Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Zum Tod von Ellsworth Kelly
Farbfelder als Objekte

Ellsworth Kelly konzentrierte sich auf die Form, seine Objekte illustrierten nichts, interpretierten nichts und bildeten nichts ab. Nun ist der amerikanische Ausnahmekünstler gestorben.

Von Christiane Vielhaber | 28.12.2015
    Der Künstler Ellsworth Kelly (1923 - 2015) auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2000.
    Der Künstler Ellsworth Kelly (1923 - 2015) auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2000. (picture alliance / dpa / Roland Scheidemann)
    Er war einer der großen Bilderfinder des vergangenen Jahrhunderts. Und obwohl er zeitlebens nicht nur auf das Signieren seiner Werke verzichtete, sondern zudem auch bemüht war, nur ja keine Spuren im Sinne einer künstlerischen Handschrift zu hinterlassen, Leinwand, sind seine Werke gerade wegen ihrer betonten Anonymität so unverwechselbar geworden.
    Man erkennt seine Bilder an ihrer Form. Und sie ist zugleich auch schon ihr ganzer Inhalt. Seine Bilder illustrieren nichts, interpretieren nichts oder bilden nichts ab, sondern sind ausschließlich mit sich selbst identisch. Folgerichtig sprach der Künstler denn auch nie von seinen Bildern, sondern nannte sie schlicht das was sie waren, nämlich Objekte. In ihrer formalen Gestalt, ob nun der zum Dreieck, Parallelogramm, Quadrat oder immer wieder zum Segmentbogen geformten Leinwand, in den sogenannten shaped canvases, liegt bereits das ganze ästhetische Ereignis.
    Oder doch besser: eigentlich nur das halbe. Denn ihren sinnlichen Reiz gewinnen diese einzelnen Formen jeweils durch ihren signalhaft klaren Farbauftrag, egal, für welchen einheitlichen Flächenton er sich jeweils entschied, sei es nun ein Rot, ein Blau, ein Gelb, ein Grün oder ein Schwarz, oft auch miteinander kontrastierend.
    Bei dem Farbauftrag vermied der Künstler ganz bewusst jedwede malerische Wirkung. Er betätigte sich vielmehr als reiner Anstreicher von scharf konturierten Flächen, die wiederum durch nichts als sich selbst begrenzt werden. Diese analytische Klarheit und radikale Stringenz, die er schon in den frühen 50er-Jahren in seinem "Handbuch für Linie, Form und Farbe" dargelegt hatte, unterscheidet ihn denn auch vom sogenannten colourfield-painting, der amerikanischen Farbfeldmalerei.
    Ellsworth Kelly, der 1923 nahe New York geboren wurde, passt ohnehin in keine der gängigen Stilschubladen wie etwa Minimalismus oder geometrische Abstraktion. Auch als ein Rebell, der mit solch puristischer Einfachheit damals, zu Beginn der 50er-Jahre, gegen die opulent aufgewühlte Malerei des abstrakten Expressionismus ankämpfte, ließ sich dieser sich selbst zwar stets zurücknehmende, gleichwohl selbstbewusste Schöngeist nie vereinnahmen.
    Vor dem Beginn seines freiwilligen Militärdienstes 1943, bei dem er übrigens auch an der Invasion in der Normandie beteiligt war, und dann anschließend, nach seiner Rückkehr in die USA, absolvierte er ein akademisches Kunststudium in New York beziehungsweise Boston. Entscheidenden Einfluss auf seine weitere künstlerische Haltung hatten jedoch ein sechsjähriger Frankreichaufenthalt und seine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen europäischen Ausdrucksformen der Kunst, hier vor allem mit den späten Scherenschnitten von Matisse, mit den Reliefs von Hans und Sophie Taeuber-Arp und mit der reduziert plastischen Formensprache eines Brancusi.
    Lust an der rein ästhetischen Qualität
    Mit ihnen teilte Kelly die Lust an der rein ästhetischen Qualität einer bereits vorhandenen Form und der Erscheinung ihrer Gestalt in einem ganz bestimmten Augenblick. Besondere Bedeutung maß der Amerikaner dabei dem Blickwinkel zu. Wie durch die Blende eines Fotoapparates - und nicht von ungefähr war er auch ein hervorragender Fotograf - nahm er die sichtbare Welt in Ausschnitten wahr, rückte so ihren linearen Strukturen zuleibe, sei es auf dem geäderten Blatt einer Pflanze oder sei es bei dem Bogen einer Brücke über die Seine, der sich als Halbkreis auf dem Wasser darunter widerspiegelte.
    Als eine Inkunabel für diese Sicht auf die Welt und vor allem diese neue grenzenlose Freiheit, sie so elementar zu kopieren, gilt sein berühmtes "Fensterbild" von 1949. Es sieht aus wie ein schmalhohes, holzgerahmtes Fenster mit einem versprossten und darüber einem blinden Glas. Als Betrachter können wir nicht durch dieses Fenster blicken, sondern sehen es nur so, wie es Kelly damals als ein Bild an der Wand im Museum für Moderne Kunst in Paris wahrgenommen hatte. Mittels einer Leinwand hatte er die so geschaute Wirklichkeit nur objekthaft nachgeformt.
    Kelly verstand seine Bildobjekte und Skulpturen stets als abstrakte Zeichen ohne festgelegte Bedeutung. Vielleicht beruhte sein großer Erfolg in eben dieser Offenheit und zugleich Offenlegung des Kunstmachens, das er immer als eine Frage der Ehrlichkeit ansah.
    Bereits 1964 nahm er an der 3. Kasseler Documenta teil, zwei Jahre später vertrat er die USA auf der Biennale in Venedig, 1973 ehrte ihn das New Yorker MOMA zum 50. Geburtstag mit einer Retrospektive. Und seine Skulpturen stehen weltweit als ebenso klare wie elegante Zeichen im öffentlichen Raum.
    Der Amerikaner hatte nie den Anspruch, die Welt mit seiner Kunst zu verändern. "Ich denke", sagte er einmal, "dass wir von der Kunst eine gewisse Stabilität erwarten, die dem Chaos des täglichen Lebens gegenübersteht."
    Nun ist dieser Ausnahmekünstler tot, aber ich bin sicher, dass seine Objekte als stabile Größen in einer sich ständig wandelnden Rezeptions- und Geschmacksgeschichte überleben werden.