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Zum Tod des Regisseurs Luc Bondy
Traumspiele von schwereloser Tiefe

"Der Tod hat sich immer für mich interessiert", sagt der Schweizer Theaterregisseur Luc Bondy einer deutschen Tageszeitung in einem Interview von Anfang dieses Jahres. "Ich war oft krank. Daher finde ich das Leben bedrohlich." Jetzt ist er, nach schwerer Krankheit, im Alter von 67 Jahren gestorben.

Von Andreas Wilink | 28.11.2015
    Porträtfoto des Schweizer Theaterregisseurs Luc Bondy
    Der Schweizer Theaterregisseur Luc Bondy am 25.4.2013 bei einer Pressekonferenz zu den Wiener Festwochen (ALEXANDER KLEIN / AFP)
    Luc Bondy war der Flaneur unter den Regisseuren des deutschsprachigen und französischen Musik- und Sprechtheaters. Seine Inszenierungen wurden unter seiner Hand zu Traumspielen von schwereloser Tiefe. Und zeigten einen hingebungsvollen Beobachter des Lebens und Erkunder des weiten Landes der Seele. Das Unsichere und Unvorhersehbare des Lebens und der Liebe betrachtete er als sein ureigenes Element.
    In den vergangenen 40 Jahren war er der musikalischste und empfindsamste Theatermacher. Eros blieb für ihn der Motor aller menschlichen Kommunikation – und folglich das Begehren - le désir - der Impuls, aus dem heraus seine Figuren handeln: Täter und Opfer der Liebe, ihrer Projektionen und Irrläufe, ihres Wankelmuts und Wahnsinns.
    Für seine Inszenierung von Marivaux' "La seconde surprise de l'amour" aus dem Jahr 2007 hatte Bondys idealer Bühnenbildner Karl Ernst Herrmann ein symbolisches Bild entworfen: Auf einem Steg bewegen sich durch einen komplizierten Mechanismus zwei Häuschen aufeinander zu oder voneinander fort. Es sind die Wohnungen der beiden Hauptfiguren, die die Klimaverschiebungen der Liebe wie auf einem Stimmungsbarometer sichtbar machen.
    Bondy spürte der Komik und Katastrophe der Herzen nach, aber was er uns Zuschauern vor Augen führte, wurde minutiös in Gesten, Mienen und Chiffren beglaubigt, war immer Empfindung mit Gründen. So, wie Bondy Stücke durchleuchtete, kann dieser Regisseur selbst als Autor und Dichter gelten.
    Bondys Favoriten sind daher leicht zu bestimmen: Marivaux, Mozart, Botho Strauß. Sein Genre war die Komödie, in der die Tragikomödie halb verborgen liegt, weshalb ihm auch Schnitzler, aber ebenso Beckett und Ionesco nahe kamen und gingen.
    1971 entstand Bondys erste Inszenierung in Deutschland: "Narr und Nonne" von Stanislaw Witkiewicz in Göttingen. Mit Edward Bonds "Die See" am Münchner Residenztheater gelang ihm 1973 der Durchbruch. In Frankfurt und Köln wie auch in Wien, Paris, Brüssel, Mailand und Lausanne tätig, bleibt vor allem seine Zeit an der Schaubühne in Berlin, mit und nach Peter Stein, in Erinnerung.
    1997 wurde er Schauspieldirektor, 2001 Intendant der Wiener Festwochen.
    Bondys Fähigkeit, Wärmeverhältnisse zu registrieren, Nervenhaushalte zu verwalten, Schwebezustände zu halten, konnte unerbittlich sein und zugleich zärtlich und grazil. Sein Theater besaß etwas Elementareres, gleichsam Luftgeschöpftes. Der Begriff Psychologie – psychologisches Theater – greift dafür zu kurz.
    "Ich interessiere mich mehr für Verhalten und für Sachen, die uns widerfahren. Und wie wir damit umgehen, ohne dass es die Psyche ist. Also, psychologisch heißt immer, als hätte alles seine modellhafte Folgerichtigkeit. Die interessiert mich überhaupt nicht, das ist ein absolutes Missverständnis. Was man interessiert, in was wir verfallen, manchmal, um uns nicht zu zeigen, oder in was wir verfallen, um uns zu sehr zu zeigen. Wo sind wir echt, weil die Theatralität ist doch die Frage, die stellt sich jeden Moment. Wenn jemand auf der Straße etwas erklärt eine Darstellung von sich hat, ein Bild von sich hat oder ein unterbewusstes Bild. Und das interessiert mich immer, wenn ich mit Schauspielern an einem Stück arbeite, diese Spannung."
    Das Staunenswerte, das er in jedem Stück suchte und fand, hat er bei Seelen-Dunkelmännern wie Ibsen und Strindberg ebenso wie bei dem universalen Shakespeare entdeckt, im "Macbeth" in Köln, im "König Lear" an der Wiener Burg und in einem epochalen "Wintermärchen", das er in Nanterre an Patrice Chéreaus Théâtre des Amandiers realisierte, wo er in den 1980er-Jahren mehrmals inszenierte.
    Im Tiefsten war Bondy Skeptiker, vielleicht ein Erbteil seines nicht praktizierten Judentums. Gegen den "Morbus Interpretatoritis", die Krankheit eines schmalspurigen Regietheaters, blieb der auf elitäre Weise konservative Bondy immun. Denn schon von Hause aus – als Sohn des Publizisten und Literaturhistorikers Francois Bondy – war er ein passionierter, genauer Leser von Worten und Noten.
    Geboren 1948 in Zürich, aufgewachsen in Südfrankreich, ausgebildet an der Schauspielschule des Pantomimen Jacques Lecoq in Paris, galt er als Wunderknabe, eine "kontinuierliche Jünglingsfigur", um Robert Walser zu zitieren.
    In seinem träumerischen Erzählungsbuch "Meine Dibbuks" erzählt Luc Bondy auch von seinem Vater. Der habe ihn kaum wahrgenommen, seine Umarmung sei "wie ein Skelett", sein Kuss "wie ein elektrischer Schlag" gewesen. Aber der Sohn, der mit elf Jahren aufs Internat ging, entzog und löste sich. Kränkungen, auch Krankheiten schien er produktiv umwandeln zu können.
    Luc Bondy hatte keinen Stil im Sinne von Prinzip, System, Mode und Methode. Das wäre ihm ein Graus gewesen, ebenso wie die Haltung, Dramenfiguren abzuurteilen. In jedem Geschöpf – sagte Ivan Nagel in einer Laudatio auf ihn – sähe er "den Sonderling, das Original, den Freak". So machte er uns das Fremde ähnlich und ließ das Ähnliche fremd erscheinen.