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Zum Tod von Neville Marriner
Keine Manierismen, keine Exzentrik

1958 gründete Neville Marriner eine Kammerformation, die sich später nach einem ihrer ersten Auftrittsorte St. Martin in the Fields nannte. Er bot damit jahrzehntelang verlässliche Interpretationen großer Musik. Jetzt ist der Dirigent im Alter von 92 Jahren gestorben.

Von Uwe Friedrich |
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    Der britische Dirigent Sir Neville Marriner begann seine musikalische Karriere als Geiger. (picture-alliance / dpa / Hermann Wöstmann)
    Mit dem Soundtrack zu Milos Formans Film "Amadeus" erreichte Sir Neville Marriner im Jahr 1984 wohl sein größtes Publikum, auch wenn natürlich längst nicht jeder wahrgenommen hat, wer da Mozarts Gran Partita dirigierte.
    Klassikliebhabern war er da selbstverständlich schon ein Begriff, auch weil in den Plattenläden damals kaum ein Weg um ihn und die von ihm gegründete "Academy of St. Martin in the Fields" herum ging. Dieses Orchester und er bildeten bis zu seinem Ruhestand 1992 eine unzertrennliche Einheit. Es ist das Kammerorchester mit den meisten Aufnahmen sowohl des Kern- als auch des etwas abseitigeren Repertoires.
    Gegründet hatte Marriner die Kammerformation im Jahr 1958, als er noch Geiger des London Symphony Orchestra war, um Kammermusik mit Freunden zu spielen. Zunächst traf man sich in seinem Wohnzimmer, dann ergab sich die Möglichkeit, nach den Gottesdiensten in der Londoner Kirche St. Martin in the Fields aufzutreten, daher der Name.
    Schon bei einem der ersten Konzerte hörte sie ein Schallplattenmanager, der gerade nach einem Orchester für Barockmusik suchte. Schnell wurden die Academy und Neville Marriner ein Garant für gewissenhafte Aufnahmen ohne das romantische Pathos, das damals noch gerne über jede Musik gegossen wurde. Aber auch ohne die schroffen Extreme, mit denen zur selben Zeit die Alte-Musik-Bewegung die Partituren völlig neu befragte. "Never louder than lovely", das inoffizielle Credo vieler britischer Musiker "nie lauter als hübsch", galt auch für Neville Marriner.
    Dirigieren als Sucht
    Als die Plattenfirmen auch Symphonien der Romantik und Opern mit ihm aufnehmen wollten, zahlte sich aus, dass der 1924 im englischen Lincoln geborene Marriner nicht nur Geige, sondern auch Dirigieren bei Pierre Monteux studiert hatte. So war er auch für große Symphonieorchester gewappnet wie das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, das er von 1983 bis '89 leitete. Er selbst beschrieb das Dirigieren als eine Sucht, von der er nicht mehr losgekommen sei, sobald er merkte, dass er mit dem Stab auch ein großes Orchester unter Kontrolle halten konnte.
    Neville Marriner erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen. 1985 machte die englische Königin ihn zum Knight Bachelor, zu Sir Neville. Bis 2011 war er der musikalische Leiter der Academy of St. Martin in the Fields, dann übergab er an Joshua Bell, der seine Arbeit weiterführt.
    Marriners zahlreiche Aufnahmen von Meisterwerken der barocken, klassischen und romantischen Musik bilden bis heute das Herzstück vieler Schallplatten- bzw. CD-Sammlungen und waren geschmacksbildend für viele Klassikliebhaber.
    Keine Manierismen, keine Exzentrik. Kritiker haben ihm mitunter vorgehalten, er lasse eine persönliche Handschrift vermissen. Das hätte er wahrscheinlich als Lob aufgefasst, denn er verstand sich zeitlebens als Sachwalter der Komponisten und wollte sich nicht vor die Musik drängen.
    Wer verlässliche Interpretationen großer Musik nach Hause tragen möchte, der wird deshalb auch in Zukunft zu den Aufnahmen Neville Marriners greifen.