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Zum Tod des polnischen Historikers Bronislaw Geremek/

Von Europa habe ich immer geträumt, sagte der ehemalige polnische Außenminister Bronislaw Geremek bei der Verleihung des Karls-Preises von zehn Jahren. Und er blieb dabei. Europa ist nicht ein Problem, sondern die Lösung der Probleme unserer Zeit, betonte er noch vor anderthalb Jahren. Am Wochenende ist Bronislaw Geremek im Alter von 76 Jahren gestorben.

Moderation: Anne Raith | 14.07.2008
    Anne Raith: Geremek ist nicht nur einer der Architekten der neuen polnischen Politik. Er hat sich auch als Historiker einen Namen gemacht und gilt als einer der profiliertesten Experten für das französische Mittelalter. Einer seiner akademischen Weggefährten ist der deutsche Historiker Heinrich August Winkler. Ihn habe ich gefragt, wie er sich an seinen Freund Geremek erinnert.
    Heinrich August Winkler: Er war ein ungeheuer mutiger Wissenschaftler und zugleich ein großer Intellektueller. Er hat in der Zeit der Diktatur nach seiner Trennung von der kommunistischen Partei sich beteiligt an den Vorlesungen der sogenannten fliegenden Universität, einer Untergrundeinrichtung mit einer Tradition, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Er war ein Wegbereiter der Bürgerrechtsbewegung und wurde dann bei der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc einer der maßgeblichen intellektuellen Begleiter von Wałęsa zusammen mit Tadeusz Mazowiecki, dem ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Polens 1989.

    Raith: Bewundern Sie Bronislaw Geremek?

    Winkler: Ich habe ihn immer sehr bewundert. Er war eine moralische Instanz. Er hat damals, als wir uns kennenlernten in Washington, immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr Polen mit der Geschichte des Okzidents verbunden ist. Er hat eine frühe Studie geschrieben über den deutschen Ordensstaat, der ja in Polen aus vielen guten Gründen eine überaus kritische Würdigung genossen hat. Und er stellte diesen Ordensstaat dar als eine Art Erziehungsdiktatorum, mit er etwas gegen den Stachel löckte. Er hat sich dann, und das kam sicherlich auch durch seine ursprünglich marxistische Prägung, sehr intensiv befasst mit der Geschichte der europäischen Unterschichten, den marginalen Schichten von Paris, denen er eine bedeutende Untersuchung gewidmet hat, sowie mit der Geschichte der Armut im Mittelalter. Das sind seine wesentlichen Forschungsgegenstände gewesen. Aber seit 1980 trat das zurück hinter der Arbeit als intellektueller Wegbereiter von Solidarnosc und vor allem in der Zeit des Kriegsrechts, wo er ja ein Jahr lang interniert war. Der Professorentitel wurde ihm versagt, obwohl er in jener Zeit längst einer der bekanntesten polnischen Historiker war.

    Raith: Geremeks Forschungsgebiet war das französische Mittelalter. Welcher Weg hat ihn sozusagen aus dem Mittelalter in die Jetzt-Zeit, in die aktive Politik geführt? Kann man da Verbindungslinien ziehen, Erfahrungen, die man mitnehmen kann?

    Winkler: Sein Mitgefühl für die Unterdrückten ist, glaube ich, die Brücke, die von seiner wissenschaftlichen Arbeit in sein Engagement für die unabhängige polnische Arbeiterbewegung führt. Aber er war von Anfang an ein durch und durch politischer Mensch. Und seine intellektuelle Auseinandersetzung mit Marx hat wesentlich dazu beigetragen, dass er 1968 nach der Intervention der Warschauer Paktstaaten in der Tschechoslowakei die Art von Marxismus, wie sie praktiziert wurde im damaligen sowjetischen Machtbereich, als eine durch und durch verlogene Ideologie empfand. Er wurde nie zu einem fanatischen Anti-Marxisten. Er hat immer noch Marx'sche Ansätze im Sinne von Fragestellungen benutzt. Aber er entwickelte sich zu einem liberalen Sozialdemokraten. Die Intellektuellen wie Geremek haben wesentlich daran mitgewirkt, dass sich in Polen auch ein positives Verhältnis zur deutschen Einheit entwickelt. Er hat früher als viele seiner deutschen Kollegen sich für eine Wiedervereinigung Deutschlands eingesetzt, weil er darin eine Voraussetzung für die Einigung Europas sah.

    Raith: Ja, und das trotz seiner traumatischen Kriegserlebnisse. Sein Vater starb im KZ, seine Mutter und er überlebten nur knapp. Was hat Geremek mit Deutschland verbunden? Warum hat er sich so schon früh für eine Aussöhnung ausgesprochen?

    Winkler: Er sprach deutsch, aber er sprach es in der Öffentlichkeit nicht gerne. Es gab da Hemmungen. Er war ein polyglotter Gelehrter, der italienisch, französisch, spanisch, russisch sprach. Das Deutsche verstand er, aber wenn ich mit ihm sprach, sprachen wir meistens englisch. Das hängt zusammen mit diesen Kindheitserinnerungen. Er hat mit knapper Not überlebt, aber sein Deutschlandbild war sehr differenziert. Und er hat viele Kontakte zu deutschen Kollegen unterhalten, viel ihnen an Anregungen gegeben und auch von Historikern, wie Hans Rosenberg zum Beispiel, viel gelernt. Die französische Prägung ist da freilich bei ihm die allerstärkste geblieben.

    Raith: Der Historiker Heinrich August Winkler über seinen Freund und Kollegen, den polnischen Politiker Bronislaw Geremek, der am Wochenende gestorben ist.