mitte der 90er-Jahre international gerühmte wie preisgekrönte Epos "Die Sonne, die uns täuscht", anknüpft.

    Michalkov, der inzwischen in Russlands öffentlicher Meinung mehr Gegner als Freunde zählt, im Internet als Haupt- und Staats-Regisseur, als Hofbarde und enger Gefolgsmann Vladimir Putins mit beißendem Spott zu kämpfen hat - aber nach wie vor als einflussreicher Herrscher über das zeitgenössische russische Filmwesen gilt - er, Michalkov, ist jedenfalls schwer begeistert von seinem jüngsten Oeuvre, mag sich an "Teil 2a", einen veritablen Flop an den Kinokassen, nicht erinnern:

    "Ganz bemerkenswerte Szenen sind jetzt entstanden. Das fühlt man. Da entwickelt sich so eine richtige Saga. Vom Anfang bis zum Ende."

    Mit Verlaub: Einspruch! Freundlich formuliert traktiert "Die Zitadelle" letztlich ermüdende zweieinhalb Stunden als irritierendes "Kompositum Mixtum" mit vielleicht zwei oder drei bemerkenswerten Einzel-Episoden: Historische Plausibilität wird munter zurechtgebogen, mystisch-neo-patriotisch daher kommende Ideologie hinterlässt einen fatalen Nachgeschmack von Propaganda: "Glauben ist wichtiger und stärker als Nachdenken", könnte das über dem Streifen schwebende Motto als sinnstiftende Botschaft ans Volk lauten.

    Wer Angst hat, soll schreien. Und geschrien wird viel in diesem Film. So etwas besiegt offenbar die Furcht vorm Sterben - Fatalismus als Synonym für Vaterlandsliebe? Kakophonischer Lärm im Übermaß. Hysterisch wirkt dies, aufgesetzt.

    Und was bei Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" zunächst verstört, gleichzeitig aber durch die surreale Erzählweise fasziniert hat, will Michalkov einfach nicht gelingen, der sich offenbar auch an diesem Kunstgriff versuchen wollte: Großaufnahme einer Spinne. Sie baumelt vor dem Zielfernrohr eines - wie auch anders?! - Richard Wagners "Walküre" lauschenden deutschen MG-Schützen, wird von diesem fast zärtlich weggewischt. Dabei beugt er sich vor, gerät seinerseits ins Fadenkreuz eines sowjetischen Scharfschützen ... Kopfschuss. Er fällt um. Und wie bei Wilhelm Buschs "Frommer Helene" kippt die Petroleumlampe auf den Tisch, zerschellt ... Eine rotäugige Albino-Ratte, Haustier des Toten in dessen Unterstand, fährt auf der Schellack-Scheibe des Plattenspielers beständig im Kreis, wedelt jetzt mit ihrem langen kahlen Schwanz das Öl samt Papierfetzen in eine offene Flamme ... ein Brand bricht aus! Munition explodiert. Die Zitadelle fliegt in die Luft. Der Weg nach Berlin ist frei.

    Unten aber steht staunend das Volk: Die Männer des Strafbataillons, die lediglich mit hölzernen Axt-Stielen bewaffnet, die Festung erobern sollten und nun erst mal gerettet sind. Angeführt werden sie von Divisionskommandeur Kotov, den Diktator Stalin vorher rasch rehabilitiert hat. Dies ist erneut Michalkovs dreieinige Parade- und Hauptrolle: Als mutig-aufopferungsvoller Offizier, politischer Häftling und christlich orthodoxer Patriot. Und: "Befehl ist Befehl!", nachdem Stalin ihm zuvor bei einem Privatissimum mit schwarzem Tee und tückischem Blick aus düster-gelben Augen dämonisch zuflüstert:

    "Die 15.000, die Du jetzt in den Tod führst, werden eine Lektion sein für all die restlichen Millionen. Das wird sie aufwecken und sie werden verstehen, dass uns nur ein Weg bleibt: Der Weg zum Sieg!"

    Michalkov alias Kotov führt diesen Befehl aus, im Glauben an eine höhere Macht. Er selbst läuft an der Spitze dieser Kolonne der Todgeweihten an. - Wie kommt es nur, dass dieses Pathos so falsch klingt?

    Dass dieses Film-Projekt laut russischen Medien das bisher größte seiner Art im nachsowjetischen Russland ist, bleibt nachzutragen. 200 Schauspieler, Massenszenen mit über tausend Komparsen sowie 30 Original-Weltkrieg-II-Fahrzeugen sind während der vergangenen zwei Jahre eingesetzt worden. Statistik für die Tonnen-Ideologie.

    Freilich: Am Tag der Publikums-Premiere verloren sich in der Abendvorstellung des Moskauer Kinos gerade einmal vier bis fünf Dutzend Zuschauer, die sehen wollten, wie Kotov und seine Tochter Nadja am Ende auf einem echten T 34-Panzer in den Abendhimmel gen Berlin rollen ...