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Zum Tod Alain Resnais'
Der Meister des Stilbruchs

Er zählt zu den großen Namen französischer Autorenfilmer: Alain Resnais. In den 1950er-Jahren war er Mitbegründer der Nouvelle Vague. Diese Bewegung wandte sich gegen die damals übliche Filmbildsprache. So ließ er in einem Werk einen Nazigeneral einen Song von Josephine Baker singen. Im Alter von 91 Jahren ist der Regisseur gestorben.

Von Josef Schnelle | 02.03.2014
    Der französische Regisseur Alain Resnais 2012 in Cannes.
    Der französische Regisseur Alain Resnais 2012 in Cannes. (picture alliance / dpa - Guillaume Horcajuelo)
    "Auch eine Straße für Fuhrwerke und Liebespaare. Auch ein kleiner Ferienort mit Jahrmarkt und Kirchturm kann zu einem Konzentrationslager hinführen. Strudthoff, Oranienburg, Auschwitz, Ravensbrück, Dachau, Bergen-Belsen. Das waren einmal Namen auf Landkarten und Reiseführern. Das Blut ist geronnen. Die Münder sind verstummt. Es ist nur eine Kamera, die jetzt diese Blocks besichtigt. Ein eigentümliches Grün bedeckt die müde getretene Erde."
    Mit dem Dokumentarfilm "Nacht und Nebel" über die Konzentrationslager der Nazis - deutscher Text Paul Celan - betrat Alain Resnais 1955 die internationale Filmszene. Weil er das deutsch-französische Klima der Versöhnung beeinträchtige, wurde der Film nach bundesdeutschen Protesten aus dem Hauptprogramm des Festivals von Cannes verbannt und war lediglich in einer triumphal gefeierten Sondervorführung zu sehen. Mit einer fast poetischen Aufarbeitung der deutschen KZ-Gräuel befand sich der Apothekersohn Alain Resnais plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
    Drehbücher von bekannten Schriftstellern
    Nicht zugehörig zu den jungen Wilden der Nouvelle Vague erwarb sich Resnais mit seinen Spielfilmen ab 1959 bald einen ganz besonderen Ruf. Er liebte Texte und besonders den "Nouveau Roman". Zu allen seinen Filmen haben bekannte Schriftsteller die Drehbücher verfasst. Zum Beispiel schrieb Alain Robbe-Grillet 1961 das Buch zu Resnais' wohl bekanntestem Film "Letztes Jahr in Marienbad". Die offene, nicht-lineare Erzählform der damals neuen französischen Literatur reizte Alain Resnais. Und er versuchte, für den Film entsprechende Bildtableaus zu erfinden. Anfangs sieht man den Mann gar nicht, der durch endlose Flure schweift auf der Suche nach der Frau, die er wieder treffen möchte.
    "Ein großes Luxushotel in barockem Stil. Ein Mann wandelt von Saal zu Saal. Er sucht. Eine Frau. Und er sagt zu ihr: Wir sind uns schon begegnet - letztes Jahr."
    Der Film wurde Kult und eine Ikone des neuen intellektuellen Films aus Frankreich. Resnais ließ sich weiterhin die Drehbücher von Schriftstellern schreiben. Jorge Semprun schrieb das Drehbuch zur melancholischen Reminiszenz an den spanischen Bürgerkrieg "Der Krieg ist vorbei". Marguerite Duras hatte ihn mit dem Kultfilm "Hiroshima, Mon amour" schon 1959 auf die Spur gesetzt. Und die Theaterstücke des britischen Dramatiker Alan Ayckbourn über Menschliches, allzu Menschliches adaptierte Resnais gleich in vier seiner Filme, zuletzt 2014 in "Aimer, Boire et Chanter". Für diesen Film der mit stilisierten Kulissen das Theatralische betont, bekam er auf der Berlinale als ältester Filmemacher den Alfred-Bauer-Preis für innovatives Kino.
    "Ich bin nur Regisseur"
    Alain Resnais sah sich immer nur als Regisseur und hasste die Konvention im Vorspann eines Films, die Autorenthese zu bekräftigen mit der Formulierung: "ein Film von". In der Kollektivkunst Film beanspruchte er lediglich den Status des Regisseurs.
    "Ich betrachte mich nicht als Autor. Ich bin nur Regisseur und übernehme nur die Verantwortung für die Regie."
    Als Filmregisseur hat Alain Resnais mit seiner Familie eingeführter Schauspieler von Sabine Azéma bis Andre Dussolier Geschichte geschrieben.
    "Ich möchte einen Film anschauen wie eine Skulptur, wie eine Oper oder einen Roman",
    hat er einmal gesagt oder salopp:
    "Ich wollte immer Konfitüre mit Sardinen vermischen."
    Künsteübergreifendes Schaffen
    Er integrierte Erkenntnisse der Verhaltensforschung zum Beispiel in "Mein Onkel aus Amerika" 1980, forschte nach dem tiefen inneren Kern des Melodrams 1986 in "Meló". Manchmal schneit es in seine Bilder hinein wie in "Herzen" 2006, oder er lässt seine Schauspieler ihre Rollen neu erkennen in "Ihr werdet euch noch wundern" 2012. Das unbekümmerte, die künsteübergreifende Schaffen des großen Franzosen wird uns fehlen. In "Das Leben ist ein Chanson" lässt er 1997 seine Figuren von Zeit zu Zeit immer wieder in populäre Chansons verfallen. Und wenn dem Nazigeneral Kolditz der Zerstörungsbefehl für Paris übermittelt wird, dann singt er einen Song von Josephine Baker: Wer wird einen solchen Stilbruch jetzt noch wagen.