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Zum Tod der Künstlerin Nancy Reddin Kienholz
Spieglerin der Moderne

Wahrscheinlich waren die neodadaistischen Kunstwerke von Edward und Nancy Kienholz von Anfang an Gemeinschaftswerke: Oft holten sie Gebrauchtes von Flohmärkten und arrangierten es, zum Beispiel zu den "Volksempfänger Series". Nun ist Nancy Reddin Kienholz - 25 Jahre nach ihrem Mann Ed - 75-jährig gestorben.

Von Ulf Erdmann Ziegler | 10.08.2019
Die Künstlerin Nancy Reddin Kienholz steht am 28.1.1997 im Berliner Martin-Gropius-Bau vor einem Welt-Glücksrad. Die Installation "The Merry-Go-World or Begat By Chance And The Wonder Horse Trigger" war Teil der Retrospektive "Edward und Nancy Kienholz" im Frühjahr 1997.
Nancy Reddin Kienholz schuf mit ihrem Mann Edward Kienholz lebensgroße Environments. Ihr Mann verstarb 1994. (Andreas Altwein / dpa / picture-alliance)
Nancy Reddin war die älteste Tochter des bereits pensionierten Polizeichefs von Los Angeles, als sie, eine alleinerziehende Mutter, bei einer Hausparty des Vaters auf Edward Kienholz traf. Er war bekannt für ausufernde Collagen, die man damals "Environment" nannte, ein Kerl von Mann, schwer und stark, fünfzehn Jahre älter als sie. Sie heirateten 1972 und neun Jahre später erklärte Kienholz öffentlich, ohne Nancy zu fragen, das die Kunstwerke nun beider Namen tragen würden.
Die Urerfahrung des Ehepaares war die Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach West-Berlin 1973. Mit den beiden Kindern, die Ed selbst mit in die Ehe brachte, waren sie insgesamt zu fünft. Sie betrachteten sich nicht eigentlich als Familie, sondern eher als erweitertes künstlerisches Kollektiv. Sechs Flohmärkte gab es an einem Wochenende in der eingemauerten Stadt Berlin, und dort sammelten sie im großen Stil Lampen, Betten, Hocker, Spiegel, Fenster, Schachteln, Töpfe, Radios und Figurinen, menschlich und animalisch.
Gruselige "Volksempfänger Series"
Besonders angetan hatten es ihnen primitive Kastenradios und deren Bezeichnung als "Volksempfänger", woraus eine ganze Serie von Assemblagen entstand. Eine davon, wirklich gruselig, stellt eine Phalanx von braunen Radios dar, die sich im Vorübergehen automatisch anschalten, und eine grässliche Kakophonie erzeugen.
Eine frühe deutsche Kritik fand: "Abgesehen von seiner Kümmerlichkeit ist das Resultat dieser Kienholzschen Übersetzung von Idee in Realität (oder deren Attrappe) ... ärgerlich."
An West-Berlin gefiel Nancy Kienholz, dass es das Gegenteil des Upper-class Kaliforniens war, wo man "höflich und gütig" zu sein hatte. In Berlin galt: "Wer zuerst kiebig wird, gewinnt!" So hielten die Kienholz noch Jahrzehnte an ihrem Atelier in der Meinekestraße 6 fest, pendelnd zwischen Europa und Amerika, ohne irgendeine Rücksicht auf das Schuljahr der Kinder.
Hin und her zwischen West-Berlin und den USA
Berlin war schon insofern die richtige Adresse, als die Kunst der Kienholz vor dem bösen Werk eines George Grosz nicht mehr völlig unbegreiflich wirkte, eine Parallele hatte im Grau und Braun von Joseph Beuys; und dann waren da die Zeitgenossen, die vor dem Hier und Jetzt, dem Ekligen und Ulkigen auch nicht zurückschraken, wie Arman, Tinguely und Daniel Spoerri. Als das Whitney Museum ihnen 1997 eine Retrospektive einräumte, ein fast unvorstellbares logistisches Unternehmen, bot die Berlinische Galerie die einzige europäische Station. Zuletzt feierte die Frankfurter Schirn das Werk der Kienholz vor acht Jahren.
Fotografin, Objekt- und Konzeptkünstlerin
In Amerika hatte das Unternehmen Kienholz Los Angeles aufgegeben und sich stattdessen in einem Nadelwald am Pend Oreille, einem stahlblauen Gebirgssee in Idaho, niedergelassen. Edward Kienholz starb, wie Nancy zu berichten wusste, "fluchend" an einem Herzinfarkt, 1994, und seitdem oblag es Nancy Reddin Kienholz, für die nächsten 25 Jahre das Werk zu ergänzen, zu sichern, das Archiv zu ordnen und die übrigen Werke in Sammlungen zu schieben.
Absuluter Anti-Glamour
Alle Assemblagen spielen mit dem Vertrauten und dem Unheimlichen. Sie zeigen eine ganze Ära, deren Ur-Orte: das Wohnzimmer, das Büro, die Kapelle, die Bar. Auch die Kunstausstellung selbst wurde als "The Art Show" persifliert. Als neue Gattung mischte Nancy Kienholz schwarzweiße Fotografien in die Ensemble; das war ihr Hintergrund gewesen, eine Ausbildung als Fotografin in Los Angeles. Sie machte daraus, mit Ed, absoluten Anti-Glamour. Sie starb, wie jetzt erst bekannt wurde, am Mittwoch mit 75 Jahren in Houston.