Dienstag, 14. Mai 2024

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Zum Tod von Helma Sanders-Brahms
"Sie hatte immer ein starkes Gespür für die Wirklichkeit"

Die verstorbene Filmemacherin Helma Sanders-Brahms habe sich in ihren Werken immer um den Alltag der Menschen gekümmert, sagte die Regisseurin Jutta Brückner im Deutschlandfunk. Das habe sie auf eine ganz besonders pointierte Weise gemacht.

Jutta Brückner im Gespräch mit Dina Netz | 28.05.2014
    Die Regisseurin Helma Sanders-Brahms (2005)
    Die Regisseurin Helma Sanders-Brahms (2005) (picture alliance / dpa)
    Dina Netz: Frauen haben es bis heute nicht leicht im Filmgeschäft, vor allem als Regisseurinnen. Beim Festival in Cannes war das gerade wieder Thema, weil außer der Jury-Präsidentin dort ziemlich wenige Frauen vorkamen. Und beim Festival vor zwei Jahren haben einige Filmemacherinnen sogar mit einem Offenen Brief dagegen protestiert, dass im Wettbewerb überhaupt keine Frauen eingeladen waren.
    Helma Sanders-Brahms hatte diesen Brief damals auch unterschrieben, denn sie hat sich immer für eine "weibliche Filmästhetik" eingesetzt. Sanders-Brahms wurde 1940 geboren, studierte Theaterwissenschaften, Germanistik, Anglistik und Pädagogik in Köln und wandte sich dann bald dem Film und der Regiearbeit zu. Mehr als 20 sozial-politische Fernseh- und Dokumentarfilme hat sie gedreht. Die bekanntesten heißen "Unter dem Pflaster ist der Strand", "Shirins Hochzeit" und "Deutschland, bleiche Mutter". Jetzt ist Helma Sanders-Brahms im Alter von 73 Jahren gestorben. Ich habe Jutta Brückner, ebenfalls Filmemacherin und Autorin, gefragt: Was waren die Themen der Filme von Helma Sanders-Brahms?
    Jutta Brückner: Sie hatte immer ein starkes Gespür für die Wirklichkeit und deswegen haben sich ihre Themen im Laufe der Zeit auch verändert. Sie hat angefangen mit ihren frühen Fernsehfilmen, die ich nicht alle gesehen habe, eben weil sie Fernsehfilme waren, indem sie sich stark für Arbeit, Arbeitsbedingungen und für diese sozialen Themen interessiert hat, für die sich damals viele interessiert haben. Das war die Zeit, in der so die alte Bundesrepublik der 50er, 60er-Jahre langsam zerbröselte und man merkte, die Wirklichkeit war ein bisschen anders, als wir das gelernt hatten.
    Ich erinnere mich an den ersten Film von ihr, den ich mit sehr viel Aufmerksamkeit gesehen habe. Der hieß "Der Angestellte" und schilderte das Schicksal eines Angestellten, der sich in seiner Firma - ich erinnere mich nicht mehr genau, ob zu Recht oder zu Unrecht- schlecht behandelt fühlt und der gegen seinen Arbeitgeber klagt. Ganz besonders eindrücklich eine Szene, in der er in kleinen Joghurt-Bechern die Ergebnisse seines Bronchial-Katarrhs sammelt, um zu beweisen, dass es ihm schlecht geht.
    Sie war in ihren Bildern tatsächlich manchmal sehr kühn. Und dann war ganz wichtig dieser Film "Shirins Hochzeit". In dem hat sie sich nicht einfach bemüht herauszufinden, wie sieht denn das aus mit den türkischen Gastarbeitern, sondern sie hat eine türkische Braut, eine versprochene genommen, eine Frau, die ihrem Bräutigam nachreist und ihn nicht findet und zum Schluss mehr oder weniger als türkische Hure durch die Massenquartiere der türkischen Arbeiter wandert, wenn man das so sagen kann. Ein Film, der damals sehr wichtig war, weil er auch mal den Blick auf die andere Seite dieser Gesellschaft gelenkt hat.
    Eine weibliche Ästhetik
    Netz: Helma Sanders-Brahms war ja, Frau Brückner, eine Vertreterin einer "weiblichen Ästhetik". Sie hat sich selbst so bezeichnet. Was war denn an ihren Filmen nun so besonders weiblich? Bisher klingt das ja vor allem sozialkritisch.
    Brückner: Na ja, schon bei "Shirins Hochzeit" fiel auf, dass sie sich da eben nicht um den Mann, den Türken, der einwanderte, sondern um die Frau, die ihm nachfolgte, gekümmert hat. Eine weibliche Ästhetik, wenn man diesen Begriff überhaupt verwenden will, war das natürlich schon in ihrer Themenwahl. Sie hat autobiografische Themen aufgenommen, ganz besonders in ihrem großen Film "Deutschland, bleiche Mutter". Sie hat sich um den Alltag gekümmert, eben nicht um das große Verbrechen, nicht um den faszinierenden Bösewicht, an dem sich heute so die trivialen Fantasien entzünden. Das haben damals alle Frauen gemacht, aber sie hat es vielleicht in einer besonders pointierten Weise gemacht, nun ganz besonders mit dem Film, mit dem sie am bekanntesten geworden ist, nämlich "Deutschland, bleiche Mutter".
    Netz: Frau Brückner, Frau Sanders-Brahms war ja beim Filmfestival in Cannes, hat in Frankreich den Orden des Chevaliers des Arts et des Lettres bekommen. In Deutschland dagegen ist ihr ja auch schon mal vorgeworfen worden, "Gefühlskino" zu machen, so wie Sie es gerade schon angedeutet haben. War sie im Ausland vielleicht sogar berühmter als bei uns? Und wenn ja, warum?
    Brückner: Ihre Filme sind über die französische Schiene sehr bekannt geworden und da spielte auch das Frauen-Filmfestival von Sceaux eine Rolle. Dass sie zum Schluss dann noch erlebt hat, dass ihr Film "Deutschland, bleiche Mutter" auf einer Liste der 70 wichtigsten internationalen Filme steht, das hat sie sehr gefreut und das hat sie tatsächlich auch wirklich verdient. Aber wir konnten damals als alle Regisseurinnen dieser Generation, wir konnten gar nicht so um die Aufmerksamkeit buhlen, wie das heute der Fall ist und wie man es auch heute tun muss. Ich meine das jetzt nicht moralisch. Heute in einer Massendemokratie mit einem völlig anderen Verständnis von dem, was Film ist und was Film leisten muss, wäre jeder, der einen solchen Ansatz hat, der so persönlich ist wie ihr Ansatz und der gleichzeitig freie Geschichten erzählt, Geschichten, die keiner Normdramaturgie unterliegen, relativ verloren.
    Netz: Welchen Film, Frau Brückner, von Helma Sanders-Brahms sollte man jetzt heute anlässlich ihres Todes noch mal anschauen?
    Brückner: "Deutschland, bleiche Mutter".
    Netz: Warum?
    Brückner: Das war ein Film, der als erster die deutsche Geschichte gleichzeitig als Liebes- und Ehegeschichte ihrer Eltern erzählt hat. Ein Film, der den Alltag beschreibt, nicht den Alltag von ganz besonders verbrecherischen oder ganz besonders geopferten Menschen, sondern diesen ganz normalen Alltag von einer kleinen Glückssuche in einer fürchterlichen Zeit, mit den kleinen Verbiegungen, mit den kleinen Anpassungen, mit all den kleinen Hoffnungen, das, was der Alltag war für unglaublich viele Menschen damals.
    Netz: Also: "Deutschland, bleiche Mutter" anschauen. Die Filmemacherin und Autorin Jutta Brückner erinnerte an ihre verstorbene Kollegin Helma Sanders-Brahms.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.