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Zum Tod des dänischen Lyrikers Benny Andersen
Kritischer Blick auf die heile Welt

"Er hat den Leuten aufs Maul geschaut", sagte der Übersetzer Lutz Volke zum Tod des dänischen Lyrikers Benny Andersen im Dlf. Sein Humor sei bei den Leuten gut angekommen. Andersen war der meistgelesene zeitgenössische dänische Dichter. Jetzt ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.

Lutz Volke im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 17.08.2018
    Der dänische Schriftsteller und "Nationaldichter" Benny Andersen, der im Alter von 88 Jahren gestorben ist (Aufnahme undatiert)
    Er habe die dänische Mentalität sehr gut in sich gehabt und sich dennoch als Weltbürger gesehen, sagte Übersetzer Lutz Volke im Dlf über den verstorbenen Nationaldichter Dänemarks, Benny Anderson (Klaus Holsting / picture-alliance / dpa)
    Maja Ellmenreich: Wir wollen einen großen Kulturschaffenden Dänemarks würdigen, den Lyriker Benny Andersen – den "zweiten Andersen" Dänemarks – so wurde er vielfach beschrieben. Der zweite nämlich nach seinem Namensvetter Hans Christian Andersen. Lyriker und Musiker war Benny Andersen, der meistgelesene zeitgenössische dänische Dichter. Benny Andersen ist gestern im Alter von 88 Jahren gestorben, deshalb habe ich vor der Sendung mit Dr. Lutz Volke aus Berlin gesprochen, ehemals Hörspieldramaturg beim RBB und großer Kenner der nordischen Literatur, er ist Übersetzer und Herausgeber. Ende der 90er Jahre, Herr Volke, hat Benny Andersen mit einer Gedichtsammlung alle Lyrik-Rekorde Dänemarks gebrochen. Und es heißt, in so ziemlich jedem dänischen Bücherregal stehe ein Buch von Benny Andersen – warum war er so populär bei seinen dänischen Leserinnen und Lesern?
    Lutz Volke: Er wurde ja auch der Nationaldichter genannt, und das hat er sicherlich verdient. Seine gesammelten Gedichte sind eben, wie von Ihnen erwähnt, in 130.000 Exemplaren herausgekommen. Das ist für Dänemark schon eine ungeheure Zahl. Er war so populär, weil er sagen wir mal den Leuten aufs Maul geschaut hat. Er hat die dänische Mentalität sehr gut in sich gehabt und sie in seinen Gedichten und auch in seinen Prosatexten wiedergegeben, in Kinderbüchern, die auch verfilmt worden sind. Also jedes Kind kennt Benny Andersen.
    Humorvolle Kritik an der dänischen Gemütlichkeit
    Ellmenreich: Was für Themen hat er denn aufgegriffen? Die heile Welt Dänemarks mit "hygge" und allem, was wir so als Klischee dazu uns vorstellen?
    Volke: Ja, das auch. Aber dann mit einem kritischen Blick. Er hat sich darüber lustig gemacht, über diese dänische Gemütlichkeit sozusagen. Und da die Dänen ja eigentlich ein sehr humorvolles Volk sind, haben sie seinen Humor auch angenommen. Nicht immer, manchmal wurde er auch beschimpft. Also, sein kritischer Blick ging dann auch auf die Flüchtlingspolitik in Dänemark, und da wurde er von rechter Seite also schon auch als Landesverräter bezeichnet. Aber das hat seiner Popularität eher genützt als geschadet, und es gab sogar – weil Sie vorhin Hans Christian Andersen erwähnt haben und ihn damit im Zusammenhang – es gab mal einen großen Fackelumzug zu Ehren der beiden Andersens. Sie haben sie also zusammen geehrt und zusammengefasst sozusagen als die großen dänischen Dichter.
    Ellmenreich: Im Jahr 2009 hat Benny Andersen ja mit sehr deutlichen Worten auf die zunehmend ausländerfeindliche Stimmung in seinem Land reagiert. Da hat er sogar gesagt, er schäme sich, ein Däne zu sein, und sagte damals, er wolle nicht mehr dänischer Volksdichter sein, sondern Weltbürger in Dänemark. Das war also keine späte Politisierung, sondern das war eigentlich eine Haltung, die sich durch sein ganzes Werk zieht.
    Volke: Das kann man so sagen. Er hat ja direkt auch ein Buch dann zum Islam geschrieben, und er wollte das, um sozusagen ein anderes Kulturgut – er war auch mit einer dunkelhäutigen Frau verheiratet – also er wollte sozusagen immer zeigen, er ist ein Weltbürger, er geht über das hinaus, was in Dänemark manchmal vielleicht ein bisschen kleinkariert ist.
    Schräge Sichtweisen und viele Wortspiele
    Ellmenreich: Seine Werke aber, seine Lyrik ist nicht zum Beispiel in Deutschland groß angekommen. Es ist nicht viel von ihm ins Deutsche übersetzt worden. Lag das nun am Sprachwitz und an den Wortspielen, die es immer so ein bisschen schwer machen, Lyrik in eine andere Sprache zu übersetzen?
    Volke: Das kann schon sein. Ich wurde einmal angesprochen, ein Theater in Odense hat damals eine Benny-Andersen-Revue geplant, die auch nach Deutschland kommen sollte dann. Daraus ist nichts geworden. Ich hab mich damit beschäftigt und wusste, wie schwer es ist, diese vielen Wortspiele, diese kleinen Seitenhiebe, diesen Humor, auch diese schrägen Sichtweisen von ihm im Deutschen zu vermitteln. Deswegen ist er vielleicht im Deutschen nicht so populär geworden. Es gibt noch andere dänische Dichter, Klaus Rifbjerg beispielsweise, der einigermaßen populär war in Deutschland, aber in Dänemark war er der ganz große Rifbjerg, und in Dänemark war der andere der ganz große Benny Andersen. Sie haben es sozusagen nicht so geschafft wie vielleicht andere Schriftsteller aus anderen Ländern, jetzt über die Ländergrenzen zu springen.
    In allen Künsten bewandertes Multitalent
    Ellmenreich: Aber in Dänemark selbst war Benny Andersen nicht nur als Lyriker bekannt. Der ehemalige Hanser-Verleger Michael Krüger hat ihn ein Multitalent genannt. Was hat er sonst noch gemacht?
    Volke: Er hat Prosa geschrieben, und außerdem war er ein sehr guter Pianist. Er war sogar mal in seiner Anfangszeit, als er noch nicht der große berühmte Dichter war, war er Barpianist. Er hat auch zu seinen Liedern gesungen. Und er war jetzt rundum in allen Künsten bewandert.
    Ellmenreich: Somit ein Universalkünstler, der ganz sicher im Gedächtnis der dänischen Kulturlandschaft allgemein bleibt?
    Volke: Ja, also ganz bestimmt. Benny Andersen wird immer zu den großen Dichtern Dänemarks gehören und wird zum Volksgut sozusagen zählen, das in der Literatur Dänemarks bestehen bleiben wird.
    Ellmenreich: Der Lyriker und Musiker Benny Andersen – an ihn erinnerte der Übersetzer und Herausgeber Lutz Volke, und er hat – extra für unsere Sendung – noch ein Gedicht von Andersen übersetzt und ebenfalls am Telefon vorgetragen:
    "Es hätte viel schlimmer kommen können.
    Doch es ging viel besser.
    Du bist reich belohnt worden.
    Du hast bestanden.
    Du bestehst.
    Ein guter Tag zu sterben – wenn es denn schon sein muss.
    Montag würde mir allerdings besser passen."
    Wenn es denn sein muss… der dänische Lyriker Benny Andersen ist gestern, an einem Donnerstag, gestorben. Lutz Volke würdigte ihn.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.