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Zum Tod des Dirigenten
Gerd Albrecht hatte eine "eminente Entdeckerfreude"

Der ehemalige Hamburger Generalmusikdirektor Gerd Albrecht ist mit 78 Jahren verstorben. Sein Weggefährte, der Komponist und Musikmanager Peter Ruzicka, schätzte vor allem Albrechts Neugier.

03.02.2014
    Der deutsche Dirigent Gerd Albrecht bei einer Probe der Kölner Philharmonie in Leverkusen
    Der deutsche Dirigent Gerd Albrecht bei einer Probe der Kölner Philharmonie in Leverkusen (picture-alliance / dpa)
    O-Ton Gerd Albrecht: "Es ist ja so, dass ich das klassisch-romantische, große moderne Repertoire andauernd dirigiere. Nur in der Sekunde, wo ich dann so etwas Besonderes mache wie Terezín, also Ullmann, Schulhoff oder Valles/Krenek, schreibt alle Presse darüber. Das ist dieses ganz Besondere, was sonst überhaupt nicht ist."
    Stefan Koldehoff: Die Musikwelt trauert um einen ihrer ganz Großen. Im Alter von 78 Jahren ist in Berlin der langjährige Hamburger Generalmusikdirektor Gerd Albrecht gestorben. 1935 in Essen als Sohn eines Musikwissenschaftlers und einer Pianistin geboren, wuchs er in Berlin und Kiel auf, wo er schon mit 15 Jahren einen Kammerchor gründete. Stuttgart, Mainz, Lübeck, Kassel und Berlin waren Stationen, bevor Albrecht 1988 dann, gemeinsam mit Peter Ruzicka, als Nachfolger von Rolf Liebermann nach Hamburg wechselte. Fünf Jahre später übernahm er auch die Leitung der Tschechischen Philharmonie in Prag, die aber im politischen Streit endete. – Peter Ruzicka, den langjährigen Weggefährten, habe ich vor der Sendung gefragt, wen die Musikwelt mit Gerd Albrecht verloren hat.
    Peter Ruzicka: Das ist ein eminenter Verlust, denn die Persönlichkeit von Gerd Albrecht, so wie sie sich künstlerisch entfaltet hat, war doch eine ganz besondere, eine ganz eigene. Ich denke gerne an die Zusammenarbeit mit ihm zurück, neun Jahre in Hamburg, als ich Intendant der Staatsoper sein durfte und er Generalmusikdirektor. Das war nicht eine Reihung von Premieren, sondern das war ein gemeinsames künstlerisches Konzept, ein gestaltetes, mit sehr viel Neugier gemeinsam entwickelt und dann realisiert. Ich denke an die vielen Ausgrabungen, die wir gemacht haben, von zu Unrecht vergessener Musik, neuer Musik, zahlreiche Uraufführungen. Das ist ein gemeinsames Werk gewesen und wenn ich zurückschaue, glaube ich, sagen zu können, dass vieles auch von nachhaltiger Bedeutung war für das Musikleben.
    Koldehoff: Was faszinierend ist, wenn man den Lebenslauf von Gerd Albrecht liest, ist, wie viel er zu bestimmten Zeiten parallel machen konnte: auf der ganzen Welt dirigieren, hier Orchester leiten, dort auch nach dem Abschied aus Hamburg noch. Wie ist so was überhaupt zu schaffen? Wahrscheinlich doch nur mit einer riesigen Leidenschaft, oder?
    Ruzicka: Mit einer Leidenschaft und einem sehr klugen Zeitmanagement. Bei ihm waren alle Entscheidungen, die man gemeinsam besprechen musste, gut vorbereitet. Er kam auf den Punkt, er hatte klare künstlerische Vorstellungen. Übrigens natürlich auch als Dirigent ist es wichtig, eine solche Selbstorganisation zu haben. Die Orchester wussten immer sofort, woran sie sind, und er hat nichts dem Zufall überlassen und so war es denkbar, dass er, wie Sie richtig sagen, an mehreren Orten der Welt tätig war und später dann auch mehrere Orchester noch geleitet hat.
    "Ein besonderes Zugehen auch auf diese junge Generation"
    Koldehoff: Als sehr zugewandter, als sehr offener Mensch wird Gerd Albrecht beschrieben, als jemand, dem beispielsweise auch die Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche sehr wichtig gewesen sei. Schlägt sich so was eigentlich auch im Dirigat nieder? Merkt man, wie der Charakter, wie die Stimmung eines Menschen ist?
    Ruzicka: Das war für ihn in der Tat eine wichtige Sache, dass die Jugendarbeit zu entwickeln war, dieses Angebot von Gesprächskonzerten nicht nur im Konzertbereich, sondern auch bei der Oper, vielfach vom Fernsehen aufgezeichnet, noch heute in den Kulturprogrammen hin und wieder wiederholt. Das war ein besonderes Zugehen auch auf diese junge Generation, die wir ja allmählich zu verlieren scheinen, und ich glaube, da sind sehr viele nachhaltige und prägende Erlebnisse möglich gewesen. Da war er auch unerbittlich, das war für ihn ein Essential und er hat gekämpft um diesen Teil der künstlerischen Arbeit. Manchmal haben die Kulturpolitiker das etwas schmallippig sehen, weil sie gesehen haben, da werden Ressourcen in großem Umfange benötigt dafür, gerade wenn man solche Opern-Workshops veranstaltet, aber es stehen keine Einnahmen im Wege. Ich habe das, so gut ich es konnte, auch gestützt in Hamburg als Intendant und ich bin überzeugt, dass es ein wichtiger und auch bleibender und nachhaltiger Schritt war, dies zu tun.
    Koldehoff: Was zeichnete ihn als Dirigenten, als Musiker aus?
    Ruzicka: Die Klarheit, die Neugier vor allen Dingen auch. Er hat unendlich viele Anregungen aufgegriffen, verwirklicht, er konnte zuhören, wenn man ihm bestimmte Dinge nahegebracht hat. Er war, was Uraufführungen anbelangt, sehr offen und ich glaube, auch was die Tradition anbelangt. Ich erinnere an sehr große wichtige künstlerische Begegnungen mit Beethoven- oder Bruckner-Symphonien. Das war für ihn ein wunderbarer Ausgleich zwischen Tradition und Neuem. Und was eben bleibt ist diese eminente Entdeckerfreude, die er hatte, wenn dann etwas wie die Musik von Zemlinsky oder Schreke oder Schulhoff durch Aufführungen von ihm in ein breiteres Bewusstsein gebracht wurde, dass das etwas blieb, was weitere Aufführungen an anderem Ort nach sich gezogen hat.
    Koldehoff: Peter Ruzicka über den ehemaligen Hamburger Generalmusikdirektor Gerd Albrecht, der gestern 78jährig gestorben ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.