Antje Allroggen: Man brauche nur einen einzigen Ton aus B.B. Kings Gitarre, die er liebevoll Lucille nannte, zu hören und schon habe man den Bluesmeister erkannt, heißt es immer wieder. Sogar, ohne seine Stimme zu hören. Sie haben es sicherlich schon in den Nachrichten gehört: Die große Blues-Legende B.B. King ist gestern im Alter von 89 Jahren gestorben. Bevor Riley B. King - so sein bürgerlicher Name - der König des Blues wurde, war er ein sehr guter Traktorfahrer. Das sagte B.B. King einmal selbst über seinen Aufstieg und meinte das ganz ironiefrei.
Tatsächlich war es für den 1925 am Mississippi-Delta geborenen Musiker als Kind einfacher Baumwollpflücker ein sagenhafter Akt der Befreiung, sich mit dem Traktor über die Plantagen zu bewegen. Im Mai 1946 fuhr er das Gefährt Schrott. Aus Angst vor seinem Chef floh King aus Indiana nach Memphis und schlug sich als Straßenmusiker durch. Sein Leben begann also hart, war geprägt von Rassendiskriminierung. Eine biographische Mischung aus Freude und Schmerz. Hatte B.B. King seiner Gitarre alles zu verdanken? Das habe ich vor der Sendung Thomas Krettenauer gefragt. Er ist Professor für Musik und ihre Didaktik in Paderborn.
Thomas Krettenauer: Mit Sicherheit ist das ein ganz wesentlicher Fakt, weil B.B. King vor allen Dingen als Gitarrist die Bluesgeschichte, aber auch die nachfolgende Pop- und Rockgeschichte ganz maßgeblich geprägt hat, dass er junge nachfolgende Gitarristen durch seine Fähigkeiten weiterentwickelt hat und auch ihr gitarristisches Spiel, und zwar sowohl was seine eigenen Songs anbelangt als auch was Cover-Versionen anbelangt. Also man kann schon wirklich sagen, die von ihm so geliebte Lucille-Gitarre ist quasi ein ganz bedeutender Markstein und auch ein Symbol seiner musikalischen Entwicklung.
Allroggen: Es begann ja eigentlich ganz klassisch bei ihm mit einer stark kirchlichen Prägung. Wie ging es dann Ende der 60er-Jahre weiter? Da öffnete er sich ja für weitere musikalische Richtungen und landete auch internationale Hits. Diese Popularität brachte ihm ja auch Kritik ein: Er habe den wahren Blues verraten. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Krettenauer: Teilweise ja. Wir müssen aber dabei natürlich berücksichtigen, dass das immer ein großer Konflikt für farbige, aber auch für weiße Musiker war, welchem Lager sie sich scheinbar angeboten oder gar angebiedert haben. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass B.B. King im Vergleich zu anderen Kollegen wie zum Beispiel Muddy Waters oder John Lee Hooker, die wesentlich intensiver sich den neuen Trends der 60er-Jahre angepasst haben, dass dem gegenüber eigentlich B.B. King lange Zeit sich selbst und der Bluesmusik treu geblieben ist.
"Wesentliche Entdeckungsarbeit weißer Musiker"
Allroggen: Wie ist es denn dann zu diesem Spaziergang, sage ich mal, hin zu mehr Popularität gekommen? War das eine Selbstverständlichkeit bei ihm oder auch Strategie?
Krettenauer: Wenn man dem Glauben schenken darf, was manche Autoren geschrieben haben, unter anderem beispielsweise der Buchautor von „Urban Blues", Charles Keil, der zum Beispiel gesagt hat, es war quasi eine wesentliche Entdeckungsarbeit weißer Musiker, die sozusagen B.B. King für sich entdeckt haben. Auf der einen Seite haben wir es Mitte der 60er-Jahre mit einem Rückgang des Interesses von farbigen jungen Musikern am Blues zu tun und auf der anderen Seite bemerkenswerterweise eine Entdeckung gerade der jungen Gitarristen aus London, Eric Clapton allen voran, aber auch Alexis Korner und andere junge Bluesmusiker, die zu einer Blues-Renaissance in London geführt haben. Die haben sozusagen ihren B.B. King für sich entdeckt.
Allroggen: Von B.B. King ist ja auch die Aussage bekannt, dass Musik ihn immer wieder glücklich gemacht habe. Hatte das Musizieren, das gemeinsame Musizieren für ihn auch therapeutischen Charakter?
Krettenauer: Wenn man weiß, wie viel B.B. King live unterwegs war, teilweise mit 200 bis 300 Konzerten pro Jahr, dann muss das für ihn tatsächlich wirklich Lebenselixier gewesen sein, aber fast auch therapeutische Wirkung gehabt haben. Es gibt verschiedene biographische Aussagen von ihm, dass es bestimmte Konzerte gegeben hat, wo er davon spricht, so ein Konzert hat er noch nie gemacht. Er hat noch nie ein Konzert gemacht, das so lange Nachwirkungen hat. Man spricht zum Beispiel von seinem berühmten Konzert von 1972, dieses Sing Sing Thanksgiving Konzert, über das er immer wieder gesprochen hat und gesagt hat, das war das größte, was er jemals erlebt hat. Und wenn man sich vorstellt, wie lange er auch bis ins höchste Alter, bis vor wenigen Jahren gespielt hat - da gibt es ja noch diverse DVD-Aufnahmen in Konzerten, die er zusammen mit Eric Clapton gemacht hat -, dann war das schon wirklich eine ganz elementare Erfahrung für ihn, die ihm im besten Sinne des Wortes Glück beschert hat.
Allroggen: Sein Weg vom Traktorfahrer auf den Baumwollfeldern zum Unternehmer ist natürlich auch eine zutiefst amerikanische Geschichte, die vor einigen Jahren (2012) darin gipfelte, dass er von Präsident Obama ins Weiße Haus eingeladen wurde. Wie wurde sein unaufhaltsamer Aufstieg in der Musikszene gesehen? Blieb er trotz seines Erfolgs immer kreativ?
Krettenauer: Ich denke schon. Er war ja quasi nicht nur selber Songschreiber, der neue Bluesstücke komponiert hat, sondern er hat gleichermaßen auch Cover-Versionen gespielt, und wenn man sich vorstellt, mit wie viel prominenten Leuten er zusammengespielt hat, auch als Vorband, beispielsweise das berühmte Konzert, wo er als Voract von den Rolling Stones gespielt hat, oder mit U2 zusammen und so weiter, das kann man dann, glaube ich, schon bestätigen.
"Da wird es wahrscheinlich nicht mehr viele geben"
Allroggen: Kann es heute noch Legenden wie B.B. King geben, oder ist mit ihm eine ganz bestimmte Spezies an musikalischem Genie ausgestorben?
Krettenauer: Es gibt nicht mehr viele lebende Legenden, die die Popgeschichte seit den späten 40er-Jahren eigentlich bis vorgestern so intensiv verfolgt haben und mitgeprägt haben wie er. Da wird es wahrscheinlich nicht mehr viele geben. Das Besondere bei ihm ist, glaube ich, schon, dass man sagen kann, dass er gleichermaßen die afroamerikanische Musikkultur zu großer Popularität geführt hat, dass er derjenige war, der den Blues als das entscheidende musikalische Ausdrucksmedium der Black Americans weitergeführt hat und gleichermaßen auch die Verbindung zum White Pop geschafft hat. Es wird nicht mehr viele Legenden geben, die ihn überdauern werden oder gar übertrumpfen werden.
Allroggen: ... sagt Thomas Krettenauer, Professor für Musik und ihre Didaktik an der Universität Paderborn, über B.B. King, der gestern im Alter von 89 Jahren gestorben ist.
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