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Zum Tode von Rainer Barzel

Der frühere CDU-Vorsitzende und Bundestagspräsident Rainer Barzel ist nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 82 Jahren verstorben. Barzel hatte 1972 im Bundestag ein konstruktives Misstrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt angestrengt und knapp verloren.

Von Michael Groth | 26.08.2006
    Trotz eines politischen Lebens voller Erfolge, bleibt in der Erinnerung an Rainer Barzel vor allem die Niederlage:

    "Ich stelle fest, dass der von der Fraktion der CDU/ CSU vorgeschlagene Abgeordnete Dr. Barzel die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages nicht erreicht hat."

    Wir schreiben den 27.4.1972. Das Misstrauensvotum, durch das Rainer Barzel sich zum Kanzler wählen lassen wollte, erhält im Bundestag nicht die notwendige Mehrheit.

    Rainer Barzel, 1962 jüngster Minister im Kabinett Adenauer, ist seit neun Jahren Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Barzel gelingt es, unterschiedliche Interessen in der CDU auszugleichen. Von Herbst 1966 an bildet er gemeinsam mit Helmut Schmidt das gut funktionierende parlamentarische Tandem der ersten Großen Koalition. 1969 zerbricht das Tandem. Willy Brandt wird Bundeskanzler, der FDP-Vorsitzende Scheel Außenminister des ersten sozial-liberalen Regierungsbündnisses.

    Der Historiker Arnulf Baring mit Blick auf Barzels Karriere:
    "Die wichtigste Phase, glaube ich, ist die Phase nach dem Verlust des Kanzleramtes 1969 gewesen. Damals war ja die Union nach 20 Jahren führender Position in der Regierung - sie hatten immer den Kanzler gestellt von Adenauer bis Kiesinger - von der Macht vertrieben. Es gab eine sozialliberale, eine SPD/FDP-Koalition. Damals war die Partei, ich würde sagen, noch stärker, als das nach dem Abtreten von Kohl der Fall war, in der Gefahr
    auseinanderzudriften, überhaupt sich nicht zu fangen, auf die Oppositionsrolle nicht einzustellen. Und seine wirkliche Leistung hat darin bestanden, die Partei zusammenzuhalten und auch dabei möglich zu machen, dass wichtige neue Initiativen der Regierung Brandt, nämlich die Ostpolitik, nicht an der Union scheiterten."

    Zwar sollen die Ostverträge nach Wunsch Barzels nicht scheitern; sie sollen aber entscheidend verbessert werden. Im von ihm selbst so genannten "Kampf um die Verträge" strebt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion nun den Machtwechsel an. Für den Zeitzeugen Baring ist dies ein letztlich verhängnisvoller Schritt:

    "Es ging ihm um das Amt. Es ging ihm sozusagen darum, Kanzler zu werden. Es ist sicher ein Rückschlag gewesen, der ihn sehr getroffen hat, der ihn ja auch dann aus der CDU-Spitze entfernt hat. Und so richtig ist er danach eigentlich nicht mehr zum Zuge gekommen."
    In der Debatte um die Ostverträge liefert sich Außenminister Scheel mit Barzel ein Rededuell:

    Scheel: "Wie würde die Politik aussehen, die Sie an die Stelle der setzen wollen, die die Bundesregierung verfolgt? Wie soll eine Entspannungspolitik aussehen, wenn sie ohne die Grundlagen des Status Quo freischwebend in der Luft hängt? Verhandeln heißt doch nicht, eigene Wunschzettel auszufüllen. ..(Beifall).. Oder – ?.."

    Barzel: "Keiner sollte, Herr Kollege Scheel, dem, der an seinen Grundsätzen aus Überzeugung festhält, Unbeweglichkeit vorwerfen. Und keiner sollte Geduld und Augenmaß mit Nichtstun oder Betriebsamkeit mit Arbeit und Erfolg verwechseln. ..(Beifall).. Meine Damen und Herren, ..(noch Beifall) ..es ist doch auch in diesem Bereich nicht die Hauptsache, dass etwas geschieht, sondern das Richtige muss geschehen, und das Nein zum Falschen bleibt dafür die Voraussetzung."

    Barzels Ablehnung der Verträge wird zum geflügelten Wort:

    "Deshalb sagen wir: So nicht!"

    Dann ein Patt im Parlament: 247 zu 247 Stimmen. Brandt bleibt Kanzler. Wie man heute weiß, verdankt die Koalition ihr äußerst knappes Überleben mindestens einer gekauften Stimme:
    Damals weiß man das nicht, und Rainer Barzel zeigt sich als fairer Verlierer:

    "Ich habe immer gesagt, dass Neuwahlen der sympathischste Weg wären. Die Lage, die sich in diesem Augenblick darstellt, ist, dass wir heute morgen eine Abstimmung nicht gewonnen haben. Und das soll man einräumen. Man muss auch zeigen, dass man gewinnen und auch verlieren kann."

    Auch nach der Niederlage versucht Barzel, die Opposition von ihrer – wenig populären – Ablehnung der Ostverträge abzubringen. Er setzt einige Vertragsänderungen durch. Bei der Abstimmung im Bundestag am 17.5.1972 enthält sich die Union. Dazu der Historiker Baring:

    "Ich glaube, dass er kenntnisreich genug war, um zu wissen, dass irgendeine Form von Ostpolitik in dieser Gestalt kommen müsse. Insofern glaube ich schon, dass er die Ostpolitik auch selbst betrieben hätte. Das zeigt sich ja in seinem Verhalten."

    Jahrzehnte später wird Wolfgang Schäuble mit den Worten zitiert, Barzels Hartnäckigkeit habe damals die Tür offen gehalten, durch die Helmut Kohl 1989 gehen konnte.
    Geboren wird Rainer Candidus Barzel am 20.6.1924 im ostpreußischen Ermland. Als Soldat kämpft er im Zweiten Weltkrieg. Anschließend Jurastudium und Promotion.
    1949 wird der damalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens Arnold auf den Einser-Juristen aufmerksam. Es entsteht eine enge Zusammenarbeit, bis Barzel 1957 in den Bundestag gewählt wird. Im Wahlkreis Paderborn erhält er 70 Prozent der Stimmen.

    Inzwischen Mitglied des Fraktions- wie des Bundesvorstandes seiner Partei, verfasst Barzel 1962 eine Studie zur Situation der CDU. Er kommt zu Ergebnissen, die nicht nur Jubel auslösen, wenn er zum Beispiel schreibt:

    "Eine Partei, die heute die Vertreter des Geisteslebens nicht mehr anhört und ihnen nichts zu sagen weiß, wird morgen den breiten Schichten inhaltlos gegenübertreten und diesen nicht mehr attraktiv sein, weil das breite Empfinden entfällt, diese Partei wisse den guten Weg in die Zukunft."

    Im Dezember 1962 wird Rainer Barzel zuständig für das Ressort "Gesamtdeutsche Fragen".

    Nach Erhards Regierungsantritt muss Barzel im Oktober 1963 sein Amt an den FDP-Politiker Mende abgeben. Angesichts einer schweren Krankheit des damaligen Unions-Fraktionsführers Heinrich von Brentano wird Barzel zunächst kommissarisch, von November 1964 an offiziell erster Mann der großen Regierungsfraktion. Mit Blick auf den liberalen Partner findet Barzel klare Worte:

    "Diese Koalition erwies sich für uns als zwingend, weil uns acht Mandate zur Mehrheit fehlen. Die FDP hat in der letzten Bundestagswahl gesagt, sie wolle als Co-Pilot in die Regierung einsteigen. Einige Freie Demokraten gerieren sich jedoch, als seien sie der Hauptpilot. Und wir werden ein offenes Gespräch mit unserem Koalitionspartner darüber führen müssen, wer hier Juniorpartner und wer hier der Stärkere ist."

    Als Erhard 1966 stolpert, wähnt sich Barzel in den Startlöchern im Rennen um die Nachfolge. Am 10.11.1966 entscheidet sich die Fraktion anders: Kanzler wird – drei Wochen später - Kurt Georg Kiesinger. Kiesinger führt die erste Große Koalition der Bundesrepublik. Die Fäden der Regierungspolitik ziehen die Fraktionsvorsitzenden Barzel und Helmut Schmidt (SPD). Barzels Rechtfertigung des Bündnisses vor dem Bundestag erlaubt den Vergleich mit der Gegenwart:

    "Wir wollen mit Kräften dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Lande spüren und sehen: Die in Bonn wissen, was sie wollen. Und was sie wollen, ist vernünftig und ist gerecht und auch, wie sie miteinander umgehen. Auch das kann man gelten lassen. Dieses Volk wird dem und denen danken, der ihm klar und wahrhaft sagt, was ist, und daraus ebenso zügig und entschieden die entsprechenden Konsequenzen zieht. Wir sagen dies nicht nur, Herr Bundeskanzler, um Ihre Zuversicht und Ihre Absicht in soweit zu stärken, sondern um uns erneut hier vor dem Hause festzulegen auf die Bereitschaft, auch Durststrecken des scheinbar Unpopulären mit Ihnen zu durchwandern. ..(Beifall).. Meine Damen und Herren, wir haben hier nichts zu versprechen als dies, redlich unsere Pflicht zu tun, jedermannes Recht, niemandes Interesse und allein dem Gemeinwohl verpflichtet zu sein."

    Barzel bekräftigt in der Debatte zur Regierungserklärung Kiesingers die Position der Union zur Deutschlandpolitik:

    "Wir sind nicht die Gouvernanten der Menschen in der Zone. Uns ziemt eher mehr Verständnis und Mitsorge als etwa ein erhobener Zeigefinger oder die Haltung des reichen Onkels, meine Damen und Herren. ..(Beifall).. Wir wissen, was die Deutschen drüben leisten und leiden. Und wir wissen, dass dort ein besonderes Gefühl der Verbundenheit durch gemeinsames Schicksal und harte Arbeit entstanden ist. Umso mehr ist es unsere Pflicht, nicht nur politisch für die Einheit zu arbeiten, sondern im menschlichen Bereich Erleichterungen zu erwirken und auch so die Verbundenheit des Ganzen zu stärken."

    Barzel bleibt bei seiner Linie: Entspannung ja, aber nicht um jeden Preis. In einem Interview des RIAS zu Zeiten der Solidarnosc in Polen macht er 1982 deutlich, dass der Weg von der Konfrontation zur Kooperation in Europa keine Einbahnstraße ist:

    "Man bezieht sich dann, und das unterstütze ich, auf die Schlussakte von Helsinki, auf die Verabredungen zwischen allen europäischen Ländern einschließlich der USA und Kanada. Da sind ja wunderbare Sachen über Freizügigkeit, über Menschlichkeit über Nichteinmischung drin. Auf diese Position sich zu beziehen, ist ganz klar. Nur dann hat man auch das Maß der Entspannung. Das heißt, wenn die Wirklichkeit nicht mit dem Helsinki-Dokument übereinstimmt – wie jetzt in Polen, wie übrigens auch in der DDR – dann ist dies nicht Entspannung sondern das Gegenteil."
    Im gleichen Gespräch entwickelt der CDU-Politiker mit Blick auf die DDR eine Vision, die acht Jahre später Wirklichkeit wird:

    "Es wird dieser neue Zeitgeist, der im August 1980 in Polen aufgebrochen ist, der in anderen Formen, in anderen Teilen der Welt aufgebrochen ist – das ist ein Geist, der zeigt, dass mit äußerer Gewalt allein nichts zu machen ist. Ich sage Ihnen, der Zustand in der DDR wird nicht bleiben, wie er ist. Die werden nicht aufhören zu fragen: Warum müssen wir in Dresden anders leben als in Köln?"

    Der Entspannungspolitiker weiß, dass jeder Ausgleich mit dem Osten nur auf der Basis einer einigen und auf gegenseitigem Vertrauen basierenden westlichen Partnerschaft gedeiht. Das gelte gerade für Frankreich, wie Barzel schon 1966 erkennt:

    "Weder die Frage der Einigung Europas, noch die der Sicherheit auf Dauer, noch die der europäischen Friedenspolitik auch nicht die der deutschen Einheit wird sich ohne oder gegen Frankreich lösen lassen. Übrigens, und dies muss man auch einmal sagen, wird alles dies sich auch nicht ohne oder gegen uns lösen lassen, meine Damen und Herren."

    Bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 19.11.1972 wird die SPD erstmals stärkste Partei. Barzel bleibt Vorsitzender der Unionsfraktion, aber er ist angeschlagen.

    Ein Jahr nach dem fehlgeschlagenen Misstrauensvotum tritt er als Fraktionsvorsitzender zurück.
    Anlass ist eine Abstimmung über den Beitritt der Bundesrepublik zur UNO, in der eine Mehrheit der Abgeordneten gegen Barzel votiert, der sich für eine deutsche Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen einsetzt.
    Kurt Georg Kiesinger bezeichnet Barzels Niederlage als "Glied einer Kette":

    "Das heißt also, dass das zurückgeht auf Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten in der Sache, die bis zum 17. Mai des vergangenen Jahres zurückreichen, als damals eben die Union ihre Stimmenthaltung beschlossen hatte, nachdem eben vorher auch der Fraktionsvorsitzende eben doch in einer deutlichen Weise seine eigene Ansicht begründet hatte. Er sieht es also wahrscheinlich jetzt als den Punkt einer seit geraumer Zeit sich anbahnenden Entwicklung, bei dem er eben sagt: Unter diesen Umständen möchte ich den Fraktionsvorsitz nicht weiter führen oder kann ich den Fraktionsvorsitz nicht weiter führen. Das muss dann eben ein anderer tun."

    Im Juni 1973 dann auch der Abschied vom CDU-Vorsitz.
    "Barzel war", so beobachtet der Journalist Karl Feldmeyer, "der Partei immer einen Schritt voraus. Sie folgte nicht geschlossen." Etwas anderes kommt hinzu. Barzel hat einen Gegenspieler, der ihn gleichsam erdrückt mit der Fähigkeit, hinter den Kulissen Fäden zu spinnen, Gefolgsleute zu finden und das Geschick der CDU gleichsam zu seiner persönlichen Sache zu machen.

    Die Rede ist – natürlich - von Helmut Kohl.
    Schon 1966 soll der verhindert haben – so jedenfalls sieht es Barzel -, dass der Fraktionsvorsitzende Kanzler der großen Koalition wird.

    Auf einem Parteitag in Saarbrücken kann sich Barzel Anfang Oktober 1971 dennoch gegen den Pfälzer durchsetzen. Die Niederlage im Kampf um das höchste Parteiamt wird Kohl ihm nie verzeihen. Zwei Jahre später gibt Barzel auf: Der neue CDU-Vorsitzende heißt Helmut Kohl.

    Anfang der achtziger Jahre dann die zweite – kleinere - Karriere. Zunächst – parlamentarisch bedeutsam - Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Im Herbst 1982 löst Kohl nach einem diesmal erfolgreichen Misstrauensvotum Helmut Schmidt als Kanzler ab. Für wenige Monate wird Rainer Barzel – zum zweiten Mal – Minister für innerdeutsche Beziehungen.

    Vorgezogene Wahlen im Frühjahr 1983 bestätigen die schwarz-gelbe Koalition. Am 29.3. wird Barzel Präsident des 10. Deutschen Bundestages. Angesichts der unveränderten Antipathie zwischen Kanzler und Parlamentspräsident rätselt Barzel in seinen 2001 verfassten "Erinnerungen" über die Motive Kohls:

    "Meine Wahl zum Präsidenten des Deutschen Bundestages führte dazu, dass Helmut Kohl nun nicht mehr umhin konnte, mich satzungsgemäß zu den Sitzungen des Parteipräsidiums einzuladen. Er musste nun ertragen, mich wieder kraft Amtes im Präsidium der CSU zu sehen und gelegentlich auch zu hören."

    Viel Glück ist ihm auch als Bundestagspräsident nicht beschieden. Bis 1982 hatte Barzel in einer Frankfurter Anwaltskanzlei gearbeitet. Nun wird bekannt, dass im Verlauf der Flick-Spendenaffäre zwischen 1973 und 1979 rund 1,7 Millionen D-Mark an eben diese Kanzlei geflossen sind. Zwischen diesen Honoraren und Barzels Beratervertrag wird eine Verbindung hergestellt. Barzel wehrt sich und bestreitet jede Beteiligung an der Steuer-Befreiung des Flick-Konzerns. Auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestags bringt zunächst kein Licht in die Sache.

    "Ist für Sie nach dieser Aussage vor dem Untersuchungsausschuss das Thema Rücktritt vom Tisch?"

    "Für mich war das nie ein Thema."

    "Glauben Sie, dass Sie eine völlige persönliche und politische Rehabilitierung heute erreicht haben?"

    "Ich glaube, ja."

    Dennoch erklärt Barzel im Oktober 1984 seinen Rücktritt als Bundestagspräsident. Der Druck – auch aus der eigenen Partei - wird zu gross. Abermals spielt Kohl, so Barzel später, eine zwielichtige Rolle.

    "Der Druck der öffentlichen Meinung auf mich ist so angestiegen, dass ich schon heute etwas erklären möchte. Ich stehe, auch moralisch, unter falschem Verdacht. Angeblich liegt eine Beobachtungsakte der Staatsanwaltschaft gegen mich vor. Hätten diese Beobachter je auch nur ein Wort mit mir geredet, so wäre diese Akte nie entstanden. Es wäre ihnen sofort klar geworden, dass die Zahlungen der Firma Flick an die Kanzlei, in der ich arbeitete, nicht identisch sind mit den Zahlungen, die die Praxis an mich leistete. Ich habe kein Geld von Flick bekommen."

    1986, zwei Jahre später, wird Barzel rehabilitiert. Sein Nachfolger Jenninger gibt im Bundestag eine Ehrenerklärung für ihn ab.

    Ein Jahr später verlässt Barzel den Bundestag. Neben den politischen Niederlagen prägen ihn eine Reihe persönlicher Schicksalsschläge. 1977 der Selbstmord der Tochter; 1980 stirbt seine Frau nach 30 Ehejahren an Leukämie; 1995 verunglückt die zweite Frau, mit der er seit 1983 verheiratet ist, tödlich.

    Persönlich hinterlässt Rainer Barzel den Eindruck großer Distanz. Der Publizist Johannes Gross spricht von, Zitat: "fehlendem Talent, die Sympathie der Menschen zu erringen", Worte, denen der Politiker zugestimmt haben soll. Der Historiker Baring formuliert seinen Eindruck so:

    "Er hatte eine unglückselige Emotionalität. Er war ein Mensch, der eher Distanz schuf. Im öffentlichen Auftreten ging eine Kühle von ihm aus, und er hatte eine unglückliche Neigung, auch ganz persönliche Dinge so zu schildern, dass man dachte: Du liebe Güte, das ist doch Kitsch; wie kann man so über den Tod der eigenen Tochter schreiben. Das war Ungeschick, hohes Ungeschick."

    Als kritischer Publizist verfolgt Rainer Barzel das Geschehen in Bonn, später auch in Berlin. Sein Verhältnis zu Kohl bleibt gespannt – bis zur Aufforderung nach der Spendenaffäre 2001, wörtlich, "in die Rechtsgemeinschaft" zurückzukehren.

    Obwohl ihm in Berlin "alles eine Nummer zu groß" vorkommt, zieht es den Ruheständler in die Hauptstadt. Ab und zu lädt ihn die Fraktion ein; in Zeiten der zweiten Großen Koalition bleibt er ein gefragter Gesprächspartner.

    Mit seiner dritten Frau, die er 1997 heiratet, genießt er, nach eigener Aussage, ein "neues Gefühl innerer Freiheit und Selbstständigkeit".