Donnerstag, 18. April 2024

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Zum Tod von Wolfram Siebeck
Ein Kenner der deutschen Genussfeindlichkeit

Schwarzwurzeln ließ er als Feinkost nicht gelten, höchstens Artischocken. Zu viel Hitze beim Garen hasste er, weil die Deutschen alles totbraten. Der Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck warb nicht nur für die Haute Cuisine - er setzte sich auch für verpönte Innereien wie Kutteln, Bries und Nieren als Delikatesse ein. Durch seine regelmäßigen Kultartikel in der "Zeit" wurde er bekannt.

Von Michael Köhler | 08.07.2016
    Der Gastronomiekritiker und Koch Wolfram Siebeck, aufgenommen in seinem Wohnsitz im Schloss Mahlberg.
    Wolfram Siebeck (dpa/picture alliance/Patrick Seeger)
    Auf die Frage seiner Leser wie er Gastronomiekritiker wurde, antwortete Wolfram Siebeck:
    "Dann sage ich immer dasselbe. Erstens, Sie müssen im Lotto gewinnen, dann müssen sie zwei Jahre lang nur durch die allerbesten europäischen Restaurants gehen und alles verfressen. Und wenn sie dann immer noch Appetit haben auf eine Bratwurst, fangen Sie noch mal von vorne an!"
    Siebeck war ein Kind des Ruhrpotts. In Duisburg wurde er 1928 geboren, wuchs in Essen und Bochum auf. Gastronomiekritiker wurde er erst spät. Die Erfahrungen, die er bis dahin gemacht hatte, waren prägend.
    "Als Deutscher habe ich meine Sozialisierung erfahren, erst nach dem Krieg. Im Krieg war ich noch Flakhelfer und Kriegsgefangener usw. Aber nach dem Krieg erst als diese Lawine westlicher Kultur über uns hereinbrach, von der wir nichts wussten, wenn wir nicht irgendwie privilegierte Eltern hatten, was ich nicht hatte. Diese Beeinflussung durch die westliche Kultur, das war für mich das Wichtigste und eigentlich auch das schönste Erlebnis in meinem Leben. Das kann man wohl sagen, ja."
    Erste Kochkolumne im Magazin "Twen"
    Theater, Kino, Musik, Literatur, Popmusik und Popart waren für ihn Ausdruck neuer Freiheit. Nach dem Krieg fing Wolfram Siebeck als ungelernter Pressezeichner 1948 bei der WAZ an. Später studierte er an der Wuppertaler Werkkunstschule Grafik. Ende der Fünfziger begann er seine erste Kochkolumne für das Magazin "Twen" zu schreiben. Ein Redakteur forderte ihn dazu auf.
    "Ja dann habe ich ein Rezept geschrieben, das war das erste Mal, dass ich ein Rezept schrieb und zwar ganz anders als bis dato über Rezepte geschrieben wurde, nämlich wahnsinnig ausführlich. Ich ließ mir einen Vorschuss geben und ging in´s Maxim."
    Rasch schrieb er auch für Magazine wie "Stern", "Der Feinschmecker" und die Wochenzeitung DIE ZEIT. Wolfram Siebeck verband eine spitze Feder und ein freches Mundwerk mit praktischen Hinweisen auf Produktqualität. Hinzu kam immer auch eine Prise Kulturgeschichte. Er kannte Mangelwirtschaft und wusste um die deutsche Genussfeindlichkeit.
    "Genuss ist etwas, was in Deutschland immer als Sünde betrachtet wurde. Er teilt das Schicksal mit dem Wort Luxus. Beides sind für deutsche Begriffe Sünden, sind Schwächen des Volkes, der Nation. Eine Nation, die dem Genuss huldigt und den Luxus nicht verurteilt, ist zum Untergang verurteilt. Das sind römische Zustände, das führt zu decadence und was weiß ich. Das ist so das gängige Vorurteil der Deutschen."
    Kampf gegen die Industrieprodukte
    Wolfram Siebeck erklärte den Deutschen in den Achtzigern, dass ein Bresse -Huhn keine welsche Sünde ist und Weißwein- Estragonessig in die gute Küche gehört. Und das zu einer Zeit als Salat noch mit Essigessenz misshandelt wurde. Er genoss Aufmerksamkeit, als Toast Hawaii, Mett-Igel und Tütensoßen immer noch den deutschen Abendbrot-Tisch beherrschten. Und er wusste so gute Tipps zu geben, dass man Weinkenner leicht durch drei Dinge wird: Trinken, Trinken, Trinken! Die Verbesserung der Qualitäten, den Kampf gegen die Industrieprodukte hatte er schon begonnen, als die Slow Food Bewegung noch am Anfang war.
    "Denn, womit beschäftigt sich der normale Mensch. Der beschäftigt sich nicht mit der Musik, der Philosophie oder der Literatur, sondern mit dem, was er isst."
    Siebeck hatte etwas gegen die Aversion gegen Verfeinerung. Das ließ ihn als hochnäsig, frankophil und elitär erscheinen. Er gab dann zu, ein Snob zu sein und fügte noch hinzu:
    "Ich bin auch arrogant!"
    Weil der Weinhandel, den er eröffnet hatte, nicht lief, sagte sein Steuerberater: "Lassen Sie das, Sie saufen ja alles selber. Bleiben sie bei der Schreiberei! In einem ZEIT-Interview zu seinem 80. Geburtstag sagte er, auf seinem Grabstein solle später stehen:
    "Er war ein unbarmherziger Nörgler!"
    Das sei nicht wehleidig, sondern kritisch gemeint. Und wer nicht kritisch sei, lasse sich alles aufschwatzen. Das gelte für Politik wie für Bratkartoffeln. Wer Spargelsorten unterscheiden kann, könne auch Parteien unterscheiden. Wie sehr sich Politik und Genuss angenähert haben, sieht man daran, dass der ehemalige Frankfurter Sponti und Außenminister Joschka Fischer die Gratulationsrede auf Siebecks 80. Geburtstag gehalten hat. Den Deutschen nach der Katastrophe, Stil und Verfeinerung in einem Bereich nahe zu bringen, der Ihnen traditionell fremd war, war sein Anliegen. Das gelang ihm wie keinem zweiten.
    "Und das ist das Geheimnis des raffinierten Essens, dass man eine Vorstellung von einem Aroma hat auf der Zunge, und schon ist es vorbei."