Freitag, 19. April 2024

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Zum Tode Fidel Castros
"Übervater der kubanischen Gesellschaft"

Mit dem Tod des früheren kubanischen Präsidenten Fidel Castro habe sich eine Zeit verabschiedet, sagte sein Biograf Volker Skierka im DLF. Der Revolutionsführer habe sein Land wie ein Patriarch geführt, ihm aber gleichzeitig eine Identität gegeben. "Man wird ihm viel nachsehen."

Volker Skierka im Gespräch mit Martin Zagatta | 26.11.2016
    Fidel Castro, Aufnahme im Profil
    Fidel Castro bestimmte fast 50 Jahre die Geschicke seines Landes. (dpa/picture alliance/EPA/Alejandro Ernesto)
    "Er wird sicher als große Figur in die Geschichte eingehen," sagte Skierka. Castro habe in der Zeit des Kalten Krieges dem Land und dem Volk das gegeben, wofür auch schon sein Vorbild José Martí gekämpft habe: eine nationale Würde und eine Identität. Zudem habe er ein Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem geschaffen. "Das war beispielhaft für die Dritte Welt." Castro habe sich als Patriarch verstanden: "Er hat das Land wie eine große Finca regiert und jede oppositionelle Regung unterdrückt." Er sei so etwas wie der "Übervater der kubanischen Gesellschaft" gewesen. Der jüngeren Generation von heute habe er aber nichts mehr zu sagen gehabt, so Skierka. "Mit der realen Politik hatte das nichts mehr zu tun."
    "Man wird ihm viel nachsehen"
    Skierka erwartet, dass Castro ähnlich wie José Martí als Mythos in die Geschichte eingehen werde. Castros berühmter Satz "die Geschichte wird mich freisprechen" könnte zumindest in Teilen wahr werden: "Man wird ihm viel nachsehen, auch trotz der Verstöße gegen die Menschenrechte." Unter anderem hätten drei Päpste, die ihn besucht haben, für einen milderen Blick auf Castro gesorgt.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Am Telefon sind wir jetzt verbunden mit dem Publizisten und Castro-Biografen Volker Skierka, der für die "Süddeutsche Zeitung" als Lateinamerikakorrespondent gearbeitet hat und sich dann auch ganz ausführlich in seinem Buch mit der Person und dem Leben von Fidel Castro beschäftigt hat. Guten Morgen, Herr Skierka!
    Volker Skierka: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Skierka, Fidel Castro ist oder war ja eine höchst umstrittene Persönlichkeit – trauern Sie ihm nach heute Morgen?
    Skierka: Na, ich glaube, nachtrauern ist das falsche Wort. Ich glaube, es ist einfach mit ihm jetzt jemand … es hat sich eine Zeit verabschiedet. Er war ja sehr aus der Zeit gefallen, war am Ende eher so eine Ikone, mythologische Figur, aber ich würde mal sagen, mit der realen Politik hatte das alles gar nichts mehr zu tun, es war eine ganz andere Zeit. Also mit ihm ist jemand von uns gegangen, der der jungen Generation eigentlich nicht mehr viel zu sagen hatte.
    Zagatta: Was bleibt denn von ihm vor allem in Erinnerung, war das seine Rolle, war das die Revolution, seine Rolle, die er da gespielt hat?
    "Er hat dem Land eine nationale Würde gegeben"
    Skierka: Er wird sicherlich doch als große Figur in die Geschichte eingehen, zumindest für die Kubaner, aber auch für die westliche Welt, weil er natürlich jemand war, der in der Zeit des Kalten Krieges und auch in der Zeit danach seinem Volk und dem Land das gegeben hat, für was schon sein großes Vorbild Martí gekämpft hat. Er hat dem Land eine nationale Würde gegeben, eine Identität, er hat auch politisch dem Land ein Bildungs- und Gesundheitssystem und ein Sozialsystem hat er geschaffen, das sicherlich beispielhaft auch in der Dritten Welt gewesen ist. Und das ist etwas, was ja auch sein Bruder versucht, heute noch zu bewahren.
    Zagatta: Sie haben es gesagt, er ist aus der Zeit gefallen, Sie haben das Gesundheitswesen angesprochen, das er in Kuba dann aufgebaut hat, nachdem er da den Diktator Batista gestürzt hat. Fidel Castro steht aber auch für, ich sag mal, kommunistische Unterdrückung, mit aller Härte ist er ja gegen seine Kritiker vorgegangen. Sie haben ihn erlebt – war er da eine Art gespaltene Persönlichkeit oder wie muss man das beurteilen?
    Skierka: Na ja, er hat sich natürlich immer als Patriarch verstanden, er kam ja auch einer Großgrundbesitzerfamilie, und sein Vater besaß eine große Finca, und er hat irgendwie so das Land auch wie eine große Finca regiert, wie ein Patriarch, hat natürlich jede oppositionelle Regung auch unterdrückt. Das hatte natürlich auch sehr viel damit zu tun, wie stark der Druck von außen war, und das alles in Zeiten des Kalten Krieges. Die Menschenrechtsfrage war in Kuba natürlich … er hat also …
    Zagatta: Ist schwer zu bestimmen, weil er ebenso widersprüchlich war. Vielleicht noch daran angeknüpft, also mit dieser Unterdrückung, fast einen ähnlichen Heldenstatus bei vielen Menschen hat ja damals Che Guevara erlangt, sein Kumpan da auch, sein Wegbegleiter bei der Revolution, der hat sich dann später aber von ihm gelöst. War das der Grund, diese Unterdrückung in Kuba, dass Che Guevara das nicht mitmachen wollte, oder wie war das?
    "Er war schon so etwas wie der Übervater der kubanischen Gesellschaft"
    Skierka: Che Guevara war eigentlich eher derjenige, der das befördert hat. Die kubanische Revolution ist ja eigentlich so in den 60er-Jahren gescheitert. Che Guevara war Finanzchef, also Chef der Zentralbank, er war Zuckerminister, Industrieminister, und man hat versucht, durch die Schaffung des neuen Menschen ein völlig neues sozialistisches System aufzubauen, und das ist natürlich schon gescheitert. Fidel Castro war ja doch eher ein pragmatischer Politiker, der dann versuchte, mit der Sowjetunion das Land über die Runden zu bringen, weil natürlich der Westen ihm verschlossen war. Er hat ja dann auch in den 90er-Jahren, nachdem der Kommunismus zusammenbrach, durch die Kriegswirtschaft in Friedenszeiten, wie man es nannte, das Land auch durch diese schwierigen Zeiten führen können, womit ja gar keiner mehr gerechnet hat. Man hat ja da geglaubt, dass Kuba dann auch zusammenbricht. Ich glaube, es hat auch sehr viel damit zu tun, dass er doch einen starken Rückhalt in der Bevölkerung hatte. Ich meine, die heutige junge Generation kann mit ihm nicht mehr viel anfangen, aber er war schon so etwas wie der Übervater der kubanischen Gesellschaft. Das symbolisierte ja auch, dass er immer im Trainingsanzug durch die Gegend ging, er wollte den Leuten auch signalisieren, seht, ich bin noch da. Und die kubanische Gesellschaft ist natürlich heute in einer Situation, dass sie auf der einen Seite möchte, dass sich etwas verändert, und auf der anderen Seite hat man das Gefühl, dass man nicht möchte, dass sich allzu viel zu schnell verändert, weil das sonst den Zug aus der Kurve trägt. Und das merkt man ja jetzt auch an der Politik seines Bruders, der ja auf der einen Seite versucht, an das Vergangene anzuknüpfen, aber gleichzeitig das Land behutsam zu modernisieren und es zu öffnen.
    Zagatta: Wäre das mit Fidel Castro möglich gewesen, also diese Öffnung, die wir da jetzt erleben gegenüber den USA, wäre das mit ihm möglich gewesen, oder musste er dafür abtreten?
    "Er hat immer versucht, seinen Sozialismus zu bewahren"
    Skierka: Das ist schwer zu sagen. Er hat es ja in den 90er-Jahren auch immer mal wieder versucht, es zu öffnen und marktwirtschaftliche Elemente einzuführen und so weiter. Und man darf ja nicht vergessen, dass in seiner Zeit er sozusagen unter der Blockade … unter dem Radar der Blockade hat er ja Handelsbeziehungen mit den USA aufgebaut, die gesamte kubanische Lebensmittelversorgung oder sagen wir mal 80 Prozent der kubanischen Lebensmittelversorgung wird ja jetzt schon über die USA abgewickelt, gegen Barzahlung. Das ist schon zu seinen Lebzeiten, also zu seinen Zeiten ist das eingefädelt worden und ist auch jetzt fortgesetzt worden durch seinen Bruder, wird fortgesetzt. Er hat natürlich immer versucht, sein System und seinen Sozialismus zu bewahren, das war aber schließlich nur noch durch eine starke Rolle des Militärs möglich. Wir haben jetzt in Kuba beispielsweise so etwas wie eine, ja, ich würde mal sagen eine blande Militärdiktatur, denn viele Leitungspositionen, also Schlüsselpositionen in der Politik sind von hohen Offizieren besetzt. Das garantiert natürlich auch, dass das System weitestmöglich bewahrt werden kann, obwohl ja Castro selber gesagt hat, dass das System ja nicht mal … Also er wurde ja gefragt von einem amerikanischen Journalisten, ob Kuba denn eigentlich noch ein Exportmodell wäre, und da hat er gesagt, na ja, eigentlich nicht, es funktioniert ja nicht mal mehr bei uns.
    Zagatta: Herr Skierka, wenn Sie da sagen, das haben Sie zu Beginn des Gespräches gesagt, vielleicht schließen wir damit den Bogen dann auch ab, dass Castro aus der Zeit gefallen ist, noch kurz Ihre Einschätzung: Was wird da von ihm bleiben, oder wird er relativ schnell vergessen werden?
    "Er wird eine ähnliche Ikone werden wie José Martí"
    Skierka: Nein, ich glaube nicht, dass er vergessen wird. Er wird sicherlich, ich sag mal, in die Fußstapfen von José Martí oder sagen wir mal, er wird sicherlich einen ähnlichen Mythos, eine ähnliche Ikone werden wie José Martí, dem kubanischen Nationalhelden aus dem 19. Jahrhundert, dem er ja auch versucht hat nachzueifern mit seinem politischen System des Fidelismus. Und ich könnte mir auch vorstellen, die Geschichte hat ja damals … in dem Moncada-Prozess, als er nach dem ersten gescheiterten Revolutionsversuch inhaftiert worden ist, hat er in seiner Verteidigungsrede gesagt, die Geschichte wird mich freisprechen. Und wenn man mal so sieht, die Geschichte geht ja mit zunehmendem Abstand sehr milde um mit den Leuten, und ich könnte mir vorstellen, dass das sogar der Fall sein wird, dass man ihm eine ganze Menge nachsehen wird, auch die Verstöße gegen Menschenrechte, die ja nun … Und letztlich haben dazu beigetragen übrigens auch drei Päpste, die Kuba besucht haben. Die haben natürlich letztlich auch für einen milderen Blick auf diese Person gesorgt und lassen dann auch viele Grausamkeiten vergessen.
    Zagatta: Also, wir werden ihn dann nicht so schnell vergessen, meinen Sie. Einschätzungen waren das von Volker Skierka, dem Castro-Biografen. Herr Skierka, ich bedanke mich für dieses Gespräch!
    Skierka: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.