Freitag, 29. März 2024

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Zum Tod von Max von Sydow
"Eine archaische Kraft"

"Die grauhaarige Eminenz im Hintergrund", dafür steht Schauspieler Max von Sydow, sagte Filmkritiker Hartwig Tegeler im Dlf. Der mit 90 Jahren verstorbene Schwede versprühte selbst in Nebenrollen eine besondere Aura - unvergessen etwa in Ingmar-Bergman-Filmen, "Game of Thrones" und "Star Wars".

Hartwig Tegeler im Gespräch mit Raphael Smarzoch | 09.03.2020
Der Schauspieler Max von Sydow.
"Eine Liga von Präsenz, von Ausstrahlung, von Aura": Max von Sydow (ALBERTO PIZZOLI / AFP)
Raphael Smarzoch: Er war Jesus, Gottsucher, Teufel und Exorzist: Fast sieben Jahrzehnte Kinokarriere machten Max von Sydow zu einem beeindruckenden Charakterdarsteller. Er spielte in Filmen mit wie "Minority Report", "Conan der Barbar" "Das siebente Siegel" und selbst in "Game of Thrones" war er jüngst noch zu sehen. Heute wurde bekannt, dass er gestern im Alter von 90 Jahren verstorben ist.
Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit unserem Filmkritiker Hartwig Tegeler über Max von Sydow zu sprechen. Herr Tegeler, welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie den Namen Max von Sydow hören?
Hartwig Tegeler: Ich bin sicher nicht sehr originell, wenn ich sage, das ist der Kreuzritter im "Siebenten Siegel" von Ingmar Bergman. Also wenn der am Strand anlandet und dort in die Kamera schaut und auf einmal der Tod erscheint, mit dem er dann gleich ein Schachspiel spielen wird, da ist eigentlich alles so, was wir von Max Sydow in den nächsten Jahrzehnten auch sehen werden, das ist so drin. Groß, hager; das ist eine archaische Kraft, die er ausstrahlt. Gerade in dieser Geschichte, die im Spätmittelalter spielt, dann die kurzen Haare, die grau sind - die sind natürlich nicht wirklich schon grau da, weil es ein Schwarzweißfilm ist; vermutlich hat er blonde Haare - aber ich habe so immer den Eindruck: die grauhaarige Eminenz im Hintergrund. Und ob sie dann böse oder gut ist, das zeigt sich dann in den unterschiedlichen Filmen.
Filmszene aus "Das siebente Siegel" von Ingmar Bergman.
Filmszene aus "Das siebente Siegel" von Ingmar Bergman. (Imago / United Archives)
Smarzoch: Von Sydow, er war ja auch eine ziemlich markante Erscheinung. War er auch ein charismatischer Akteur?
Tegeler: Ja, unbedingt. Er hat ja, bevor er nach Hollywood ging - das war im Jahr 1965 - für die Rolle, die Sie eben schon erwähnten, eben Jesus Christus in "Die größte Geschichte der Welt" ["Die größte Geschichte aller Zeiten", Anm. d. Red.] von George Stevens hatte er bis dahin sechs Filme mit Ingmar Bergman gedreht. Eben unter anderem "Wilde Erdbeeren" oder eben "Das siebente Siegel". Und da ist dieses Charisma sofort spürbar. Aber das Interessante an seiner Karriere ist dann dieser Jesus, den er spielt, oder auch all die anderen Figuren, die er später dann teilweise noch in Europa spielt, aber zum größten Teil in Hollywood, da ist diese Aura da, da ist diese Ausstrahlung da, und das ist dieses Faszinierende bei großen Schauspielern.
Eine Szene aus William Friedkins Horrorklassiker "Der Exorzist"
Eine Szene aus William Friedkins Horrorklassiker "Der Exorzist" (imago/United Archives)
Man kann natürlich sagen, dass er dann irgendwann auch in eine Schublade geriet. Also der deutsche Offizier in einem Hollywoodfilm - das war Max von Sydow meistens, dann General, der KGB-Offizier, der alle bösen Strippen im Hintergrund zieht, im Hollywoodfilm zum Beispiel bei John Huston. Das ist dann im Film "Der Brief an den Kreml", das ist dann natürlich auch Max von Sydow. Also in gewisser Weise Klischee. Aber das Interessante - und das macht das Besondere eben aus von diesem Schauspieler -, dass er sogar in diesen Nebenrollen immer noch eine Aura, immer noch eine große Ausstrahlung hat. Und Sie haben ja zum Beispiel eben auch erwähnt, er hat sogar in "Game of Thrones" mitgespielt. Das ist eine kleine Rolle, die er spielt - im Endeffekt, für den großen Verlauf dieses Epos, hat es keine große Bedeutung, aber letztendlich ist auch da immer noch dieses Max-von-Sydow-Strahlen da, was teilweise ja kein helles Lichtstrahlen ist, sondern auch ein sehr düsteres Strahlen. Und das ist die Faszination, die dieser große Schauspieler immer von sich gegeben hat, sage ich mal.
Corsogespräch (2012): Schauspieler Max von Sydow über Ingmar Bergmann, den Oscar und den Tod
Smarzoch: Wenn ich an Max von Sydow denke, dann, dann blicke ich zurück auf sieben Jahrzehnte Arbeit im Kino. Aber es gibt keine Oscar, keine Golden Globes, dafür nur jede Menge Nominierungen. War er in seinem Spiel vielleicht zu europäisch. Oder lag es an den Rollen?
Tegeler: Ich denke, es lag an den Rollen, denn was ist eigentlich "zu europäisch"? Also das übrigens noch als Ergänzung zu dem, was ich eben versuchte, zu vermitteln. Max von Sydow hatte ja das, was viele männliche Schauspieler in den Fünfziger und Sechzigerjahren hatten, aber auch weibliche Schauspielerinnen: so eine Präsenz vor der Kamera. Und diese Präsenz hat sich bei ihm in gewisser Weise von einem Bergmann'schen, Europäischen dann schon abgelöst. Und wenn er dann diese dunklen Typen im Hintergrund spielte - also meistens wichtige, aber dann doch Nebenrollen -, dann braucht es ganz wenig und die Präsenz war da. Und das ist eigentlich nichts Europäisches. Also insofern kann ich die Frage, die ja so ein bisschen mitschwang, nicht beantworten, warum er letztendlich keine großen Preise bekommen hat.
Also zu der Ausstrahlung - stellen wir uns einfach mal vor: "Star Wars", der erste Teil, der in den Siebzigern im Kino war. Was wäre Obi-Wan Kenobi ohne Sir Alec Guinness? - Gar nichts gewesen! Das ist eine Liga von Präsenz, von Ausstrahlung, von Aura. Das ist auch die Präsenz von Max von Sydow. Und das ist manchmal tatsächlich jenseits von Worten, ob es eine große oder eine kleine Rolle ist, da strahlt etwas, und das ist faszinierend an diesem nun verstorbenen Schauspieler.