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Zum Tod des Pianisten Horace Silver
"Jazz kann dich glücklich machen"

Der Pianist Horace Silver brachte eine neue Stilrichtung in den Jazz und lieferte auch gleich den passenden Begriff dazu: funky. Er verschaffte dem Jazz neue Popularität und verwandelte die Hörer in eine Gemeinde von Fußwippern und Fingerschnippern. Silver starb am Mittwoch im Alter von 85 Jahren.

Von Karsten Mützelfeldt | 19.06.2014
    Die Tasten eines Midi-Keyboards aus Kunststoff.
    Mit dem Pianisten Horace Silver kam ein neuer Begriff in den Jazz: Funky. (picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr)
    Horace Silver war weder schwarz noch weiß. Der Vater, ein Portugiese, stammte von den Kapverden, die Mutter hatte sowohl irische als auch negroide Vorfahren. Ein eher blasser Zeitgenosse mit strähnigen Haaren spielt, als sitze ein Baptistenprediger am Klavier, durchkreuzt die Vorstellung, einzig Schwarze würden auch schwarz klingen. Der Saxophonist Cannonball Adderley spricht für viele, wenn er fragt:
    "Wie kann ein Typ so aussehen und dabei so funky spielen?"
    In der Komposition "Opus De Funk" taucht ein Wort auf, das seitdem aus der Musikterminologie nicht mehr wegzudenken ist. Steht "funky" heute für eine rhythmische, tanzbare Qualität, war es in den 50ern Synonym für eine blues- und gospelgetränkte Spielweise. Silver avanciert zum stilbildenden Pianisten des Funky Jazz, später Souljazz genannt. Er gilt als Begründer einer Spielart, die dem Jazz neue Popularität verschafft und die Hörer in eine Gemeinde von Fußwippern und Fingerschnippern verwandelt.
    "Ladies and gentlemen, the great Art Blakey and his wonderful group featuring the new trumpet sensation Clifford Brown, Horace Silver is on piano, Lou Donaldson on alto, Curly Russell is on bass..., how about a big hand now! For Art Blakey! Thank-ya!"
    Für kurze Zeit wird der Pianist Leiter einer Band, die für Hardbop schlechthin steht: die Jazz Messengers. Warum Silver nach einem Jahr die Gruppe verlässt und Art Blakey die Leitung überlässt, gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen des Jazz. Er selbst beharrt darauf, es seien private Gründe, und zieht sich eine zeitlang zurück.
    "Ich wollte von niemandem mehr beeinflusst werden und entschloss mich, längere Zeit keine Musik zu hören. Also nahm ich meinen Plattenspieler und meine Platten und verstaute das Zeug in der Toilette."
    Einfache Formen
    Diese Form künstlerischer Selbstisolation zeigt Folgen. Silver, anfangs vom komplexen Bebop beeinflusst, entwickelt einen Stil, der zu immer einfacheren Formen tendiert. Und die Themen laden zum Mitpfeifen ein.
    "Even the people who are not jazzfans can relate to the blues, and it's a common denominator, you know, to reach people, I think."
    Zum Einfachheitsgebot gehört für Silver auch der Blues, der eben nicht nur den Jazzfan anspreche. In anderen Kompositionen setzt er auf lateinamerikanische Rhythmik und melodische Anleihen kapverdischer Musik. Seinem Vater widmet Silver eine Komposition, die zu einer nie versiegenden Einkommensquelle wird, "Song For My Father".
    "Es gibt kein Konzert, in dem ich es mir leisten kann, nicht "Song For My Father" zu spielen: Wenn ich diesen Song nicht als Schlussnummer spiele, gehen die Leute enttäuscht nach Hause, und ich hasse es, Leute zu enttäuschen - also muss das Stück immer im Programm auftauchen."
    So wie Silvers Diskographie einen Jazz-Hit nach dem anderen aufweist, so sind seine Bands wahre Durchlaufstationen für kommende Stars. Vor allem die Bläser gleichen einem Who's who: Trompeter wie Donald Byrd, Kenny Dorham, Woody Shaw und Randy Brecker; Saxophonisten wie Clifford Jordan, Junior Cook, Joe Henderson und Michael Brecker.
    Vorher erdig, jetzt ästhetisch
    Metaphysik und Musiktherapie wecken sein Interesse, die Umstellung der Ernährung lässt ihn zum sendungsbewussten Gesundheitsapostel werden. Vorbei ist es mit handfesten Titeln wie "Doin' The Thing" oder "Finger Poppin'" - jetzt heißen die Alben "Spiritualising The Senses" oder "Music To Ease Your Desease". War die Seele bislang etwas, das sich im Soulfeeling äußerte, dient sie jetzt als esoterische Metapher; was vorher erdig, wird nun ätherisch.
    Nun sind Klänge für ihn nur noch eines:
    "Holistische, metaphysische Selbsthilfemusik."
    Ende der 90er, inzwischen zum alten Souljazz zurückgekehrt, nimmt Silver zwei Alben auf: Das eine, "Jazz Has ... A Sense Of Humor", will mit dem Virus der guten Laune anstecken, das andere, "A Prescreption For The Blues", verspricht Blues auf Rezept, verschrieben vom "Doctor Jazz":
    "Jazz kann dich glücklich machen. Ich verstehe ihn als einen musikalischen Arzt, der dem medizinischen Arzt beim Heilen deiner Seele, deines Geistes und Körpers assistiert."
    "And whether I was famous or non-famous or rich or poor, I'll be always playing this music! Music, music, music, music, music - that's all I wanted to do!"