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Zum Tod von Roland Matthes
„Ich war Rückenschwimmer“

Olympiasieger Roland Matthes ist tot. Der Schwimmer starb nach kurzer, schwerer Krankheit. In den 60er- und 70er-Jahren verlor er sieben Jahre lang kein einziges Rückenschwimmen. Bodenständig blieb er trotzdem - und kritisierte glaubhaft das DDR-Doping-System.

Von Andrea Schültke | 22.12.2019
DDR-Ausnahmeschwimmer Roland Matthes verschnauft am 14.07.1976 in Montreal beim Training für die olympischen Wettbewerbe.
Weltklasseschwimmer Roland Matthes gestorben (dpa)
Olympische Spiele München 1972. Das Rennen über 200 Meter Rücken:
"Die Entscheidung fällt nur zwischen Matthes und den beiden Amerikanern. Während die aber nichts mehr zuzusetzen haben, schiebt sich nun in diesen unnachahmlich gleitenden Stil Roland Matthes nach vorn und da schlägt er an", sagt der Reporter.
Matthes setzt seine Olympische Siegesserie fort. Nach zweimal Gold bei den Spielen 1968 in Mexiko gewinnt Roland Matthes auch vier Jahre später in München über 100 und 200 Meter Rücken. Silber mit der DDR-Lagen- und Bronze mit der Freistilstaffel kommt dazu.
Über die Rückenstrecken bleibt der elegante Stilist sieben Jahre unbesiegt, stellt hier 16 Weltrekorde auf. Bei den Olympischen Spielen von Montreal 1976 holt er mit Bronze über 100 Meter Rücken die letzte seiner acht Olympischen Medaillen. Außerdem wird er dreimal Welt- und fünfmal Europameister.
DDR-Traumpaar
Das Schwimmen prägt auch sein Privatleben. 1978 heiratet der Weltklasseathlet die viermalige Schwimm-Olympiasiegerin Kornelia Ender. Sie galten als das DDR-Traumpaar. Außerhalb des Sports sei wenig Zeit geblieben, andere Kontakte zu knüpfen:
"Also bietet sich die Kontaktmöglichkeit innerhalb der Trainingsgruppe, innerhalb der Mannschaft bietet sich an. Und daraus ist letztendlich die Ehe resultiert. Es wurde oftmals darauf hingewiesen, dass das eventuell von staatlicher Seite gesteuert wäre, das war es mit Sicherheit nicht",
so Matthes vor genau 30 Jahren im Deutschlandfunk-Sportgespräch. Kurz nach dem Mauerfall war der Diplom-Sportwissenschaftler und Arzt in den Westen übergesiedelt.
Frustriert über persönliche Angriffe
Auch, weil sich die öffentliche Stimmung gewendet hatte - gegen den in der DDR Geld verschlingenden Leistungssport:
"Und so bin ich persönlich angegriffen worden von Leuten, die mich über jahrzehntelang während meiner aktiven Zeit beispielsweise als siebenfacher DDR-Sportler des Jahres kürten und dadurch bin ich ziemlich frustriert."
Er habe Höhen und Tiefen erlebt - während seiner sportlichen Karriere und danach. Er habe sich nicht als Spielball der Mächte herumschubsen lassen, erzählt er:
"Ich habe gedanklich Abstand genommen beispielsweise auch zur SED und zu einigen führenden Leuten dieser Partei, die versucht haben, mich doch mehr oder weniger mit dem Daumen etwas runter zu halten",
Wenig Privilegien
In diesem Interview wehrt er sich auch entschieden gegen die Vorstellung, Leistungssportler seien in der DDR privilegiert gewesen. Wie alle anderen DDR-Bürger auch, hätten die meisten erfolgreichen Athleten mehr als zehn Jahre auf ein Auto warten müssen. Er selbst habe nicht in dem Mietshaus bleiben dürfen, nachdem seine Ehe mit Kornelia Ender nach vier Jahren geschieden wurde:
"Und die Umstände, unter denen ich die Wohnung verlassen musste, die waren für mich so deprimierend, dass ich, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, zur damaligen Zeit sicherlich sofort das Weite gesucht hätte," so die Eindrücke von Roland Matthes, drei Wochen nachdem er die DDR verlassen hatte.
"Ungeheure Sauerei"
In vielen Interviews danach hat er sich gegen Doping positioniert. Er habe erst 1988 vom flächendeckenden Dopingprogramm der DDR erfahren, berichtet Roland Matthes, der in der DDR zunächst Diplomsport und dann Medizin studiert. Im Deutschlandfunk verurteilt er die Mediziner im sozialistischen Sportsystem:
"Ich find’s eine ungeheuere Sauerei, dass Mediziner sich dafür hergeben und skrupellos da mitmischen. Wir haben ja zu helfen und nicht irgendwelchen Kindern Leid zuzufügen."
Matthes selber habe für seine Leistungen als Rückenschwimmer keine Unterstützung durch Dopingmittel gebraucht, schreibt der weltbekannte Schwimmsportjournalist Craig Lord in seinem Nachruf. Er bezieht sich dabei auf ein Interview, das er 2005 mit einem am Dopingplan beteiligten DDR-Wissenschaftler geführt hatte.
Matthes‘ Trainerin Marlies Grohe sei die Einzige gewesen, die sich nicht am staatlichen Dopingprogramm beteiligt habe und dennoch ihren Job behalten konnte, zitiert Craig Lord weiter aus dem Interview.
Kein Rechtfertigungsdruck
Dazu passt eine Aussage von Roland Matthes im November 2010 im Deutschlandfunk. In einer Gesprächsrunde ging es um die Frage, ob alle DDR-Rekorde wegen des systematischen Dopings gelöscht werden sollten. Matthes antwortete auf die Frage:
"Und Sie fühlen sich nicht unter Rechtfertigungsdruck, wenn Sie über Ihre Rekorde sprechen heute?"
"Also ich auf keinen Fall. Wenn Sie mich persönlich ansprechen, mit meinem Namen Matthes eigentlich nicht."
Im Westen arbeitet Roland Matthes später als Orthopäde in seiner Praxis im unterfränkischen Marktheidenfeld. Dem Sport bleibt der Olympiasieger weiter verbunden. Etwa als Schwimmexperte des Mitteldeutschen Rundfunks oder auch als Ratgeber für Athletinnen wie etwa Franziska van Almsick.
Keine Starallüren
Im persönlichen Gespräch war er freundlich, zugewandt, offen und hilfsbereit. Ein Mensch ohne Starallüren, der seine sportlichen Erfolge nie in den Vordergrund gestellt hat.
So soll sich der beste Rückenschwimmer aller Zeiten bei einem Treffen ehemaliger Weltmeister und Olympiasieger Anfang der 90er Jahre mit den Worten vorgestellt haben:
"Hallo, ich bin Roland Matthes, ich war Rückenschwimmer."